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Hirntumor durch Handy? Die "Tagesschau" klärt bei TikTok auf.

© Tsp

Die ARD im Internet: "Wir nutzen die gute Seite der Technik"

Tanja Hüther leitet das Distributionsboard der ARD. Ein Gespräch über Konkurrenz, Abhängigkeit von den Konzern-Plattformen und das eigene Überangebot im Netz

Frau Hüther, in der Studie „Journalismus in sozialen Netzwerken“ der Otto-Brenner-Stiftung heißt es, die öffentlich-rechtlichen Angebote auf Facebook, Instagram, Twitter, Youtube etc. würden sich deutlich an den Konventionen der Konzern-Plattformen orientieren. Stimmt der Vorwurf?
Richtig ist, dass die ARD Inhalte über Social Media Netzwerke verbreitet - und das in plattformgerechter Art und Weise. Das ist in meinen Augen erst einmal nicht verwerflich, sondern alternativlos: Es wäre ja kurios, z. B. eine TV-Sendung unverändert auf Instagram zu veröffentlichen. Der Vorwurf, der in der angesprochenen Studie anklingt, lautet auch eher, dass man bei der Anpassung der Inhalte übers Ziel hinausschießt und journalistische und öffentlich-rechtliche Qualitätsstandards verletzt werden. Das ist ein entscheidender Punkt: Natürlich müssen im Internet und in Social Media Netzwerken für die ARD dieselben grundsätzlichen journalistischen Qualitätskriterien gelten wie in Fernsehen oder Radio.

Es ist unsere Aufgabe, zu definieren, was das in der Umsetzung bei Instagram, TikTok oder YouTube in Bezug auf Inhalt und Umsetzung konkret bedeutet. Wann z. B. werden Inhalte so unzureichend verkürzt oder vereinfacht, dass das Ergebnis nicht mehr mit dem journalistischen Anspruch vereinbar ist? Ist das bereits abschließend und für alle Plattformen zufriedenstellend erfolgt? Sicher nicht. Unterm Strich kann man aber sagen, dass die ARD auch in sozialen Medien journalistische Qualitätskriterien einhält.

Worauf wir allerdings keinen Einfluss haben, sind die Empfehlungslogiken der Algorithmen. Welcher Inhalt wann an welche Nutzer:in ausgespielt wird und in welchen Kontext einzelne Beiträge eingebettet werden, liegt in der Kontrolle der Plattform. Das ist die größere Bedrohung für ausgewogene Meinungsbildung und Berichterstattung.

Geht es in der digitalen Welt überhaupt ohne die Anlehnung an die Algorithmen von Google & Co.?
Nein. Ein großer Teil der Mediennutzung im Internet ist direkt oder indirekt abhängig von Intermediären wie Google oder Facebook oder Medienplattformen wie Amazon Fire TV oder im Audiobereich Apple Podcast, Spotify oder TuneIn. Auch Browser, App Stores oder Betriebssysteme von Handys oder Smart TV haben entscheidenden Einfluss darauf, was wir sehen. Es gibt zumindest aktuell im Internet keine Unabhängigkeit von diesen Gatekeeper-Plattformen. Es gibt aber unterschiedliche Grade von Abhängigkeit.

Inhalte der Tagesschau beispielsweise sind auf Instagram, YouTube und TikTok zu finden, aber auch bei tagesschau.de, in der Tagesschau App und in der ARD Mediathek – also auf den ARD-eigenen Plattformen. Darstellungs- und Empfehlungslogiken werden von der ARD entwickelt und kontrolliert. Kern der Digitalstrategie der ARD ist es, diese Plattformen zu stärken. Auf Drittplattformen und in Social Media Netzwerken wollen und müssen wir dennoch präsent sein – sie sind Teil des Medienalltags vor allem von jüngeren Menschen. Aber wir nutzen diese Plattformen zielgerichteter, um auf unsere Marken und unsere eigenen Angebote hinzuweisen.

Beispiel tagesschau auf TikTok. Das ist ein anderes Format als bei Youtube oder im Original – aber immer noch "Tagesschau"?
Genau. Es gelten die gleichen journalistischen Qualitätskriterien wie z. B. die Überprüfung von Fakten und Quellen, die Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung oder die Trennung von Nachrichten und Meinung. So muss es auch sein. Keiner Nachrichtenmarke wird in Deutschland mehr Vertrauen geschenkt als der tagesschau. Wir haben die Aufgabe und die Freude, das Versprechen dieser Marke auch in die digitale Welt transferieren zu dürfen. Technische Innovation ist dabei nicht nur ein Risiko, sondern birgt sehr viele Chancen. Noch nie konnten Menschen so schnell und so direkt mit Nachrichten versorgt werden, die für sie relevant sind. Gerade in Krisensituationen wie der Corona-Pandemie oder unmittelbar nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges sehen wir enorme Nutzungszuwächse bei der tagesschau - sowohl im Fernsehen als auch im Internet. Die tagesschau hat sehr viele Fans auf Instagram und TikTok.

Ein konkretes Beispiel: mit TikTok zusammen hat die ARD im vergangenen Jahr den 'Bundestags-Hub' entwickelt. Das Ziel: bei sehr jungen Menschen Interesse und Verständnis zu schaffen und einen Impuls zu setzen, warum es wichtig ist, zu wählen.

Reichweiten, Klicks und Likes sind die Währung der ARD-Angebote in den sozialen Medien?
Reichweite ist eine wichtige Kenngröße für unsere digitalen Angebote. Hinzu kommen Werte wie 'Sehdauer' (wie lange wird das Angebot genutzt?) oder 'Nutzerbindung' (wie häufig/regelmäßig wird das Angebot genutzt?). Wir unterscheiden allerdings bei den Kennwerten zwischen eigenen Plattformen und Drittplattformen. Priorität haben die Reichweite und Nutzung unserer eigenen Angebote. Interaktionsraten auf Social Media Plattformen sind dennoch wichtig. Die Förderung von Diskussion und der direkte Austausch mit den Nutzer:innen ist ein wichtiges Anliegen für die ARD. In Punkto Dialog sind die Social Media Plattformen unseren Angeboten voraus.

Tanja Hüther leitet das Distributionsboard der ARD.
Tanja Hüther leitet das Distributionsboard der ARD.

© promo

Ist es so, dass ein öffentlich-rechtliches Biotop im Internet vielleicht wünschenswert wäre, realiter aber viel weniger Beachtung fände ohne die „Partnerschaft“ mit Facebook & Co.?
„Biotop“ klingt sehr nach Schutzraum. Das kann aus meiner Sicht nicht der Anspruch der öffentlich-rechtlichen Anstalten sein. Wir müssen aktiv und im Geschehen mitgestalten. Und das auch und gerade in digitalen Räumen. Da hilft es nicht, wenn man einen Zaun um sich baut. Wünschenswert wäre allerdings für die Gesellschaft, der Übermacht kommerziell gesteuerter Medieninfrastrukturen eine stärkere gemeinwohlorientierte Alternative entgegensetzen zu können. Das ist ja im Grunde immer die Idee des dualen Rundfunks gewesen. Durch Digitalisierung und Globalisierung kippt die Balance zugunsten der kommerziellen Unternehmen. Die Skaleneffekte globaler Plattformen und Tech-Giganten sind übermächtig, wenn es um Daten und daraus resultierende Vorteile einer digitalen Infrastruktur geht. Einzelne öffentlich-rechtliche Anstalten können kaum etwas ausrichten, es braucht eine nicht-kommerzielle, gemeinwohlorientierte Medienallianz. ARD und ZDF haben im letzten Jahr mit der Entscheidung, ein gemeinsames Streaming-Netzwerk aufzubauen einen ersten Schritt gemacht.

Immer wieder betonen die Sender, sie würden einer öffentlich-rechtlichen Digitalethik folgen. Was ist damit gemeint?
Übergeordnet bedeutet das, Internet und digitale Technologien zum Wohle der Menschen und der Gemeinschaft einzusetzen und eben nicht an kommerziellen Interessen ausrichten – das gebietet der öffentlich-rechtliche Auftrag. Unser Ziel ist es, die "gute Seite" der Technologie zu nutzen. Algorithmen sind ja nicht per se gut oder böse. Sie machen das, was das Unternehmen will oder der Gesellschafter oder der Shareholder. In kommerziellen Unternehmen ist das i. d. R. Profit. Im Fall des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist es der Auftrag, "zur freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung beizutragen und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen."

Mit dem Bestreben, Technologie so zu entwickeln, dass sie Menschen mehr hilft als schadet, sind die öffentlich-rechtlichen Anstalten nicht allein. Einer der bekannteren Vordenker ist Tristan Harris, der bezeichnenderweise früher "Design-Ethiker" bei Google war. Er hat Google verlassen und das "Center for Humane Technology gegründet", eine Organisation, die eine "menschlichere Technologie voranbringen möchte, die unser Wohlbefinden, die Demokratie und den freien Informationsfluss fördert".

Im letzten Jahr hat die ARD in 'Eckpunkten zur Personalisierung' formuliert: "Anders als alle kommerziellen Anbieter müssen wir unseren Nutzer*innen nichts mehr verkaufen, anders als viele kommerziellen Anbieter verdienen wir nichts mit ihren Daten, anders als einige kommerzielle Anbieter haben wir keinen Content, der unseriös oder jugendgefährdend ist. Und wir binden Nutzer*innen nicht durch das gezielte Bedienen vorhandener Meinungen und Emotionen, was auf anderen Plattformen zu den vielzitierten „Filterblasen“ führt. Vielmehr gehört es zu unserem Grundversorgungsauftrag, Vielfalt herzustellen." Dazu zählt auch, dass es neben den Empfehlungen durch Algorithmen immer auch redaktionelle Kontrolle und Kuratierung gibt.  Weitere Bausteine sind Freiwilligkeit, Transparenz und individuelle Kontrolle. Die Nutzer:innen bleiben gewissermaßen immer am Steuer.

 

Wie schwer ist es denn, journalistische Qualitätsansprüche und Plattform-Logiken zusammenzubringen?
Sofern es um die Gestaltung der Inhalte geht, ist das durchaus möglich. Ich bin überzeugt, dass hochwertige Inhalte immer eine gute Chance haben, sich durchzusetzen. Sehr deutlich ist das z. B. an der Entwicklung der Google-Suche in den letzten 10 Jahren ablesbar. In den frühen Jahren der neuen Zunft "Suchmaschinenoptimierung (SEO)" war es durchaus möglich, mit zweifelhaften Tricks wie Clickbaiting oder Linkfarmen in kurzer Zeit mithilfe von Google enorme Reichweiten aufzubauen. Die ARD hat solche Methoden nie angewendet. Im Gegenteil: in der ARD gab es sehr lange gar keine Experten für digitale Distribution. In den letzten Jahren hat sich die Logik bei Google sehr verändert. Qualitätskriterien sind im Algorithmus mittlerweile deutlich höher gewichtet. Die ARD, wie alle Qualitätsmedien, profitiert von dieser Entwicklung. Vor allem aber profitieren die Nutzer:innen.

Dennoch bleibt der kritische Punkt, dass es in der Entscheidungsmacht der Plattform liegt, welche Inhalte überhaupt angezeigt werden, welcher Content als relevant für die Nutzer:innen bewertet wird. Es ist bekannt, dass überzogene Darstellungen oder auch gefälschte Nachrichten sich wesentlich schneller verbreiten. Der Gesetzgeber hat darauf reagiert. Im Medienstaatsvertrag sind seit letztem Jahr plattformregulierende Elemente enthalten. Zum Beispiel muss für öffentlich-rechtliche Inhalte und Public Value Angebote eine gewisse Auffindbarkeit gewährleistet werden. Es besteht im Übrigen ein regelmäßiger und konstruktiver Austausch mit den großen Plattformen. Auch das hilft, Verständnis zu schaffen und Interessen zu vertreten.

Die neun ARD-Sender haben mehrere hundert Angebote im Netz. Welche davon müssten im Sinne eines zentralen Plattform-Managements wenigstens zusammengeführt, wenn nicht aufgegeben werden?
Die ARD besteht aus neun eigenständigen Landesrundfunkanstalten plus Deutscher Welle, die aber ja nicht durch den Rundfunkbeitrag finanziert wird. Sie hat Stand heute ein zu großes und zu wenig gesteuertes Angebot auf den digitalen Plattformen. Das liegt vor allem an der föderalen Struktur: Die Landesrundfunkanstalten sind im Grunde neun Unternehmen. Es wurde aber erkannt, dass eine gemeinsame Steuerung des Portfolios wichtig ist. Aktuell finden Projekte zur Evaluierung und Optimierung statt. Kriterien sind: Redundanz vermeiden, Angebote für verschiedene Zielgruppen und Interessen bereithalten, komplementäre Zielgruppen erreichen, einen klaren Bezug zur ARD herstellen. Der programmliche Rahmen wird, wie immer, durch den Auftrag vorgegeben.

Jeder Digitalauftritt kostet das Geld des Beitragszahlers. Trotzdem expandiert die ARD weiter im Netz. Läuft das nicht auf Verschwendung hinaus?
Das Durchschnittsalter von TV-Zuschauer:innen der ARD ist 67 Jahre. Jüngere Menschen (und zunehmend auch ältere) nutzen digitale Plattformen. Der Medienwandel hin zu digitalen Plattformen ist kein Zukunftsszenario sondern Realität. Es ist also erst einmal keine Verschwendung, sondern unser Auftrag, "allen Bevölkerungsgruppen die Teilhabe an der Informationsgesellschaft zu ermöglichen", explizit auch mithilfe digitaler Angebote. Geboten ist aber natürlich, dies in effizienter, zielgerichteter und sparsamer Art und Weise zu tun.

Funktionieren Netz-Auftritte eigentlich anders als TV-Auftritte? Will sagen, dass beispielsweise Kunst und Kultur im Netz bessere Chancen auf Aufmerksamkeit als im linearen Fernsehen?
Unbedingt. Ich würde sagen, gerade bei Kunst und Kultur haben digitale Distributionsformen große Vorteile gegenüber linearen Sendeflächen. Beispiel Literatur: die ARD räumt Literatur-Sendungen durchaus viel Platz ein mit rund 20 regelmäßigen Sendungen in TV und Radio. Aber während lineare Flächen nur eine Prime-Time haben, ermöglichen digitale Plattformen eine individuelle Prime-Time für alle Interessen. Man kann also eine digitale Destination für Literaturliebhaber schaffen, die jederzeit ein großes Angebot bereithält.

Das Interview führte Joachim Huber.

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