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Noch befinden sich die Gewehre auf dem Rücken: Rose (Florence Kasumba, rechts) und Brigitte (Lavinia Wilson) wurden auf Lenora Rauch alias Maria Schrader angesetzt.

© Anika Molnár/Ufa Fiction

„Deutschland ’89“ zum Abschluss: Alphafrauen beim Mauerfall

Die finale Staffel der Amazon-Serie „Deutschland ’89“ ist abermals ein großes Stück Historytainment. Mit einer absolut aktuellen Note.

Wie plausibel politische Theorien sind, hat nicht nur, aber auch damit zu tun, wer sie aufstellt. Falls jemand sagt, „Kapitalismus ist nichts als Kapitalismus“ und auf den Protest, er sei doch auch eine Form von Freiheit, widerspricht, „der Kapitalismus lässt sich für gar nichts einspannen, der Kapitalismus spannt alles für sich ein und verschlingt es“, kann man angesichts unserer obszönen Konsumgesellschaft am Rande der Klimakatastrophe eigentlich nur zustimmen. Ist dieser Jemand indes Leonora Rauch (Maria Schrader), die am Rande des Mauerfalls das Ende der DDR befürchtet, die sie als Geheimdienstoffizierin am Leben hielt, wirkt diese Kapitalismuskritik etwas ambivalenter.

Wie die Serie, in der sie sie äußert. Verteilt auf fünf reale Jahre erzählt sie – zunächst bei RTL, ab Staffel zwei bei Amazon Prime – von einem Systemkonflikt, der die Ambivalenzen politischer Theorien zum Wesenskern hat. In „Deutschland ’83“ wird NVA-Soldat Martin Rauch von seiner Tante zum Spion gemacht und erlebt beim Einsatz im Nato-Quartier die Abgründe beider Seiten.

Weil er in der Fortsetzung „Deutschland ’86“ Waffendeals mit Feinden einfädelt, wird der überzeugte Sozialist zum Doppelagenten wider Willen. Drei Jahre später hat ihn der permanente (Selbst-)Betrug so desillusioniert, dass der alleinerziehende Vater die Schnauze voll hat vom Kalten Krieg – und nicht nur er.

[„Deutschland ’89“, Amazon Prime Video, ab Freitag.]

Zu Beginn von „Deutschland ’89“ nämlich bröckelt die Mauer, was nach dem Einsturz hinlänglich bekannte Verhaltensmuster hervorruft: Während die Schuldigen des real existierenden Sozialismus versuchen, sich und ihre Pfründe schadlos in den real siegreichen Kapitalismus zu retten, beginnt letzterer ersteren zu fleddern wie ein Geier das Aas. Und wie immer mittendrin, statt nur dabei: der augenscheinlich warmherzige, hintergründig kaltblütige Martin Rauch, dem Jonas Nay auch in der finalen Staffel empathische Gerissenheit verleiht.

Zwischen KGB und CIA

Erst soll der pensionierte Spitzel Staatschef Krenz beseitigen, bevor dieser die DDR mittels Reisefreiheit beerdigt. Als das misslingt, macht sich der KGB an „Kolibri“ heran. Zuletzt scheint ihn die CIA mithilfe seiner alten Affäre rumzukriegen, um eine Neuorientierung Gesamtdeutschlands zu verhindern. „Du hast drei Möglichkeiten“, kriegt der Aussteiger zu hören: „Sich festnehmen, umbringen oder anheuern lassen“. Und so bleibt der nette Killer von nebenan Objekt eines Spiels, in dem es keine Regeln gibt, außer derjenigen, dass es keine Spielregeln gibt.

In diesem Spannungsfeld machen Randa Chahoud („Tatort“) und Soleen Yusef („Der NSU-Prozess“), was ihre Showrunner bereits den Regisseuren zuvor mit auf den global gefeierten, vielfach prämierten Weg gegeben haben: Ein achtteiliges Historytainment, das mit weniger Pathos und mehr Humor als alle vergleichbaren Formate zeigt, wie bizarr, verrückt, wie moralisch verrottet, ideologisch fragil der Ost-West-Konflikt beiderseits vom Eisernen Vorhangs war.

Dafür hat der Writers Room um Head-Autorin Anna Winger erneut Bücher kreiert, die ihr Mann Jörg mit einer Riege Superstars realisieren konnte, zu dem jetzt auch noch die cineastisch ausgebuchte Corinna Harfouch gesellt. Da könnte man fragen, warum es die Ufa auf so guter Schriftgrundlage nicht mal mit weniger Prominenz versucht. Andererseits: wer eine Schauspielerin wie diese dafür gewinnen kann, das Vermögen der DDR-Staatsbank als Tarn-Frau von Sylvester Groth alias Generalmajor Schweppenstette vorm Zugriff westlicher Geldinstitute zu retten, greift natürlich zu.

Selbstbestimmte Frauen im Zentrum

Zumal es für einen Typus steht, der die Serie ab Freitag noch mehr prägt als alles Augenzwinkern, Mitfiebern, Kulissenschieben: in keinem Mainstreamprojekt standen je so viele, so eigensinnige, so selbstbestimmte, so vielschichtige Frauen im Zentrum einer Actionstory. Während fast alle Männer einflussreiche, aber schwächliche Profilneurotiker sind, geben sich die Charaktere von Lavinia Wilson, Anke Engelke, Lena Lauzemis, Florence Kasumba und Corinna Harfouch die Klinken in die Hand und finden dort meistens Maria Schrader als virtuosestes Alphatier Leonora Rauch. Wenn Uwe Preuss als Markus Fuchs alias Wolf vorm Untergang Ost eine Pistole als Ultima Ratio seiner Rückgratlosigkeit zeigt, bittet ihn seine Frau zur Raison: „Das hier ist nicht der Zweiten Weltkrieg, Markus. Und du bist nicht Adolf Hitler.“

Umso bedrückender ist es, wie die Herren der realpolitischen Schöpfung Freunde, Genossen, Götter verraten, um ihre schwitzende Haut zu retten. Wie sie mit Phrasen der Art von „harte Zeiten erfordern harte Maßnahmen“ noch rasch Bürgerrechtler beseitigen und mit deren Idee einer Treuhand deutsche Banker bestechen. Weil Musik, Mode, Brauchtum zudem auch in „Deutschland ’89“ nur Accessoires bleiben, also ausnahmslos im Dienst der Funktionalität, bildet die dritte Staffel den sehr soliden Abschluss eines Massenproduktes für den Weltmarkt. Und zeigt nebenbei, dass der Sieg des Kapitalismus über den Kommunismus langfristig betrachtet doch kein solcher Triumphzug war.

Jan Freitag

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