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Mit 35. Sonja (Christiane Paul, links) lässt es zum Fest im Kreise ihrer Lieben krachen.

© Netflix

Deutsche Netflix-Serie "Zeit der Geheimnisse": Ist das Frauenleben nicht schön?

Weggehen, um Weihnachten heim zu kommen: Die Miniserie „Zeit der Geheimnisse“ mit Christiane Paul erzählt eine virtuos verschachtelte Familiengeschichte

Ja, ist denn heut‘ schon Advent? Nö, es geht ja erst auf Totensonntag. Und doch macht sich im Fernsehen schon der Duft von Zimt und Tannennadeln breit. Auch Netflix leistet seinen Beitrag zum immer zeitiger einsetzenden Weihnachtsgeschäft. Und zwar mit dem erbaulichsten Genre der Familienunterhaltung: dem Weihnachtsfilm. Der kann sich im Fall von „Zeit der Geheimnisse“ durchaus auch mal in eine in zeitgemäße Mini-Serie verwandeln. Unterteilt in Episoden von 40 Minuten Länge.

Der Dreiteiler spielt nicht in einer verschneiten Kleinstadt wie Frank Capras Klassiker „Ist das Leben nicht schön?“, die Mutter aller Weihnachtsfilme. Sondern an einem ebenso pittoresken Ort: In einem Reetdachhaus, das wie eine Wind umbrauste Arche auf Dünen an der Nordsee thront. „Egal, wie weit wir versuchen von der Familie wegzukommen. Weihnachten müssen wir alle zurück“, verkündet die Erzählerinnenstimme eingangs die unumstößliche Sitte. Und schon trudeln die erwachsenen Kinder ein, die in der Familiengeschichte von Drehbuchautorin Katharina Eyssen allesamt Töchter sind.

„Die Frauen in dieser Familie sind wie die Wellen auf dem Meer“, raunt die Erzählerin, „sie stoßen sich ab, sie ziehen sich an.“ Ein hoch symbolisches Setting also, das die durch „Deutschland 83“ und zahlreiche Krimiformate erprobte Regisseurin Samira Radsi da mit einem erlesenen Ensemble auslotet. Barbara Nüsse spielt Uroma Alma, die 1945 als Flüchtlingsmädchen aus dem Osten im wackeligen Kahn im Haus am Meer anlandet.

Corinna Harfouch verkörpert Oma Eva, die in der Jetztzeit auf dem Sterbebett landet und zuvor noch die Leichen im Keller der Familie ausgräbt. Svenja Jung und Leonie Benesch spielen die bei ihr aufgewachsenen Enkelinnen Vivi und Lara, die weder Leben noch Liebe so richtig im Griff haben. Und dann ist da noch Mutter Sonja, eine trockene Alkoholikerin, die ihr Leben lang ohne Rücksicht auf die Kinder durch die Welt geflippt ist.

Diese „Rabenmutter“ darzustellen, ist ein dankbarer Job für Christiane Paul, die im Gespräch von der Herausforderung erzählt, die Sonja mit 35 als radikale Ausbrecherin und mit 55 als reumütige Heimkehrerin zu spielen. Die sprichwörtliche verlorene Tochter, die zum Fest wieder in den Schoß der nervigen, aber sich am liebgewonnenen Ritual erwärmenden Familie drängt.

Christiane Paul liebt Weihnachtsfilme

Ja, unterm Tannenbaum ist Blut noch viel dicker als Wasser. Christiane Paul weiß das. Sie guckt gern Weihnachtsfilme und offenbart sich als Fan von „Family Stone“, einer US-Weihnachtskomödie mit Diane Keaton, Sarah Jessica Parker und Claire Dane. Rührend und lustig zugleich. „Diese Art von Entertainment, Comedy und Tiefe zusammenzubringen, suche ich in Deutschland so oft.“

„Zeit der Geheimnisse“ hilft da nicht wirklich weiter. Zwar haben die verwirrten Greisinnen das Komik-Monopol gepachtet, doch den Grundton setzen Drama und Sentiment. Die Generationen sind in verschiedenen Altersstufen und Zeitebenen miteinander verzahnt, wie virtuos montierte Rückblenden erzählen.

Mit 55. Sonja (Christiane Paul) hat die Schnauze vom Rumflippen voll.
Mit 55. Sonja (Christiane Paul) hat die Schnauze vom Rumflippen voll.

© Netflix

Die Hauptstränge umfassen Weihnachtstage in den Jahren 1990, 2004 und 2019. Klar, feiern auch Männer als Gatten, Väter, Freunde mit, doch sie bleiben Beiwerk, sind reduziert auf Nebenfiguren. Familiengeschichten auch oder ganz über Frauenfiguren zu erzählen, gewinnt immer mehr an Bedeutung. Produzenten und Kinobetreiber hätten schon immer gewusst, dass es die Frauen sind, die entscheiden, was geguckt wird, glaubt Christiane Paul. Inzwischen bekleideten immer mehr Frauen Top-Posten in der Gesellschaft. Also entwickele sich auch in Film und Fernsehen ein komplexeres Frauenbild.  „Da braucht es mehr als die Attribute ,jung und schön‘.“

Das geht in „Zeit der Geheimnisse“ aber nicht ohne die hinlänglich bekannten Eifersüchteleien unter Schwestern oder Rangordnungskämpfen unter Töchtern und Müttern ab. Die Geschlechterkonkurrenz, die Frauen unterschiedlicher Generationen gerne unterstellt wird, hält die zweifache Mutter Paul für gar nicht so weit hergeholt.

Konkurrenz zwischen Müttern und Töchtern

Ab Mitte, Ende 40, wenn der Kinderwunsch abgeschlossen sei, kämen dann irgendwann die Wechseljahre, sagt sie. Mit einer heranwachsenden jungen Frau im Haushalt könne es durchaus zu so einer Konkurrenzsituation kommen. „Es ist nicht leicht zu sehen, wie die Jugend aufblüht und man selbst dabei auf seine Vergangenheit blickt und mit dem eigenen Älterwerden umgehen muss.“

Das Klischee der „starken Frauen“, die Lebenskrisen spielend meistern und die renitenten Lieben an der Festtagstafel durch das Eintrichtern von Kohlehydraten und Mutterliebe befrieden, bedient der Dreiteiler jedoch nicht. Auch wenn die Dramaturgie auf differenzierte Weise den eisernen Regeln des Genres (Zusammenkommen, Zerstreiten, Bereuen, Versöhnen) entspricht.

["Zeit der Geheimnisse" ist ab 20.November auf Netflix zu sehen]

Sie stamme ja aus der ehemaligen DDR, erzählt die 1974 in Berlin-Pankow geborene Christiane Paul, und habe sich mit dem westlich geprägten Frauenbild sowieso nie wirklich identifizieren können. „Ich denke diese Differenzierung in traditionelle Frauen- und Männermuster samt der üblichen Bewertungen nicht.“

Ganz so frei davon ist der Dreiteiler nicht. Immerhin gehört den Frauen hier angesichts neurotischer- oder inhaftierter Väter die komplette Familienkompetenz. Als Berufstätige punktet keine von ihnen. Zumindest ist bei ihren Begegnungen zu Weihnachten nichts davon zu hören oder zu sehen. Wie das so ist in einem Genre, dass sein bittersüßes Aroma aus Kindheitsmythen, Erwachsensehnsüchten und dem Verfliegen der Jahre bezieht.

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