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Sie sind unter uns: Ein verwirrter Professor Boerne (Jan Josef Liefers, links) will Kommissar Thiel (Axel Prahl) von der Existenz außerirdischen Lebens überzeugen.

© WDR/ Kost

Der „Tatort“ aus Münster: Nicht von dieser Welt

Die Münsteraner „Tatort“-Folge über Verschwörungsmythen ist eine zumeist gelungene Gratwanderung zwischen Krimi und Klamauk.

Es ist so weit: Der Glaube an Echsenmenschen und die große Weltverschwörung hat auch den „Tatort“ erreicht. Zum Zentrum des unwissenschaftlichen Irrsinns wird die westfälische Universitätsstadt Münster, was insofern Sinn macht, als man am Schauplatz der populären Krimi-Comedy ohnehin keinen bierernsten Themen-„Tatort“ erwartet.

Sich einfach nur über die Anhänger von Verschwörungsmythen lustig zu machen, wäre allerdings die billigste Lösung. Tatsächlich versuchen Drehbuchautorin Astrid Ströher und „Tatort“-Debütant Sven Halfar (Regie) in der Folge „Propheteus“ eine Gratwanderung: Die absurden Vorstellungen bleiben im Bereich des Möglichen, während gleichzeitig die reale Welt ins Absurde gesteigert wird.

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Die Idee geht nicht durchgehend auf, aber so unterhaltsam skurril und „nicht von dieser Welt“ ging es zuletzt bei der Folge „Limbus“ (2020) zu, als der selbstverliebte Pathologe Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) in eine Welt auf der Grenze zwischen Leben und Tod geriet.

[„Tatort – Propheteus“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15]

Auch in „Propheteus“ scheint vor allem Boerne dem Wahnsinn nahe, schließlich sieht man ihn die meiste Zeit in einem Hawaii-Hemd herumlaufen. Die Kamera von Timo Moritz filmt ihn gerne aus Nahdistanz, was die durchgeknallte Aura des Herrn Professor unterstreicht.

Der Clou dieser Folge sind aber zwei „Men in Black“-Zitate, die androgynen Verfassungsschutz-Agenten Muster und Mann, dargestellt von den Zwillingsschwestern Melanie und Daniela Reichert. Der unterhaltsame Schock ihres ersten Erscheinens verfliegt aber schnell. Wenn Muster und Mann den Pathologen Boerne und den Kommissar Frank Thiel (Axel Prahl) verhören, wirkt ihre roboterhafte Strenge eher albern.

Turbulenter Beginn, charmantes Finale

Immerhin, einen einigermaßen ernst zu nehmenden Kriminalfall mit turbulentem Beginn und charmantem Finale gibt es auch. Los geht es in einer Bowlinghalle, wo der veilchenverzierte Hawaii-Boerne aus tiefer Niedergeschlagenheit erwacht. Auf dem Weg zur Polizei wird er bereits von den beiden Agenten verfolgt, ehe er auf der Wache in eine laufende Geiselnahme platzt. Pleite-Metzger Udo Kayser (Matthias Komm) hat Thiel und Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann) mit vorgehaltener Waffe in seine Gewalt gebracht. Offenbar fühlt er sich zu der höheren Mission berufen, die Menschheit vor „Versklavung und Ausrottung“ zu bewahren. Nachdem sich Boerne als Geisel-Ersatz für die Staatsanwältin selbst eingewechselt hat, mündet die dramatische Situation in ein tragikomisches Finale auf dem Dach. Ein kleiner Hund, der aus dem Nichts angeschossen kommt, spielt dabei die entscheidende Rolle.

Die Vorgeschichte beginnt mit einem Leichenfund vor vier Tagen und wird nun in Rückblenden erzählt, während Thiel und Boerne von Muster und Mann getrennt in die Zange genommen werden. Dem ledigen Programmierer Magnus Rosponi war in seiner mit Warenkartons vollgestopften Wohnung der Schädel eingeschlagen worden. Dass er der Jugendschwarm von Boernes Assistentin Silke Haller (ChrisTine Urspruch) war, spielt nur bedingt eine Rolle. Der implantierte Chip in Rosponis Kopf weckt allerdings die Neugier des Pathologen, während Thiel gleichzeitig das Umfeld des Opfers ausleuchtet.

[Alle Folgen des True-Crime-Podcasts Tatort Berlin des Tagesspiegels finden Sie hier]

Wie sich herausstellt, gehörte Rosponi einer Gruppe namens „Sisundus“ an, die daran glaubt, dass Außerirdische längst unter uns leben. Auch mit Udo Kayser hatte Rosponi Kontakt, aber es bieten sich noch andere Verdächtige an. Zum Beispiel Jakob Winter (Ismail Deniz), dessen Frau Barbara (Katharina Schmalenberg) eine Affäre mit Rosponi hatte. Vielleicht waren aber auch Rosponis Prepper-Freunde sauer auf den kaufwütigen Programmierer.

Der übereifrige Boerne gerät schließlich ins Visier von Muster und Mann, weil er gerne in der „Sie sind unter uns“-Szene mitmischen möchte. Natürlich mit angemessen hochfliegendem Pseudonym: „DaVinci 2.0“. Boerne besteht – wissenschaftlich korrekt – darauf, dass man die Existenz außerirdischen Lebens nicht ausschließen könne. Dass er zu den Aluhut-Trägern überläuft, ist nicht zu befürchten. Ob er an intelligentes Leben irgendwo im Weltall glaube, fragt ihn Thiel am Ende. „Ich wäre schon zufrieden, wenn es intelligentes Leben hier auf der Erde gäbe“, antwortet der Professor mit einem zeitlos schönen Boerne-Satz.

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