zum Hauptinhalt
Üble Energie: Ex-Knacki Tarek Elvan (Sahin Eryilmaz) gerät unweigerlich unter Verdacht.

© WDR/Bavaria Fiction GmbH/Martin Menke

Der „Tatort“ aus Köln: Wenn Frauen Gewaltverbrecher lieben

Mehr Schnecke als Ferrari: Die Kölner „Tatort“-Folge „Reiz des Bösen“ handelt von „Hybristophilie“.

Krankenschwester Susanne Elvan (Neshe Demir) wird auf dem Weg zur Arbeit von einem Unbekannten niedergestochen. Das Opfer hinterlässt eine jugendliche Tochter Mia (Tesha Moon Krieg), die „auf keinen Fall“ in der gemeinsamen Wohnung bleiben möchte. Denn dort lebt auch Tarek Elvan (Sahin Eryilmaz), den Susanne vor einem Jahr geheiratet hat – einen Gewaltverbrecher, mit dem sie während dessen Haftzeit eine Brieffreundschaft begonnen hatte. Mia nennt ihren Stiefvater „irre“. Später erklärt sie den Kölner „Tatort“-Kommissaren Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär), Tarek sei eigentlich immer ganz friedlich gewesen, aber: „Wenn er wütend wird, dann hat er so eine üble Energie.“

Die romantisch veranlagte Menschheit ist sich nicht ganz einig: Macht Liebe blind? Oder macht sie stark? Vielleicht sogar so stark, dass sie den Partner in einen besseren Menschen verwandeln kann? Was erhoffen sich Frauen, die Liebesbriefe an inhaftierte Gewaltverbrecher schicken und diese schließlich heiraten, obwohl ihre Männer gemordet und vergewaltigt haben? Dieses Phänomen ist bekanntlich nicht ganz neu. Schon Charles Manson habe „wäschekörbeweise“ Liebesbriefe bekommen, erfahren die Zuschauer in „Reiz des Bösen“.

[„Tatort – Der Reiz des Bösen“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15]

Der Film von Arne Nolting (Drehbuch) und Jan Martin Scharf (Drehbuch, Regie) gehört also zu jenem Krimi-Genre, in dem die Liste psychischer Krankheiten durchgearbeitet wird. Irgendwann fällt auch der Fachbegriff „Hybristophilie“. An anderer Stelle ist vom „Rotkäppchen-Syndrom“ die Rede, wobei das wackere Rotkäppchen für die psychologische Vermutung herhalten muss, unschuldige Mädchen fühlten sich vom bösen Wolf angezogen.

Die üblichen Verdächtigen

Tarek verhält sich so, wie es sich für einen Verdächtigen gehört. Und solche Figuren sind am Ende selten der Täter. Der zweite Kandidat ist Mias leiblicher Vater Torsten (Nikolaus Benda). Kurz vor dem Mord hatte er mal wieder Streit mit Susanne. Noch so ein Typ, der sich nicht ganz in der Gewalt zu haben scheint. Oder war die Anstalts-Psychologin Bianca Ambach (Tanja Schleiff), die selbst mit einem Ex-Knacki verheiratet ist, womöglich eifersüchtig auf Susanne?

Parallel entwickeln Nolting und Scharf, die beide für „Club der roten Bänder“ und „Weinberg“ Grimme-Preise erhalten hatten, einen zweiten Handlungsstrang. Die alleinstehende Ines (Picco von Groote) besucht einen Tag vor seiner Entlassung den Häftling Bastian „Basso“ Sommer (Torben Liebrecht), mit dem sie zusammenziehen will. Denn „Basso“ sei nicht mehr der Mensch, der er mal war. „Ich fühl das“, sagt Ines zu ihrer besorgten Arbeitskollegin. Ines’ Sohn Lenny (Wulf Kurscheid) ist da ganz und gar anderer Meinung und begegnet dem Fremden abweisend.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Die zunehmend beklemmende Atmosphäre in dieser Kleinfamilie und das starke Spiel insbesondere von Picco von Groote sorgen erst einmal für mehr Spannung als die Ermittlungsarbeit des eingespielten Kölner Teams. Dass Schenk diesmal in einem knallroten Ferrari-Cabrio vorfährt, lässt zwar auf eine gewisse Rasanz hoffen. Aber wenn sich der üppig gebaute Schauspieler Bär hinters Lenkrad des Sportwagens klemmt, wirkt das eher ulkig. Als kontrastierende Geschwindigkeits-Metapher haben sich die Autoren den nicht minder ulkigen Gag ausgedacht, dass Assistent Norbert Jütte (Roland Riebeling) auf seiner Computer-Tastatur im Kommissariat eine Schnecke vorfindet.

Eine Überraschung gelingt Nolting und Scharf mit der entscheidenden Handlungs-Wende vor dem Finale. Das versöhnt ein bisschen mit diesem lange Zeit routiniert durch Köln zuckelnden „Tatort“. Und dabei der Schnecke näher ist als dem Ferrari.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false