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Die Kommissare Lenski (Maria Simon) und Raczek (Lucas Gregorowicz) bekommen es mit Verwicklungen von Politik, Wirtschaft und Justiz zu tun.

© RBB/Degeto/Oliver Feist

Der „Polizeiruf 110“ des RBB: Spaltbare Stoffe an der polnisch-deutschen Grenze

Energiewende, Pressefreiheit, Unabhängigkeit der Justiz: Selten zuvor hat der „Polizeiruf 110“ des RBB die Chancen eines Krimis im deutsch-polnischen Grenzgebiet so ausgespielt wie in „Tod einer Journalistin“.

So hat man sich den „Polizeiruf 110“ des Rundfunk Berlin-Brandenburg mit seiner Fokussierung auf die deutsch-polnische Grenzregion immer gewünscht: mit aktuellen Themen jenseits der häufig vorzufindenen Klischees über die jeweils andere Seite von Oder und Neiße. Der Episode „Tod einer Journalistin“ gelingt dies eindrucksvoll. Keine Autoschieberbanden, keine Schleuser, die die Region als Rückzugsort missbrauchen. Dafür gleich mehrere politisch hoch brisante Themen, die in diesen „Polizeiruf“ eingeflossen sind. [„Polizeiruf 110: Tod einer Journalistin“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15]

Worum geht es? Die investigativ arbeitende Reporterin Anne Gerling (Antje Traue) stirbt in ihrem Auto. Dass die Schrauben an allen vier Rädern gelockert waren, spricht gegen einen gewöhnlichen Verkehrsunfall und ruft die Kommissare Olga Lenski (Maria Simon) und Adam Raczek (Lucas Gregorowicz) auf den Plan.

Die Kraftwerkspläne sind real

Die Journalistin war auf Umweltthemen abonniert und recherchierte aktuell die Hintergründe zum Bau eines Kernkraftwerks auf polnischer Seite der gemeinsamen Grenze mit Deutschland. Das östliche Nachbarland plant tatsächlich den Bau von zwei Atomkraftwerken, allerdings nicht direkt in Grenznähe, sondern nordwestlich von Danzig an der Ostsee. Bislang gewinnt Polen seine Energie zu 80 Prozent aus Kohle, das Land führt die Liste der am stärksten belasteten Städte in Europa mit Abstand an. Ab 2033 will Polen einen Teil des Stroms aus der Kernkraft gewinnen. Noch sind die Pläne nicht abschließend festgezurrt, Umweltschützer laufen aber dennoch schon jetzt Sturm dagegen.

Der neue „Polizeiruf“ – Regie führte Stephan Rick, das Drehbuch schrieben Silja Clemens, Stephan Rick und Thorsten Wettcke – ist somit hochaktuell. Auch im TV-Krimi ist die Ansiedlung hoch umstritten. Umweltschützer wollen die Pläne gerichtlich stoppen. Das juristische Verfahren steht kurz vor dem Abschluss. Pikant daran: Der Krimi beginnt mit einer Szene, in der die Journalistin in eindeutiger Weise mit einem Mann in einem Hotelzimmer zu sehen ist. Wenig später zeigt sich, dass es sich um Lukasz Franczak (Maciej Stuhr), den leitenden Richter des AKW-Prozesses, handelt.

Damit ist der TV-Krimi gleich beim zweiten brisanten Thema: der polnischen Justiz beziehungsweise der Justizreform in Polen, mit der die konservative Regierung in Warschau Teile der Bevölkerung, aber auch viele andere Mitgliedsländer der Europäischen Union gegen sich aufgebracht hat. Mit der Reform verstoße Polen eindeutig gegen EU-Recht, lautet die Kritik aus Brüssel. Die Frage im „Polizeiruf“ lautet entsprechend: Wie unabhängig kann ein Richter in Polen über die Ansiedlung eines Kernkraftwerks entscheiden, wenn wichtige Posten nach politischer Willfährigkeit vergeben werden? Richter Franczak wird von einem Staatssekretär, mit dem er persönlich befreundet ist, ein Platz am Obersten Gericht in Warschau angeboten.

"Journalisten - in Europa zum Abschuss freigegeben"

Annes Vater Eric Gerling (Max Herbrechter) stellt noch einen anderen Zusammenhang her. „Kuciak und Galizia, in Europa sind Journalistin Freiwild, zum Abschuss freigegeben“, beklagt er. Die Investigativjournalistin Daphne Caruana Galizia wurde im Oktober 2017 auf Malta mit einer Autobombe getötet. Der slowakische Reporter Ján Kuciak und seine Verlobte wurden nur wenige Monate später im Februar 2018 erschossen. Eric Gerling, früher ebenfalls Journalist, macht sich nun auf, den Mörder und seine Hintermänner aufzuspüren.

Antje Traue, die die tote Journalistin spielt, hatte erst vor einigen Monaten zusammen mit Michael Gwisdek in der ZDFneo-Krimireihe „Dead End“ Verbrechen in der brandenburgischen Provinz aufgeklärt. Sie als eine in den USA ausgebildete Forensikerin, Gwisdek als örtlicher Leichenbeschauer. Ihr Einsatz im „Polizeiruf“ ist erstaunlich kurz, ihre Figur spielt für den Fall jedoch die zentrale Klammer. Auch das unterscheidet diesen „Polizeiruf“ von vielen anderen Krimis, in denen die Mordopfer häufig genug nur den Anlass für die Ermittlungen hergeben, aber sonst schnell vergessen sind.

Dass die neue Folge des RBB-„Polizeirufs“ eine der letzten mit Maria Simon ist, wird hingegen nicht thematisiert. Die Schauspielerin hatte im Februar angekündigt, dass ihre Kommissarin Olga Lenski im Herbst 2020 ihren letzten Einsatz haben wird. Als sie 2011 zum RBB-Krimi kam, spielte sie noch an der Seite von Horst Krause. Nun will sie „weiterziehen, weiterlernen und Neues entdecken“. Lucas Gregorowicz wird dagegen weiter als Adam Raczek ermitteln. Beim RBB-„Tatort“ steht eine ähnliche Veränderung an. Meret Becker hat für 2022 ihren Ausstieg aus der Reihe angekündigt, Mark Waschke bleibt im Dienst.

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