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Fast 13 Millionen Zuschauer verfolgten Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei seiner Fernsehansprache am Sonntag.

© dpa

Der Kanzler auf allen Kanälen: Scholz-TV?

In der Fernsehpräsenz des Kanzlers steckt zwar ein Entgegenkommen der Sender, doch ein Kanzlerfernsehen ist nicht zu erkennen. Ein Kommentar.

Sucht Olaf Scholz sein Heil in der Medienoffensive? Selbstverständlich ist ein Bundeskanzler stets in der Öffentlichkeit, jeder Auftritt wird in und von den Medien begleitet. Trotzdem hat sich der Eindruck eingestellt, dass der Regierungschef seine Position und seine Politik im Kontext des Ukraine-Krieges zu selten, auf jeden Fall zu selten eindeutig vertritt.

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Das galt es zu reparieren. Also nahm Scholz am Sonntag den Jahrestag des Weltkriegsendes in Europa am 8. Mai 1945 zum Anlass einer Fernsehansprache. Wenn es dem Kanzler um Aufmerksamkeit ging, hat er sein Ziel klar erreicht: Fast fast 13 Millionen haben Scholz’ Auftritt bei ARD und ZDF, bei RTL und ntv und anderswo verfolgt. Eine Quote, die nur ein „Wetten, dass...?“-Revival oder ein Spiel der deutschen Nationalmannschaft bei EM/WM erreicht.

Die Öffentlich-Rechtlichen wie die Privaten haben ihre Dividende aus der Ansprache gezogen, indem sie die Scholz-Rede in ihre quotenstarken Hauptnachrichten, respektive an ihr Ende gesetzt haben. Der Kanzler hat, was den beabsichtigten Magnetismus seiner Rede betraf, richtig gehandelt. Er hat coram publico kommuniziert, mag sich danach auch jeder seinen eigenen Reim darauf gemacht haben.

Obrigkeitsdenken als Sendervoraussetzung

Mit dem vermehrt öffentlichen Bundeskanzler geht eine Frage einher, die Medienskeptiker als Bestätigung betrachten könnten: Huldigen die Sender, insbesondere ARD und ZDF, unverändert einem Obrigkeitsverständnis, wonach sofort Programmfläche eingeräumt wird, wenn der Bundeskanzler es verlangt?

Nun ist es selbstverständlich, dass das reichweitenstärkste Medium sich daran beteiligt, wenn verantwortliche Politiker ihre Fuchsbauten verlassen und den öffentlichen Diskurs befördern. Eine parlamentarische Demokratie funktioniert und muss auch als Mediendemokratie funktionieren.

Eine Fernsehansprache ist keine Journalistenrunde, keine Talkshow, keine Bundespressekonferenz. Einer redet, die anderen hören zu. Das hat etwas Hoheitliches, wenn nicht Absolutistisches.

Gabor Steingart kritisiert

Gabor Steingart, Herausgeber von „The Pioneer“, hat ARD und ZDF hart kritisiert (die privaten Sender hat er geflissentlich übersehen). Die Sender sind für Steingart „in der Theorie zwar staatsfern, in der Praxis aber kanzlernah". Steingart nennt die Dramaturgie der Sendung: „100 Prozent Scholz, Null-Journalismus“. Abgesehen davon, dass der Journalismus den Scholz-Auftritt im Anschluss lang und breit analysiert hat, präpariert Steingart in seiner Verve doch einen naheliegenden Verdacht heraus: Das Fernsehen wird zum Scholz-TV. Es ist schon erkennbar, dass kein Sender absagt, wenn aus dem Kanzleramt die Anfrage zum Auftritt kommt.

Fernsehansprache, „Was nun, Herr Scholz?“ im ZDF, am 16. Mai ist der Kanzler zu Gast bei „RTL Direkt Spezial“. In der Sendung „Kann der Kanzler Krise?“ werde sich Scholz den Fragen der Bürgerinnen und Bürger im Studio stellen. Journalisten-Gespräch, Townhall-Austausch, das erst sind die Formate, die die Ansprache – realiter eine Ansage – in einen Diskurs überführen.

Merkel hat TV-Auftritte rationiert

Angela Merkel hat ihre TV-Auftritte sorgsam rationiert, sie ging – außer bei den Neujahrsansprachen – nur dann vor die Kameras oder zu „Anne Will“, als die Flüchtlingskrise auf ihrem Höhepunkt angelangt war oder das Wahlvolk vernehmbar murrte. In der Hoffnung und vielleicht mit der Überzeugung, dass ein direktes und nicht ein vermitteltes Wort die Sichtweise auf ihre Politik verändern werde.

Das waren bei Angela Merkel und sind bei Olaf Scholz Krisenauftritte. Entscheidend ist die Politik selbst und nicht die Erzählung darüber. Oder um Steingart fortzusetzen: 100 Prozent Scholz sind auch 100 Prozent Gefahr – für den Politiker und die für Sender. Ansprachen beruhen auf Absprachen.

Für das (öffentlich-rechtliche) Fernsehen heißt das: Der Überbringer einer Nachricht kann mindestens so schnell in Verschiss geraten wie der Urheber.

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