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A man has to do what a man has to do. Ulrich Kainer (Martin Wuttke) sieht sich gezwungen, seine Waffe für sich sprechen zu lassen.

© HR

Der Himmel in Hessen hängt voller Blei: Ich schieße, du schießt, er schießt, wir ...

„Heute stirbt hier Kainer“: Eine Westernposse in der ARD mit einem überragendem Martin Wuttke in der Hauptrolle.

Ein irrer Film. „Heute stirbt hier Kainer“ ist ein Western, obwohl, kann das sein, Schauplatz ist das Dorf Oberöhde, was im Hessischen liegen soll. Also ein hessischer Western, logisch, wurde ja produziert vom Hessischen Rundfunk, von der dortigen Fernsehfilm-Werkstatt, einst angeführt von Liane Jessen, jetzt von Jörg Himstedt. Dort ist dieser außerordentliche Kommissar Murot, gespielt von Ulrich Tukur, kreiert worden. „Im Schmerz geboren“ beispielsweise war der „Tatort“ mit Dutzenden von Toten, getreu den Shakespeare-Dramen, denen der Krimi seine Reverenz erweisen wollte. Das Buch stammte damals von Michael Proehl, und dieser Autor steht zusammen mit Maria-Anna Westholzer auch für das Drehbuch von „Heute stirbt hier Kainer“ ein.

Ein Mann mit einer Krebsdiagnose

Aber ehe wir abschweifen, worum geht es denn in diesem Film? Kainer, Ulrich Kainer (Martin Wuttke), hat eine deprimierende Krebsdiagnose bekommen. Der Frührentner mit fragwürdiger (Killer?-)Vergangenheit will seine letzten Tage in der Abgeschiedenheit eines beschaulichen Dorfes verbringen. Er erzählt den Zuschauerinnen und Zuschauern, was seine Absicht war: „Ruhe. Ich wollte einfach nur Ruhe. Einen Teller Kürbissuppe vielleicht.“ Aber „seien wir ehrlich: Urlaub auf dem Bauernhof ist auch nicht mehr das, was es einmal war.“

Und das kommt so: Der italienische Gastwirt Cesare (Michele Cuciuffo) gibt ihn im Kampf gegen seinen Widersacher als blutrünstigen Mafioso aus, seine Quartiermeisterin, die Bäuerin Marie Abel (Britta Hammelstein), sieht in ihm mehr den Mann als den Gast, eine diverse, avantgardistische Schlägertruppe rückt Adolf Nazi in sich zurecht, ein arroganter, unkorrekter Kommissar Decker (Justus von Dohnanyi) verachtet die Dörfler und tritt zum Duell mit Kainer an.

["Heute stirbt hier Kainer", ARD, Mittwoch, 20 Uhr 15]

Was da über 90 Minuten abläuft, ist eine Provinz-Posse mit Kugeln, Sex, Geld und einem Dart-Turnier. Das Finale ist wie einst das Finale am O. K. Carrol in Tombstone: blutig. Deutschland kann auch Western-Country sein. Martin Wuttke fühlte sich beim Lesen des Drehbuchs an „The Shootist – Der letzte Scharfschütze“ erinnert, den letzten Film mit John Wayne, Selbstbildnis des Künstlers als sterbender Revolverheld. So ist Kainer: stoisch und pragmatisch, der Moment ist der Moment, seine Haltung, die sich alles offenhält, er sucht, wenn er handelt, keine Erklärungen und keine Entschuldigungen. Das eherne Prinzip der Western Justice im Hessenland.

Positiv, negativ, komisch

Der Film ist in seiner Art herausfordernd und mutig, er passt nicht in die gängige Fernsehfilmlandschaft. Er sieht seine Geschichte und ihre Protagonistinnen und Protagonisten von drei Seiten: positiv, negativ und komisch. Er integriert zornige Tiere und einen Goldfisch, er markiert die Dorfgemeinschaft als durchwegs doof, aber nur doof sind die Oberröhder nicht. Land und Landbewohner haben ihren eigenen Witz, ihre besondere Schläue. Der Mond hängt tief über Oberöhde. Das hat seinen Grund. Der Kommissar wird es erfahren – und nicht nur er.

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Maria-Anna Westholzer hat die Aufgabe übernommen, dieses Stück Fernsehen zu inszenieren. Sie gibt dem Affen Zucker, sie lässt die Revolver sprechen, bald hängt der Himmel voller Blei, die Regisseurin gibt den Orten ihre Symbolkraft, sie werden Projektionsfläche wie die Figuren selber.

Wobei Kainer, Marie oder Decker nicht aufs Gefallsüchtige aus sind, dank Martin Wuttke, Britta Hammelstein und Justus von Dohnanyi bleiben die Menschen nicht in der Westernattrappe stecken. Insbesondere die Hauptfigur Kainer, Ulrich Kainer, schlappt in eine philosophierende Ecke wie ein alter Löwe, der zum Sterben in die Steppe zieht.

Spaß am Aberwitz

In diesem Aberwitz vor Dorfkulisse ist es wichtig, dass das Ensemble Spaß am Aberwitz hat. Hat es, aber keiner und keine drückt eben aufs Witzpedal, es wird unfreiwllig und damit umso komischer. Wenn ein Film in seinen Nebenrollen mit Größen wie Jule Böwe, Christian Redl und Martin Feifel aufwarten kann, dann ist Treffsicherheit garantiert. Und Martin Wuttke? Dieser Schauspieler mit faszinierender Geschichtslandschaft und tief knarzender Stimme ist seiner und des Ulrich Kainer sicher. Muss man sehen, muss man bewundern.

„Heute stirbt hier Kainer“. Ob das stimmt? Nicht nur der Goldfisch wartet auf eine Antwort.

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