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Echte Freunde. Alt-Kanzler Gerhard Schröder (li.) unterhält sich in der AWD-Arena von Hannover 96 mit Finanzunternehmer Carsten Maschmeyer, der 1998 die Anzeigenserie „Der nächste Kanzler muss ein Niedersachse sein“ schalten ließ. „Der Hannover-Komplex“ läuft am Montag, 22 Uhr 45, ARD. Regie führte Grimme-Preisträger Lutz Hachmeister. Foto: WDR

© WDR/ddp images/Nigel Treblin

Der Hannover-Komplex: Interview mit Lutz Hachmeister: "Wulff hat Schröder immer beneidet"

Hannover-Connection: Grimme-Preisträger Lutz Hachmeister über große Politik im Krökelkeller, Netzwerke und die Wulff-Affäre.

Herr Hachmeister, Sie wollten ursprünglich einen Film über Christian Wulff machen, entstanden ist ein Film über Hannover. Wie kam das?

Wulff hatte wohl dem NDR ein Exklusivinterview versprochen, das er dann nicht gegeben hat. Das hat dann zunächst andere Recherchen und Filmprojekte blockiert. Bei mir ist aus dem ursprünglichen Plan ein Film über das politische Hannover geworden. Die Wulff-Affäre kommt natürlich darin prominent vor. Jetzt ist der Film ziemlich zeitlos, und man kann ihn immer wieder senden.

Hauptprotagonisten des Films sind Sigmar Gabriel, der Staranwalt Götz von Fromberg, Gerhard Glogowski, Dirk Roßmann, die zentralen Figuren Schröder, Wulff, Maschmeyer fehlen, wollten die nicht?
Schröder hatte ich schon für meinen Film über die SPD interviewt, für „Hannover“ hat er höflich abgesagt mit der Begründung, über seine Amtsführung als Niedersächsischer Ministerpräsident sollten andere urteilen. Ich denke aber, für ihn gilt dasselbe wie für Maschmeyer: keine Lust auf irgendwelche Verbindungen zur vermuteten oder realen „Hannover-Connection“. Wulff ist ein Spezialfall: er ist einfach traumatisiert und hat seine Sicht der Dinge ja auch in einem etwas larmoyanten Buch präzisiert, wenn man das so sagen kann. Es gibt aber ausreichend Archivmaterial, an der Erzählung des Films hat das nichts geändert.

Schröder ist sicher einer der schillerndsten politischen Figuren made in Hannover, vor allem seine Beziehung zu Carsten Maschmeyer führte immer wieder zu Unmut und Spekulationen, ohne, dass es ihm irgendwie geschadet hätte. Wulff wollte offenbar in jeder Hinsicht in Schröders Fußstapfen treten und ist damit krachend gescheitert. Was unterscheidet die beiden?
Wulff trinkt gerne Bananensaft, Schröder eher nicht. Ganz unterschiedliche Typen. Schröder ist Hannover, hemdsärmelig und nach außen leutselig, Wulff ist dagegen immer ein Katholik aus Osnabrück geblieben. Sie haben aber recht: Wulff hat Schröder immer um dessen Inszenierungsqualitäten beneidet. Als Wulff anfing, mit seiner zweiten Frau glamourös zu werden, war das der Anfang seines politischen Endes.

Der deutsche Sachbuchautor, Filmproduzent und Dokumentarfilmer Lutz Hachmeister.
Der deutsche Sachbuchautor, Filmproduzent und Dokumentarfilmer Lutz Hachmeister.

© picture alliance / dpa

Ist Hannover wirklich ein Hort mafiöser Strukturen und politischer Verfilzung, wie jahrelang behauptet und vermutet?
Es ist alles schon sehr engmaschig dort, mit ihren 500 000 Einwohnern hat die Landeshauptstadt eine ideale Größe für ein parteienübergreifendes Netzwerk aus Politik, Kultur und Sport. Es gibt ein Underdog-Bewusstsein. Hannover war jahrzehntelang außerhalb des überregionalen medialen Fokus, von der Messe und dem Fußballclub mal abgesehen. Mit Schröder, Wulff, Maschmeyer und den Hells Angels sind die Hannoveraner dann medial so entdeckt worden wie ein Indianerstamm im Amazonasgebiet. Aber natürlich ist Hannover nicht Marseille oder Neapel. Und das Rotlichtviertel am Steintor ist sehr klein.

Sie waren ja neulich selbst in Götz von Frombergs legendären Krökelkeller eingeladen, in dem angeblich die große Politik gemacht wurde, was Fromberg selbst bestreitet. Wie ist es denn da nun wirklich?
Ganz lustig, ich war bis fünf Uhr morgens da. Man trifft Otto Rehagel, Peter Veltins, Bodo Hombach, Peter Hartz, nur Männer in der Liga. Und Klaus Meine natürlich. Es gibt Mett, Würstchen und Kartoffelsalat. Ich komme ja aus Ostwestfalen, nahe an der niedersächsischen Grenze, und hab mich da ganz heimisch gefühlt.

Sie waren im Rahmen Ihrer Recherchen viel in Hannover unterwegs und haben auch die Vergangenheit der niedersächsischen Landeshauptstadt aufgearbeitet. Was ist das Besondere an Hannover und seinem politischen Personal?
Niedersachsen war zunächst ein äußerst rechtes Bundesland, die NPD ist ja nicht zufällig in Hannover gegründet worden. Und mit Heinrich Hellwege hatte die „Deutsche Partei“ ihren einzigen Ministerpräsidenten in Niedersachsen. Auch die SPD war dort sehr konservativ.

Wie lange blieb das so?
In den Amtszeiten von Ernst Albrecht und Schröder ist Niedersachsen dann in die Mitte hinein modernisiert worden, wobei Albrecht schließlich so viele politische Skandale am Hals hatte, dass die Wulff-Affäre im Vergleich dazu richtig niedlich wirkt. Also, Hannover verkörpert heute idealtypisch politische Mitte, geografisch seit 1990 ja auch. Und die „Markthalle“ in unmittelbarer Nähe des Landtags ist tatsächlich ein zentraler Kommunikationsort für Politik und Medien. Da kann selbst das „Einstein“ unter den Linden schwer mithalten.

Heute ist vom einstigen kurzen Glanz und der politischen Bedeutung Hannovers nichts mehr übrig geblieben. Was hat sich geändert?
Na, immerhin kommen mit Gabriel, von der Leyen und Steinmeier immer noch zentrale Figuren im Bundeskabinett aus dem Hannover-Kontext. Und Ministerpräsident Stefan Weil ist so eine Art stiller Star in der SPD, in einer personalpolitisch allerdings bedauernswert verarmten Partei. Und die neue RBB-Intendantin Patricia Schlesinger ist gebürtige Hannoveranerin. In dem Hannover-Buch zum Film habe ich mich ja auch mit der Kritik von Tim Renner, dem Berliner Kultur-Staatssekretär, an der „Hannovernication“ der Bundesrepublik beschäftigt.

Was ist an der Kritik dran?
Er mag natürlich den Scorpions-Sound nicht. Aber wenn ich mir morgens so den Tagesspiegel-Checkpoint durchlese, wäre ich als Berliner Politiker sehr, sehr vorsichtig mit jeder Hannover-Kritik.

Wäre so ein Netzwerk, ein politischer Komplex wie in Hannover auch in anderen Städten denkbar?
Nein, es ist in dieser Form sehr besonders. Es gibt den Kölner Klüngel, aber Köln ist nicht Landeshauptstadt. Es gab die CSU-Amigos in München, aber das hatte nicht so viel mit München als Stadt zu tun. Und in Stuttgart kann man kein Hochdeutsch, in Hannover dagegen schon.

„Der Hannover-Komplex“ läuft am Montag, 22 Uhr 45, ARD. Regie führte Grimme-Preisträger Lutz Hachmeister.

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