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Ertappt. Fahri Yardim (r.), sonst virtuoser „Jerk“ an Christian Ulmens Seite, mit einem Cameo-Auftritt als Ladendieb.

© Amazon Prime

„Der Discounter“: Fremdschamparade

Für die Aufmerksamkeitsspannen der Generation Tiktok: Eine Amazon-Prime-Serie bringt das „Stromberg“-Prinzip in den Supermarkt.

Als die Brüder Lumière den Bildern anno 1895 Beine machten, da sorgte ein fahrender Zug im Bahnhof für Schnappatmung beim Saalpublikum. Es sind 126 Jahre vergangen, es wurde nach und nach unmöglicher, schnappatmungstauglich Neues auf Bildschirm oder Leinwand zu bringen. Um beispielsweise Christian Ulmens Mockumentary „Die Discounter“ innovativ zu finden, gibt es zu viele Vorbilder. Welche genau, zeigt eine Zeitreise zum 11. Oktober 2004.

Damals startete ProSieben ein dokumentarisch anmutendes Comedyformat, das Fernsehgeschichte schrieb, aber ebenfalls nur geklaut war: „Stromberg“. Die Kopie der britischen Sitcom „The Office“ machte Christoph Maria Herbst als mobbenden Abteilungsleiter einer fiktiven Assekuranz bekannt. Jetzt wird die Realsatire aus dem Verdauungstrakt bundesdeutscher Mittelmäßigkeit bei Amazon Prime variiert – mit anderem Personal, in anderer Branche, zu anderer Zeit. Wie der Titel andeutet, handelt „Die Discounter“ nicht von einer Versicherungs-, sondern von einer Supermarktfiliale.

In seiner Heimatstadt Hamburg, Bezirk Altona, Typ Multikulti-Mischviertel, eröffnet Produzent Ulmen eine Zweigstelle von Feinkost Kolinski, die Marktleiter Krause (Marc Hosemann) mit strombergscher Inkompetenz zu führen versucht.

Das Inventar ist sanierungsbedürftig, die Ertragslage miserabel, der ganze Laden ökonomisch wie menschlich ein Desaster, alles darin auch deshalb so deprimierend, weil sein Personal aus übermotivierten bis antriebslosen Knalltüten besteht, mit denen alles Mögliche zu machen ist, aber kein Umsatz.

Durch verzweifeltes Online-Dating abgelenkt

Als Krauses Vorgesetzte einen Kontrollbesuch ankündigt, hat dieser einen Sack Probleme, genauer: sieben. Der eitle Peter (Ludger Bökelmann) ist ein geistig-moralischer Zwerg, hält sich aber für den Größten. Die anämische Pina (Klara Lange) dagegen versteht mehr vom Markt als ihr Chef, wird aber durch verzweifeltes Online-Dating abgelenkt, das ihre Kollegin Flora (Nura Habib Omer) gar nicht nötig hat, sich ständig mit Lieferanten im Kühlraum vergnügend („Die Discounter“, Amazon Prime, zehn Episoden, ab Freitag).

Der geringbeschäftigte Packer Samy (David Ali Rashed) kümmert sich eher um seinen Body als ums Warensortiment, das Kassiererin Lia (Marie Bloching) im Tempo tektonischer Plattenbewegungen verkauft. Abgesehen vom schwächlichen Hausdetektiv (Merlin Sandmeyer) verspürt nur Azubi Titus (Bruno Alexander) so was wie Ehrgeiz, den ihm sein Team mit kollektiver Dienstverweigerung auszutreiben versucht.

Wie auch immer diese Belegschaft ihren schlecht bezahlten Alltag verbringt – wie beim anderen Realfiktionsformat der Showrunner Christian Ulmen und Carsten Kelber ist Chaos programmiert. Anders als ihre Fremdschamparade „Jerks“ haben „Die Discounter“ aber den Makel, dass nichts davon neu oder originell ist. Das ganze Konstrukt dieser Mockumentary genannten Fake-Doku wirkt wie eine Abschrift von Ralf Husmanns Fremdschamparade „Stromberg“ – das ist in jeder der zehn Episoden à 17 Minuten spürbar.

Etwa, wenn Marc Hosemanns Marktleiter die Besitzerin auf Visite im breiten Hamburgisch seiner Herkunft mit Spinnen vergleicht: „Die ham ja meist mehr Angst vor einem als man vor ihnen.“ Drei, vier Einkommensstufen der unteren Lohnerwerbsgesellschaft tiefer grüßt aus Marktleiter Krause der ähnlich betriebsblinde Stromberg, den ihm die Brüder Emil & Oscar Benton zusammen mit Hauptdarsteller Alexander ins Drehbuch geschrieben haben.

Wie in ihrer Webserie „Intimate“, wo die drei als Autoren, Darsteller, Regisseure vor, hinter und neben der Kamera stehen, reiht das Trio aus Hamburg eher Clips aneinander, als einer stringenten Story zu folgen. Inhaltlich und ästhetisch auf Youtube-Niveau, richten sich die Einzelteile an Aufmerksamkeitsspannen der Generation Tiktok.

Wenn Fahri Yardim, sonst virtuoser „Jerk“ an Ulmens Seite, einen Cameo-Auftritt als Ladendieb hat, wenn mit dem Kinderstar Lisa-Marie Koroll 50 Prozent von „Bibi und Tina“ hinzukommen, wenn die populäre Rapperin Nura zudem als promiskuitiver Megaproll Flora ihr Schauspieltalent strapaziert, wirkt das Serienkonzept oft eher marktwirtschaftlich als soziokulturell grundiert. Trotzdem sind „Die Discounter“ durchaus sehenswert. Zumindest für jene, die „Stromberg“ nicht kennen.

Jan Freitag

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