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Der Journalist Deniz Yücel liest während der Veranstaltung "Auf die Freiheit" im Festsaal Kreuzberg aus dem Buch "Wir sind ja nicht zum Spaß hier". Es war der erste öffentliche Auftritt nach seiner Haftentlassung.

© Soeren Stache/dpa

Deniz Yücel im Festsaal Kreuzberg: „Hauptsache, du ergibst dich nicht!“

Emotional, aber ohne lautstarke Kritik an der Türkei. Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach der Haftentlassung dankt Deniz Yücel seinen Unterstützern.

Eines muss man der türkischen Justiz offenbar lassen: sie scheint ein gut organisiertes System zu sein. Die „taz“ hatte Deniz Yücel direkt nach seiner Verhaftung ein Knast-Abo eingerichtet – „gelernt ist gelernt“, wie Yücel sagt. Nach Mitte Februar – also nach seiner einjährigen Haft im türkischen Gefängnis Silivri – wurden die Zeitungen ungeöffnet zurückgeschickt. Versehen mit dem Rücksendegrund „Umgezogen“, wie der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel und seine ehemalige „taz“-Kollegin Doris Akrap am Sonnabend erzählten. 800 Freunde und Unterstützer der #FreeDeniz-Kampagne waren im Festsaal Kreuzberg bei Yücels erstem öffentlichen Auftritt nach der Haftentlassung zusammengekommen. Motto des Abends: „Auf die Freiheit“.

„Danke, mir geht es gut, wirklich gut“, sagte Yücel. „Nicht nur, weil ich in Freiheit bin. Auch deshalb, weil ich im Gefängnis versucht habe, mich nicht fertig machen zu lassen. Und weil es viele Menschen gab, die an meiner Seite standen. Das hat mir viel Kraft gegeben.“ Es war ein Abend mit vielen Emotionen, jedoch keiner, den Yücel für Kritik an der Türkei unter Recep Tayyip Erdogan nutzte.

Yücel hatte mehr als ein Jahr lang in der Nähe von Istanbul in Untersuchungshaft gesessen, ohne dass eine Anklage vorlag. Erst mit der Haftentlassung wurde Anklage gegen ihn erhoben. Die Türkei wirft ihm „Propaganda für eine Terrororganisation“ und „Aufstachelung des Volkes zu Hass und Feindseligkeit“ vor. Ihm drohen bis zu 18 Jahren Haft.

Rauchen verboten, Schreiben verboten

Im Festsaal Kreuzberg las Yücel mehrere Passagen aus seinem Buch „Wir sind ja nicht zum Spaß hier“ vor, die Texte entstanden vor und während seiner Haftzeit. Als er im Februar 2017 in Polizeigewahrsam kam, gab es zwei Regeln: Rauchen verboten, Schreiben verboten. Zuerst behalf er sich mit einer abgebrochenen Plastikgabel und roter Sauce vom Essen, doch auf eine Buchseite passten so nur wenige Worte. Bei einem Arztbesuch gelangte er später an einen Stift. Als Notizbuch diente ihm „Der kleine Prinz“. Das Buch hatte ihm seine Frau Dilek über die Anwälte mitgegeben. Den „üppigen Weißraum“ um Bilder und Text im Buch von Antoine de Saint-Exupéry nutzte er für seinen Erfahrungsbericht aus der Polizeihaft. „Das zu machen hat mir Kraft gegeben auch für die Zeit danach. Selbst wenn sie dich fertig machen und dir Papier und Stift wegnehmen wollen, findest du immer noch einen Weg“, sagte Yücel seinen Freunden und Unterstützern. „Und wenn es ein Rauchverbot gibt, organisierst du ein Nikotinpflaster. Hauptsache, du ergibst dich nicht!“

Als Doris Akrap, die Yücels Buch herausgegeben hat, den vollgeschriebenen „Prinzen“ gesehen hat, stellte sie fest, dass er tatsächlich nicht gebrochen war, es ihm „den Umständen entsprechend gut ging“. Dem Publikum zeigte sie eine Seite des Buches mit dem Bild des kleinen Prinzen auf seinem Planet. In fetter Schrift hatte Yücel daneben geschrieben: „Dieses Bild ist gedacht als Aufmacher-Bild“. Die Anweisungen waren für seine Kollegen von der „Welt“ gedacht.

Dass sich seine Situation ändern könnte, hat der deutsch-türkische Journalist Ende 2017 daran erkannt, dass er in den regierungsnahen türkischen AKP-Medien nicht mehr als Agent und Terrorist, sondern als „Welt“-Korrespondent bezeichnet wurde. „Das war ein Fortschritt“. Konkret wurde die Hoffnung am 14. Februar durch ein Interview des türkischen Ministerpräsident Binali Yildirim im deutschen Fernsehen. Yücel gefällt indes die Vorstellung, dass er freigelassen wurde, damit er nicht noch auf Platz eins der Buchcharts kommt.

#FreeThemAll statt #FreeDeniz

Der Hashtag #FreeDeniz wurde unterdessen in #FreeThemAll erweitert, um daran zu erinnern, dass weiterhin Journalisten schuldlos in türkischen Gefängnissen sitzen. Kurt Sagatz

Ein Mitschnitt der Veranstaltung ist hier zu finden: https://www.facebook.com/cosmoard/

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