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Wer missbraucht Polou? Elisabeth „Bessie“ Eyckhoff (Verena Altenberger) kommt der Wahrheit im neuen „Polizeiruf“ gefährlich nah.

© BR

Debüt von Verena Altenberger: Münchner „Polizeiruf“: So stark ist die neue Ermittlerin

Es gibt einen „Polizeiruf“ nach Matthias Brandt: „Matrix“, Freud und die Frage, was man unter Hypnose alles machen kann.

Unter Fans des gepflegten ARD-Krimis am Sonntagabend hat der Münchner „Polizeiruf 110“ besonderen Status. Matthias Brandt als Kommissar Hanns von Meuffels, dazu Regisseure wie Christian Petzold, Dominik Graf oder Hans Steinbichler – kaum eine Folge des BR in den vergangenen acht Jahren, die nicht aus dem Rahmen des Standard-90-Minüters herausragte. Als Brandt 2017 bekannt gab, aus dem „Polizeiruf 110“ auszusteigen, hatte die Redaktion genau zwei Möglichkeiten: einen charismatischen, verkopften Ermittler à la von Meuffels zu reloaden oder ganz was anderes. Die Lösung mit der bislang wenig bekannten 31-jährigen Österreicherin Verena Altenberger als ambitionierte, energische Streifenpolizistin Elisabeth „Bessie“ Eyckhoff liegt irgendwo dazwischen.

Die – im wahrsten Sinne des Wortes – grenzenlose Odyssee durch Körper und Geist, die die TV-Ermittlerin in ihrem ersten Fall [„Polizeiruf 110 – Der Ort, von dem die Wolken kommen“, Sonntag, ARD, 20 Uhr 15] hinlegt, hat jedenfalls schon mal von-Meuffelsche Ausmaße. Eine Fahnderin nur eben nicht im Anzug, sondern in Polizei-Uniform. Eyckhoff bekommt es mit einem desorientierten, stark verletzten Jugendlichen (Dennis Doms) zu tun, der offenbar einer Gefangenschaft entkommen ist.

Ein Junge, der nicht spricht, seinen Namen nicht kennt. Sie nennen ihn Polou. Gemeinsam mit den Kollegen Maurer (Andreas Bittl) und Cem (Cem Lukas Yeginer), ihrem Halbbruder, findet Eyckhoff heraus, dass noch andere Kinder in Gefahr schweben müssen, zudem sich eine geheimnisvolle Frau im Pelz Zutritt zum Krankenhaus verschafft und versucht, Polou zu töten.

Fürs Verständnis der weiteren Ermittlungsarbeit schadet es nicht, Sigmund Freud im Gepäck zu haben. Oder, wie es hier die TV-Psychologin formuliert: Nutze das Unbewusste als inneren Helfer. Polou und Eyckhoff werden zwecks Bösewicht-Suche parallel hypnotisiert. Das dürfte einzigartig sein in 40 Jahren deutschem Krimifernsehen.

Vielleicht müssen wir Hanns von Meuffels einfach mal vergessen

Was als Annäherung mit Plüschtier an einen psychisch labilen Patienten beginnt, wird zu einem doppelbödigen, surrealen Thriller, der ständig die Frage nahelegt: Auf welcher Realitätsebene sind wir gerade? Ohne zu viel zu verraten: Ein Großteil der Bilder zum dramatischen Ende hin spielen sich im Kopf der Protagonisten ab. „Matrix“ lässt grüßen.

Ein Mix aus Psycho- und Horror-Elementen, der es – ähnlich wie zuletzt Ulrich Tukur als TV-Kommissar, der jeden Morgen aufwacht und denselben Tag noch mal erlebt – mit den Gesetzen der Physik und Metaphysik nicht allzu genau nimmt.

Im Bemühen, etwas Besonderes zu leisten und die Ermittler-Figur zu etablieren (die beim Kindesmissbrauchsfall mit eigener Familiengeschichte konfrontiert wird), gehen den Autoren Thomas Korte und Michael Proehl öfters die Gäule durch, abseits der Pfade klassischer Drehbuch-Logik.

Nicht wenige Zuschauer werden sich fragen, wie es sein kann, dass Elisabeth und der Junge im Zustand der Hypnose in Verbindung treten können, um sich eine fremde Umgebung zusammenzusetzen. Aufgeschäumte Tiefenpsychologie? Viel Dunkel, viel Zucken, wenig Licht. Die Regie (Florian Schwarz) hat damit zu tun, den Film nicht ins Surreale abdriften zu lassen.

Thema, Personal und Konzept – es ist nicht einfach für die ARD, im rotierenden Ermittler-Karussell nach diversen Abgängen (Striesow, Brandt, Aylin Tezel, Dresden-„Tatort“) ständig nachlegen zu müssen. Der „Polizeiruf“ aus München dürfte in seiner recht freien Interpretation der Grenzen des Krimi-Genres auch zukünftig aus der Reihe fallen.

Und Bessie Eyckhoff alias Verena Altenberger, Streifenpolizistin mit Karrierre-Ambitionen, österreichischen Wurzeln und Pferdeschwanz, ihren Platz in der Ermittler-Reihe Selge, Brandt & Co. finden. Ein Typus, der an Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) erinnert, in der Mischung aus Eigensinn, Intuition und Empfindsamkeit.

Vielleicht müssen wir Matthias Brandt und seinen Hanns von Meuffels einfach mal vergessen. Es wurde gar nicht erst versucht, ein perfektes Format zu kopieren. Das mit der uniformierten Ermittlerin ist allerdings gewöhnungsbedürftig. Das soll an der Isar ja Kunstkrimi bleiben und kein „Großstadtrevier“ werden.

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