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Auf der Straße für DT64. Als sich die Einstellung des Radioprogramme abzeichnete, gab es bundesweit und in Berlin Demonstrationen für die Fortführung.

© imago images/Seeliger

Das war DT.64: Radio-Power von der Eastside!

1964 wurde der Radiosender gegründet, 1992 eingestellt. Eine Ausstellung erinnert an DT.64. Interview mit Organisator Heiko Hilker.

Heiko Hilker ist Geschäftsführer des Dresdner Instituts für Medien, Bildung und Beratung. Er war in der DT64-Initiative aktiv, hat für die Ausstellung sein Archiv geöffnet und Texte verfasst. Zur Ausstellung: „Power von der Eastside! DT64 – Das Jugendradio und seine Bewegung“, Berlin, Brotfabrik, 24. März bis 3. April. Begleitprogramm www.brotfabrik-berlin.de

Herr Hilker, Sie erinnern, 30 Jahre nach dessen Aus, an den Radiosender DT64. Warum dieses Engagement?
Mir ist aufgefallen, dass viele Medien Daten des 1989er DDR-Umbruchs immer wieder thematisieren: 30 Jahre Neues Forum, Mauerfall, freie Volkskammerwahlen... Insofern waren die 30 Jahre ein Anstoß, auch an einen Sender zu erinnern, der in der gesamten Medienlandschaft nicht mehr auftaucht, aber für viele Menschen eine sehr große Bedeutung hatte. Davon wollen wir erzählen, die Geschichte des Senders aufarbeiten.

Wie ist die Ausstellung konzipiert?
Sie geht los mit dem Jahr 1964, in dem DT64 als Sonderstudio zum Deutschlandtreffen gegründet wurde, und beschreibt anhand von Zeitlisten seine Historie bis 1992. In dieser Zeit ist ja viel passiert, das Programm wurde ständig erweitert. Man kann über Kopfhörer Beiträge hören, es gibt Monitore, Mitschnitte, Bilder, Veranstaltungen; eine multimediale und interaktive Schau also. Ein besonderer Fokus liegt auf der Arbeit der zahlreichen Freundeskreise, die sich nach dem Einigungsvertrag bildeten, um für den Erhalt von DT64 zu kämpfen.

Sie sind selbst damals in Dresden einer der Initiatoren eines Freundeskreises gewesen.
Ich habe schon Ende der 70er Jahre DT64 gehört, damals lief das Programm drei Stunden am Nachmittag. Ich war ein Fan der Mathematik-Rätsel. In den 80er Jahren, als ich an der Technischen Universität studierte, gehörte der Sender im Wohnheimzimmer zum Tagesbegleitprogramm. Im sogenannten Tal der Ahnungslosen, das nicht so hieß, weil wir in Sachsen keine Ahnung, sondern weil wir im Gegensatz zu Berlin keinen Westempfang hatten, war es das für uns einzig akzeptable Radio. Als es im September 1990 hieß, es gäbe einen unangekündigten Frequenztausch von DT64 zu RIAS, haben in Dresden 2000 Leute vor dem Kulturpalast protestiert, damit fing die Bewegung eigentlich an. Kurze Zeit später, als wirklich klar war, dass DT64 keine Zukunft mehr hat, entstanden die Freundeskreise, aber nicht nur in Dresden, sondern auch in Rostock, Neubrandenburg, Nürnberg, Kassel und anderswo. Wir haben Unterschriften gesammelt, Demonstrationen organisiert, vor Landtagen protestiert und sind zum Bundestag nach Bonn gefahren.

Was war für Sie das Besondere an DT64?
Natürlich war es zunächst die jugendliche, frische und freche Ansprache, die den Radiosender von anderen damals in der DDR unterschied. Auch konnte meines Erachtens jeder in dem Programm für sich etwas finden, sei es Underground oder elektronische Musik, die übrigens immer ausgespielt und nie zugequatscht wurde, damit man sie mitschneiden konnte. Es gab auch psychologische oder philosophische Beiträge – die Art und Weise, wie die Themen aufgearbeitet wurden, war besonders. Nach 1989 bekam der Sender noch einmal einen ganz neuen Stellenwert. Zügig wurde die einstige Führung abgewählt, es kamen neue Mitarbeiter, die Redakteure gingen raus auf die Straße, ins Geschehen hinein. Es veränderte sich ja gerade sehr viel: Wiedervereinigung, hohe Arbeitslosigkeit, Stellen wurden gestrichen, Betriebe geschlossen, Firmen gingen pleite. All das wurde von DT64 fast hautnah begleitet. Damals nannten wir ihn auch „politischer Sozialarbeiter“, weil er quasi Sozialarbeit leistete, indem er den Hörern und Hörerinnen beibrachte, wie diese Bundesrepublik funktioniert und dabei gleichzeitig ihre Widersprüche aufzeigte.

Bedeutete die Aufhebung von DT64 damals auch ein Verlust von Heimat oder Identität?
Zu der Zeit, als das Programm noch lief, gab es in Dresden einmal eine Mahnwache, bei der von Mitstreitern proklamiert wurde: „Wir lassen uns doch nicht alles nehmen.“ So muss man diese Worte in einem zeitlichen Kontext betrachten, in dem viel kaputtgegangen ist, in dem Theater auf dem Prüfstand standen, Jugendeinrichtungen geschlossen wurden. DT64 hatte sich bis dahin schon verändert, genau wie wir alle, deshalb brauchten wir dieses Programm, das den Wechsel akzeptiert hatte und als ehrlich wahrgenommen wurde. „Wir lassen uns doch nicht alles nehmen“ – das war ja für alle eine Erfahrung: Vieles wurde nach der Einheit weggenommen und im Gegenzug hat man nichts dafür direkt bekommen.

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Am Ende ist Ihre Initiative, sind die Freundeskreise gescheitert. Hat Ihre Arbeit trotzdem etwas gebracht?
Aus damaliger Sicht hat es natürlich mehrere Dinge gebracht. Mitte 1991 hätte kaum einer geglaubt, dass DT64 das Jahresende 1991 überlebt. Innerhalb weniger Monate ist die Bewegung so stark geworden, dass DT64 beim MDR unterkam, der es dann allerdings zum 1. Mai 1993 in Sputnik umbenannte. Außerdem haben wir viele Erfahrungen in der praktischen Politik gesammelt, Dinge wie eine Demonstration anmelden, gegenüber Politikern argumentieren oder Veranstaltungen, Treffen und Konzerte organisieren. Gewissermaßen war diese Phase eine Schule der Demokratie, wir lernten, uns einzubringen. Viele Mitglieder aus den Freundeskreisen haben im Anschluss selber Cafés oder Kulturvereine gegründet, einige von ihnen sogar freie Radiosender ins Leben gerufen.

Trotzdem wurde DT64 eingestellt.
Natürlich war das Aus für Zehntausende eine ziemlich große Enttäuschung. Denn es gab sehr vieles, was für den Sender sprach, und nur sehr wenig dagegen. Genau genommen war DT64 nach der Wiedervereinigung nämlich ein Ost-West-Integrationsradio geworden, ein soziales Netzwerk, eine Bewegung mit Radio, in dem sich beide Seiten wiederfinden konnten, in dem die westdeutsche DJ Marusha ihre Rave-Musik auflegte und die ostdeutsche Moderatorin Marion Brasch mit „Beatradio D“ eine deutsch-deutsche Hitparade präsentierte. Das Potenzial, das in DT64 steckte, wollte die mehrheitlich konservative Politik so nicht erhalten.

Was wäre heute anders, wenn es so einen Sender wie DT64 noch gäbe?
Ich glaube, wir hätten heute eine andere politische Situation in den ostdeutschen Ländern. Denn das, was das Programm gemacht hat, war in meinen Augen originärer Journalismus: Politik auf den Prüfstand zu stellen und Sachen zu hinterfragen, für die Hörerinnen und Hörer zu erklären. Bei ihnen nachzuforschen, wie sie bestimmte Dinge sehen, welche Interessen und Fragen sie haben. Und diese am Ende an die Politik heranzutragen und sie zu zwingen, darauf zu antworten. Das ist für mich eine originäre Aufgabe des Journalismus, dem dieser viel zu selten nachkommt.

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