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Die Anwältin und ihr Sozius. Isa von Brede und Herbert Knaup.

© ARD/Georges Pauly

Das Recht, das Herz, die Moral: „Die Kanzlei“ macht Anwälte zu modernen Robin Hoods

Die ARD startet 13 neue Folgen ihrer erfolgreichen Anwaltsserie. Hier brechen Anwälte schon mal selbst das Gesetz. Natürlich nur im Namen des Guten.

Am Anfang dauerte es länger: Die Armen und Außenseiter bekamen erst nach zähen Kämpfen recht, weil ein Advokat mit Herz und Sachverstand den Richter durch seine Argumente überzeugte. In der vom 2013 verstorbenen Großschauspieler Dieter Pfaff mit Leib und Seele geprägten ARD-Serie „Die Kanzlei“ mutete man dem Zuschauer zunächst reichlich Juristenlatein zu, erklärte aber auch die Bedeutung des Rechts.

Dann wollte es der Gott der Fernsehunterhaltung einfacher und flotter. Statt einem Einzelkämpfer beim vorsichtigen Ritt auf der Mähre der Paragrafen zuzusehen, bestiegen Pfaffs Nachfolger das hohe Ross der Moral. Das neue Tribunal der Herzen braucht weniger Waage und verbundene Augen. Justitia stand, dem herrischen Narrativ des gefühlten Guten nicht mehr im Weg.

[Das Erste, Dienstag, 20.15 Uhr]

Pfaffs Nachfolge trat die Figur Isa von Brede an. Ihr Markenzeichen: Wer es wagt, sie mit ihrem „von“ anzusprechen, den trifft der strenge Blick linksbürgerlicher Verachtung ihrer Darstellerin Sabine Postel: „Brede reicht“.

Zur Advokatin der richtigen Gesinnung gesellt sich ihr Sozius Markus Gellert (Herbert Knaup). Eigentlich ein rechter Hallodri, verstrickt in Schulden und Affären, aber – rätselhafter Fernsehgott – nach außen immer auf der Seite der Gutmenschlichkeit.

Der Zweck heiligt die illegalen Mittel

Die edle Gesinnung birgt Gefahren: Der (gute) Zweck heiligte zuletzt sogar illegale Mittel. Die Moral unterwirft sich das Recht und seine Verfahren, es ist nicht länger ein autonomes Subsystem, als das Niklas Luhmann es beschrieb, sondern wird zum Spielball der Gefühle.

In der neuen Staffel (Drehbücher: Thorsten Näter) werden gleich in der ersten Folge, „Schräglage“, Gesetze gebrochen. Charmebolzen Gellert schlüpft in einen stibitzten weißen Kittel, gibt sich als Arzt aus und entert das Krankenzimmer eines aus dem Koma erwachten Jungen, dessen Zeugenaussage er aufnehmen möchte. Dass ihm der Arzt das Betreten des Zimmers verboten hatte, schert Gellert nicht, er ist doch von den Guten.

Und erst die Kanzlei-Angestellte Gudrun (die wunderbare Katrin Pollitt) die Polizistengattin, Pflegemutter, Reinigungsfachkraft, Selbstverteidigungslehrerin und wehrhafte Detektivin in einem verkörpert: Als eine Mutter der fahrlässigen Tötung durch Unterlassung angeklagt ist, schnüffelt sie, als falsche Journalistin getarnt, in der Kabine eines Bademeisters herum, um die Mandantin zu entlasten. Bedenken wegen der rechtswidrigen Recherche werden im Film kaum erörtert.

Da wirkt die neu zur Serie gestoßene Staatsanwältin Barbara Geldermann (Esther Schweins) fast wie ein Fossil. Sie war es, die im Fall des Beinahe-Schwimmbadtodes des Kindes die begleitende Mutter angeklagt hatte, weil die Frau am Rande des Beckens im Home-Office gearbeitet hatte, statt auf den Sohn zu achten.

Vor Gericht bahnt sich eine interessante Auseinandersetzung an: Wie groß ist die Gefahr, die Aufsichtspflicht auf Kinder zu verletzten, wenn das Internet ablenkt? Da die Staatsanwältin aber als herzlose Karrierehippe und die Mutter als Sozialopfer definiert werden, steht dem Freispruch des Gerichts nichts im Wege. Wozu braucht Justitia da noch Augenbinden?

Ort des notorischen Ungehorsams

„Die Kanzlei“ ist dabei, eine moderne Dependance von Robin Hood zu werden, ein Ort des notorischen Ungehorsams und der moralischen Selbstermächtigung. Wenn etwa der Staat Grenzen überschritte wie die Kanzlei mit ihren ungesetzlichen Recherchen, wäre die Empörung groß.

Aber zum Glück bleibt die Anwaltsserie weiterhin Heimstatt für liebenswerte Narren, für die komisch scheuen Königskinder Brede und Gellert, die in einer rauer werdenden Welt einander wohl wieder nicht finden werden. Und eben auch für weitere gute Schauspieler und Regisseure, namentlich Torsten Jauch, Thomas Wacker, Steffi Doehleman und Dirk Pientka.

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