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Neues Fernsehgefühl: TV-Shows ohne Zuschauer im Studio wie hier bei "Let's dance" auf RTL.

© picture alliance/Stefan Gregorow

Das erste TV-Halbjahr 2020: Weißes Rauschen

Was bleibt? Was fehlt noch? Ein Blick auf eines der ungewöhnlichsten TV-Halbjahre seit Langem.

Für die meisten Menschen gibt es nur zwei Orte auf der Welt: den, an dem sie leben, und den Fernsehapparat. Der US-Schriftsteller Don DeLillo hat wohl recht. Auf kaum ein anderes Fernsehhalbjahr lässt sich dieser Satz besser anwenden als auf 2020/1. Viel Lockdown, viel Zuhausebleiben, auch, notgedrungen, viel Fernsehgucken. Anderes Fernsehen. Wir blicken zurück auf Geistershows ohne Studiopublikum, Virologen, die plötzlich Talks bevölkern, eine überfällige Sexismus-Debatte, ausfallende Schlagerwettbewerbe, zwei bedeutende Abschiede und die Frage, was noch fehlt.

MEHR „HEUTE-SHOW“. Fast hatte man sich daran gewöhnt, an die Geister-Atmosphäre in „heute-show“, „Die Anstalt“, „Anne Will“ oder „The Masked Singer“, an all die TV-Shows ohne Klatschen im Studio. Da werden laut DWDL schon wieder Studiozuschauer zurückerwartet, von Produktionen Konzepte erarbeitet. Dabei hatte die „heute-show“ vor der Sommerpause ohne Publikum Quoten wie lange nicht mehr. Am 1. Mai wurde die Nachrichtensatire selbst zur Nachricht. Ein Kamerateam der Sendung wurde bei einer Demo in Berlin von einer Gruppe Vermummter attackiert. Beim Thema Corona-TV nicht zu vergessen: Welkes Kollegen von der ZDF-„Anstalt“. Schlau, selbstreflexiv, Claus von Wagner und Max Uthoff. Starke öffentlich-rechtliche Satire in Zeiten öffentlich-rechtlichen Medienbashings.

Weiter erfolgereich; Oliver Welkes "heute-show".
Weiter erfolgereich; Oliver Welkes "heute-show".

© ZDF

MEHR MUT WIE BEI JOKO & KLAAS: 15 Sendeminuten bei Pro7 nutzten die Entertainer, um auf ein vernachlässigtes Thema aufmerksam zu machen. Im Mai präsentierte Sophie Passmann den Beitrag „Männerwelten“. Thema: Sexismus. Heftige Reaktionen. Es ging um dumme Sprüche oder ungefragt geschickte Penisbilder. Möglich gemacht haben das Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf, die in ihrer Show gegen ihren Arbeitgeber Pro7 antreten und sich eine Viertelstunde zu bester Sendezeit erspielen können. Irgendwann werden wir Stefan Raab vergessen haben. Dass es Männer sein mussten, die diese Sexismus-Debatte lostraten? Geschenkt, es gibt (leider) halt viel zu wenig Primetime-Moderatorinnen im Fernsehen, die sich solche Freiheiten rausnehmen können.

APROPOS RAAB, WO BLEIBT DER ESC? Das gab es noch nie, dass der seit 1956 jährlich stattfindende Eurovision Song Contest abgesagt wurde. Coronakrise, kein Rotterdam, kein Groß-Event. Stattdessen ließ der NDR Barbara Schöneberger ein deutsches Finale moderieren und abstimmen. Es siegte Litauen. Bei einer von Stefan Raab bei ProSieben organisierten Show gewann Nico Santos für Spanien. Im Quotenvergleich siegte das Erste. 2021 dann wieder Rotterdam.

Der Abschied von Mutter Beimer (Marie-Luise Marjan) in der „Lindenstraße“.
Der Abschied von Mutter Beimer (Marie-Luise Marjan) in der „Lindenstraße“.

© picture alliance/dpa

WENIGER SELBSTBEWEIHRÄUCHERUNG. Dass sich ARD, ZDF, RTL und Sat1 bei dem von ihnen veranstalteten Deutschen Fernsehpreis einen Sonderpreis für die „Beste Information“ senderübergreifend selbst gegeben haben (nämlich an die Redaktionen der Nachrichten- und vertiefenden Sondersendungen von ARD, ZDF, RTL und Sat1), wirkt – bei allen Qualitäten der Miosgas, Slomkas und  Kloeppels als – Pauschalauszeichnung übertrieben. Das hätte man, gerade auch angesichts der Diskussion über journalistische Qualität, differenzierter machen können.

MEHR FRANK ELSTNER. Oder mit Understatement, wie TV-Altmeister Frank Elstner, 78, der sich mit seiner letzten Show beim Streamingdienst Netflix endgültig zurückzieht. Die Talkshow heißt „Wetten, das war’s ...?“, frühe Folgen des Formats sind bei Youtube veröffentlicht worden. Die Kunst der dortigen Gesprächsführung sollte Talkshow–Moderatoren nicht gänzlich unbekannt sein.

MEHR TALKSHOWS. Über die Kunst das Einladens, Ausredenlassens und Zuhörens bei „Markus Lanz“ & Co wurde sich auch 2020 aufgeregt. Dafür kam infolge der Coronakrise eine medial bislang unbekannte Spezies auf den Bildschirm: Virologen. DrostenStreeckKekuléBrinkmann, fast immer die Gleichen. Es sei nicht schlimm, dass Virologen die Talkshows erobern, sagt Gregor Gysi, der am 3. Juli mit Harald Schmidt einen Halbjahresrückblick bei n-tv macht. Schlimm sei nur, dass wir in etwa über 80 Millionen Virologinnen und Virologen verfügen. Die können sich nun mit sich selber unterhalten. Die Sommerpausen vieler Talkshows begannen früher und dauern teils länger als 2019. Als Letzte machen Lanz und Illner am 9. Juli das Licht aus.

MEHR SCHIMANSKI. Ein weiterer Quotenbringer, die Krimireihe „Tatort“, wird 50. Zum Jubiläum dürfen Zuschauer im Sommer mitbestimmen, welche Wiederholungen am Sonntagabend im Ersten laufen. Das Ganze leider ohne die Klassiker, ohne Haferkamp, Stoever und Schimanski. Die aktuelle „Tatort“-Saison fiel auch nicht mit starken Krimistoffen auf. Hervorzuheben der Start des neuen Saar-Teams und ein letzter Auftritt von Hannelore Elsner in Frankfurt. Darüber thronen aber erneut: die Ermittler Bukow und König vom „Polizeiruf“ aus Rostock.

EIN BISSCHEN FRIEDEN. Keine „Lindenstraße“ mehr. Ein radikaler Schnitt seitens der ARD nach fast 35 Jahren. Auch wenn die Kulissen in Köln-Bocklemünd abgebaut wurden, vielleicht gibt es irgendwo, irgendwie eine Fortsetzung. Die finale 1758. Folge des Serien-Klassikers war am 29. März recht unspektakulär. Am Schluss steht Helga Beimer (Marie-Luise Marjan) auf der Straße und lässt ihren Blick verklärt über Hausfassaden schweifen. Dann geht sie ins Restaurant „Akropolis“, feiert 80. Geburtstag. Ein paar Millionen Zuschauer hätten gerne den 85. mit ihr begangen. Ach, wir Gewohnheitstiere. Wie gesagt: Für viele Menschen gibt es nur zwei Orte auf der Welt. Den, an dem sie leben, und den Fernsehapparat. (mit dpa)

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