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Auf dem Boulevard zu Hause. Patricia Riekel, 72, hat fast 20 Jahre als Chefredakteurin das People-Magazin „Die Bunte“ geleitet, zudem verfasste sie Dreh- und Sachbücher. Sie arbeitet und lebt in München und ist mit „Focus“-Gründer Helmut Markwort liiert.

© picture alliance/dpa

Das Alter als Zeit für Experimente: Keine Zeit für Panik

Wer bin ich, wenn ich nichts mehr bin? Ex-„Bunte“-Chefin Patricia Riekel schreibt über ihren Ruhestand.

Je früher, desto besser. Politiker bedienen gern das Klischee, dass alle Leute sich nach der frühen Rente sehnen. Dabei sollten sie aus ihrem eigenen Umfeld wissen, dass es einen nicht zu unterschätzenden Kreis von Menschen gibt, die ihren Beruf lieben und sich nur ungern davon trennen wollen. Für sie hat Patricia Riekel ein lustiges und erfrischendes Buch geschrieben – mit dem kokett provozierenden Titel „Wer bin ich, wenn ich nichts mehr bin?“

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Nach 50 Jahren als Journalistin, davon 21 Jahre an der Spitze der Bunten, die sie, wie es im Buchcover heißt, zu Europa erfolgreichstem People-Magazin ausbaute, drohte im Alter von 67 Jahren der Ruhestand. Vorher war für sie jeder Tag ein Abenteuer, Konferenzen, Texte schreiben, abends gesellschaftliche Verpflichtungen: „Stress war mein persönliches Speed.“ Und dann ist von einem Tag auf den anderen alles plötzlich vorbei: „Ende. Klappe zu. Stecker raus.“ Wie sie es trotzdem schaffte, sich „auf eine beschwingte Reise in den Ruhestand zu begeben“, davon handelt dieses Buch, das mit viel Selbstironie geschrieben ist, dabei aber keineswegs das Licht der Autorin unter den Scheffel stellt. Davon zeugen Fotos im Mittelteil, die sie strahlend in ihrem alten und neuen Leben zeigen mit Hochglanz-Prominenten und natürlich auch mit ihrem Lebenspartner, dem „Focus“-Gründer Helmut Markwort.

Bester Berliner Freund: Udo Walz

Am Anfang kann es nicht leicht gewesen sein, weder für sie noch für die Menschen in ihrer Umgebung. Unter dem Aufhören leiden neben notorischen Workaholics vor allem Menschen in Berufen, die Zufriedenheit mit sich bringen, Professoren, Diplomaten, Ärzte, aber auch Friseure. Zu den besten Freunden der Autorin gehörte Berlins führender Friseur Udo Walz, der in dem Buch auch eine Rolle spielt und noch im Berufsleben stand, als er im Alter von 76 Jahren starb. Natürlich spielt das Buch in einer Welt sehr weit jenseits der Sorgen, die sich etwa Bezieher von Minirenten machen müssen oder Menschen, die ein Leben lang harte körperliche Arbeit geleistet haben und dann doch in der Altersarmut landen.

Gefährdet, in Depressionen oder Krankheiten oder Einsamkeit zu versinken, sind aber gerade auch die Privilegierten, die sich von adrenalinhaltigen Top-Jobs verabschieden müssen, obwohl sie sich noch jung und tatkräftig fühlen. Zwar habe sie jede Menge Pläne und Ideen gehabt, sich anfangs aber doch wie jemand gefühlt, der, „aus dem Karussell gestoßen, taumelnd versucht, sein Gleichgewicht wiederzufinden“, gesteht die langjährige Karrierefrau.

Privatleben gleich Beerdigung?

Der Übergang ins Privatleben fühle sich so an, als wäre man auf seiner eigenen Beerdigung dabei, berichtet sie. Von der tränenüberströmten Haushälterin, die plötzlich den Aktionismus der Chefin aushalten musste, die keine anderen Mitarbeiter mehr hatte, bis zum Lebenspartner, der sein Revier im gemeinsamen Haus verteidigen musste, erzählt sie offen. Und von Freunden, die man neu entdeckt und solchen, die man lieber hinter sich lässt. Dass man mangels anderer Verwendung im Cocktailkleid einkaufen geht, wird in München, wo sie lebt, sicher weniger auffallen als beispielsweise in Berlin oder gar Hamburg. Aber unkonventionelles Handeln scheint eher möglich, wenn man aus dem Berufsleben ausgeschieden ist und keine Rücksichten mehr nehmen muss. Wie lustvoll die Beschäftigung mit dem Testament sein kann, könnte für jüngere Leser eine Offenbarung sein.

Für Männer, die akut unter der plötzlichen Abwesenheit von Assistent:innen, Fahrern und Bedeutung leiden, ist das Buch eher nichts, denn die Autorin geht mit Statussymbolen vergleichsweise gelassen um. Mehr Raum im Denken gewinnen, wenn die Auflagenzahlen nicht mehr wichtig sind, offenbar Diäten, Haare, Mode und lustige Runden mit guten Freundinnen.

Abscheu vor "Rente"

Das Wort „Rente“ findet Patricia Riekel verständlicherweise abscheulich, eben weil es „so negativ besetzt“ ist. Man möchte sich eine so langjährige Glamour-Expertin auch lieber nicht in einer beigen Allwetterjacke vorstellen. Dass sie sich meistens rund 15 Jahre jünger fühlt, als sie tatsächlich ist, glaubt man ihr sofort. Wenn man all die Rezepte zusammenfassen will zur Bewältigung dieses einschneidendsten aller Übergänge im Leben, dann wird man auf Seite 95 fündig: „Positiv denken!“. Die Belohnung dafür sind, einer Studie der Yale Universität zufolge, siebeneinhalb zusätzliche Lebensjahre. Optimismus ist allerdings eine Haltung, in der sich gerade erfolgreiche Menschen gut wiederfinden könnten. Sie sind weniger vom „Bore-Out-Syndrom“ bedroht, von der krank machenden Langeweile.

Patricia Riekel hat in ihrem Berufsleben genug Menschen studiert, um aus einem reichen Fundus schöpfen zu können. Die 100-jährige Iris Apfel gehört dazu, die immer noch modelt. Von der über 80-jährigen Jane Fonda glaubt sie, dass diese das Wort „Ruhestand“ wahrscheinlich noch nie gehört habe.

Die lange so erfolgreiche Chefredakteurin beschreibt auch Zufallstreffen mit ehemaligen Kollegen, die auf sie den Eindruck machen, „als hätten sie Angst, dass der Ruhestand ansteckend wie eine Grippe sein könnte“.

Ein persönliches ABC gibt am Ende Tipps, wie man den kalten Entzug überwinden kann. Sie selbst hat sich unter anderem in der Kommunalpolitik engagiert, gemalt, überlegt, ob sie nochmal Psychologie studieren sollte, viel mit Freundinnen gelacht und dieses Buch geschrieben. Kein Grund zur Furcht, resümiert sie am Ende: „Das Alter kann eine wunderbare Zeit für Experimente werden“.

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