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Justizministerin Elisabeth (Karen-Lise Mynster) witzelt mit ihrem Assistenten Farshad (Hadi Ka-Koush) beim Empfang zur Eröffnung eines neuen Gefängnisses.

© dpa

Dänen-Serie "Wenn die Stille einkehrt": Was vom Tage übrigblieb

Packendes Serien-Fernsehen aus Dänemark. Was passiert mit Menschen, die Opfer und Zeugen einer Terrorattacke werden?

Unwillkürlich kommen die Bilder wieder auf, die sich im kollektiven Gedächtnis abgelagert haben: die Bilder, die damals, am 13. November 2015, zunächst auf CNN und BBC live gesendet wurden, stundenlang, aus den Straßen von Paris, als islamistische Terroristen die Konzerthalle Bataclan sowie mehrere Cafés und Restaurants stürmten und wahllos um sich schossen. 130 Tote hat dieser dunkle 13. November 2015 hinterlassen. Durch Paris, durch die Welt ging ein Schock. Es sind diese albtraumhaften Sequenzen, die geradezu unweigerlich beim Ansehen der neuen dänischen Serie „Wenn die Stille einkehrt“ assoziiert werden. Der von den beiden Drehbuch-Autorinnen Ida Maria Rydén und Dorte W. Høgh kreierte und geschriebene Zehnteiler, vom dänischen Fernsehsender DR – der auch schon für solch herausragende Serien wie etwa „Borgen“ oder "Countdown Copenhagen" verantwortlich zeichnete – in Co-Produktion gemeinsam mit den Sendern Schwedens, Norwegens, Finnlands und Island gestemmt, transferiert das sehr frei entlehnte Geschehen von Paris nach Kopenhagen: Erzählt wird von etwa einem Dutzend Einzelschicksalen – vor, während und nach dem verheerenden Anschlag. Für sie alle gilt: nichts ist mehr so, wie es zuvor einmal war.

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Neun Tage vor dem Attentat leben sie alle ihr ganz normales Leben in Dänemark. Da ist etwa die dänische Justizministerin Elisabeth Hoffmann (Karen-Lise Mynster), die seit 28 Jahren mit ihrer Frau Stina (Lotte Andersen) zusammenlebt und deren letzten Arbeitstag feierlich begeht. Es ist Stinas sehnlichster Wunsch, dass auch Elisabeth, die nunmehr 67 ist, endlich aufhört mit ihrem anstrengenden absorbierenden Polit-Job und nicht erneut für die nächste Wahlperiode kandidiert. Stina möchte endlich mit Elisabeth aus Kopenhagen raus aufs Land ziehen, sie leidet unter Elisabeths permanenter Abwesenheit. Doch Elisabeth möchte, ganz gleich ob sie abermals kandidieren wird oder nicht, noch ein ihr wichtiges, jedoch hoch umstrittenes Gesetz auf den Weg bringen: abgelehnten Asylbewerbern deutlich mehr Freizügigkeit zu gestatten und sie im Land zu lassen. Ihre politischen Gegner arbeiten derweil daran, Elisabeth zu demontieren.

Da ist der Koch Nikolaj (Peter Christoffersen), der sich seinen Traum vom eigenen Restaurant erfüllt, auch wenn er dafür zuvor seinem ehemaligen Chef André (Rasmus Hammerich) die Lebensmittelaufsicht schickt. Nikolaj wird sein neues, zentral gelegenen Restaurant „Svin“ nennen, Schwein. Später wird man ihm das zum Vorwurf machen, der gewählte Restaurant-Name habe auf bestimmte Einwohner provokativ wirken können.

[„Wenn die Stille einkehrt“, Arte, Donnerstag, ab 22 Uhr, und in der Mediathek]

Da ist Louise (Filippa Suenson), Kellnerin im Vorgänger-Restaurant, die von Nikolaj unbedingt übernommen werden will, da sie als alleinerziehende Mutter der achtjährigen Marie (Viola Martinsen) Haushalt und Unterhalt parallel zu ihrem Studium allein stemmen muss. Einige Tage später, es wird der Tag des Attentats sein, hat Marie ihren neunten Geburtstag und sitzt, obwohl sie eigentlich in den Vergnügungspark Tivoli wollte, in Nikolajs Restaurant. Louise hat Schicht, zudem ist es der Eröffnungstag des „Svin“, da verdient sie mehr. Später wird sich auch Louise, wie so viele andere in diesem Personen-Kaleidoskop, größte Vorwürfe machen, nicht doch mit ihrer Marie ins Tivoli gegangen zu sein.

Auch von den Entscheidungen, die man im Leben tagtäglich trifft, erzählt dieser überaus sehenswerte, dramaturgisch in seiner elliptischen Narration herausragend konzipierte Zehnteiler aus Dänemark, von den kleinen und großen Entscheidungen, die, sei es Schicksal, sei es Zufall, Konsequenzen nach sich ziehen und den Lebensweg in die eine oder andere Richtung leiten. Viele der Figuren, darunter auch der Installateur Morten (Jacob Lohmann) und seine Frau, die Lehrerin Camilla (Julie Agnete Vang aus „Borgen“), der libanesische Migrant Jamal (Arian Kashef), oder die Sängerin Lisa (Malin Crépin) und ihr Manager und Mann Stefan (Magnus Krepper), begegnen früher oder später einander auf ihren Wegen. Sie alle sitzen in Nikolajs Restaurant oder aber halten sich in unmittelbarer Nähe davon auf, als schließlich zwei schwarz maskierte Attentäter dort eindringen und wahllos um sich schießen. 19 Tote wird dieser Abend mit sich bringen, gestorben durch reinste Willkür. Das Attentat ist in Folge fünf zu sehen und wurde entgegen der anderen neun Folgen vom Sender DR1 im Februar 2020 erst zu später Stunde ausgestrahlt. Folge fünf ist von einer derart beklemmenden Kälte, Härte und Grausamkeit, die in starkem Kontrast zur warmherzigen Erzählung der anderen Folgen steht, in denen es vor allen Dingen ab dem Moment des Attentats um die Verarbeitung des Schocks geht, um die Trauer, um die Verluste, und um das authentische emphatische Miteinander unter den Verbliebenen.

Neue Kraft entwickeln

„Wenn die Stille einkehrt“ erzählt davon, was es bedeutet, von einem auf den anderen Moment alles zu verlieren – einen geliebten Menschen betrauern zu müssen, eine langjährige Beziehung, die in die Brüche geht, die eigene Gesundheit auch. Über die Dauer der zehn Teile entwickelt man mit der einen oder anderen Figur Sympathien, nicht nur mit der neunjährigen Marie, für die ihr Geburtstag zu einem schieren Albtraum wird und die dennoch, oder gerade deswegen, eine neue Kraft entwickelt und ihr Umfeld mehr als einmal überrascht. Die dänische Theater- und Filmschauspielerin Karen-Lise Mynster wurde für ihre mitreißende Darstellung der in sich zerrissenen Justizministerin Elisabeth vollkommen zu Recht mit dem Dänischen Filmpreis nominiert. Nachdenklich und angefasst lässt dieser Zehnteiler zurück – „Wenn die Stille einkehrt“ ist brillantes packendes Serien-Fernsehen aus Skandinavien.

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