zum Hauptinhalt
Schweden ist in der Coronakrise einen viel beachteten Sonderweg mit weniger strikten Beschränkungen gegangen. Maskenträger sieht man gleichwohl auch in der Innenstadt von Stockholm.

© Wei Xuechao/XinHua/dpa

Corona-Dokumentation auf Arte: Eine Prise Schweden?

Wie sinnvoll ist der erneute Lockdown? Eine Arte-Dokumentation hinterfragt autoritäre Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie.

Freiheit kontra Sicherheit? Mit dieser Zuspitzung vergleicht der Film „Corona: Sicherheit kontra Freiheit“ von Jutta Pinzler, Stefanie Gerhards, Katja Heinrichs und Martin Gronemeyer die Situation in Frankreich und Deutschland mit dem schwedischen Sonderweg. Anders als der Rest Europas setzte das skandinavische Land auf Eigenverantwortung. Bürger entschieden dort selbst über die Beschränkung ihrer sozialer Kontakte. Prozentual starben dabei allerdings ebenso viele Menschen wie in Frankreich, dem Land mit einer der höchsten Todesraten.

Mit ihrer Situation seien die Schweden aber „trotzdem zufrieden“, heißt es in dem Film. Vor dem Hintergrund dieser Behauptung werfen die Autoren einen kritischen Blick auf den Shutdown in Deutschland. Emotionale Bilder zeigen die Situation Pflegebedürftiger im Seniorenheim. Alte dürfen ihre Angehörigen nicht sehen: Wäre gegenüber dieser quälenden Einsamkeit das Infektionsrisiko nicht das geringere Übel?

[„Corona: Sicherheit kontra Freiheit. Deutsche, Franzosen und Schweden in der Krise“, Dienstag, Arte, 20 Uhr15]

Krankenhäuser, die ihre Intensivstationen für Covid-Patienten umrüsteten, seien längst nicht so stark ausgelastet gewesen wie erwartet. Dennoch wurden Zehntausende notwendiger Behandlungen abgesagt: Haben Experten und Entscheidungsträger Covid-19 überschätzt? Provoziert der mediale „Fokus auf die Fallzahlen“, so die Soziologin Ulrike Guérot, nicht einen fatalen „Alarmismus“? Ist die Angst vor dem Virus, so der Psychologe Gerd Gigerenzer, nicht „geschürt“ worden, damit Menschen „sich konformer verhalten“? Bedeutet die coronabedingte Einschränkung der Freiheit, so der Prominenten-Anwalt Gerhard Strate, „das Ende des Rechtsstaates“?

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können ]

Studien sollen belegt haben, dass Schulen keine Superspreader sind. Kinderärzte ziehen daraus einen voreiligen Schluss: Seelische Schäden der Kinder seien gravierender als ein mögliches Infektionsrisiko durch Schüler. Kinder stünden „unter Generalverdacht, den Tod anderer zu verschulden“. Werden hier nicht Kinder gegen Alte ausgespielt?

Ethisch grenzwertig erscheint auch das Zahlenkalkül, das die Dokumentation vorführt: Kann man das Virus kleinreden, indem man jene 700 Menschen, die in Deutschland täglich an Krebs sterben, gegen zahlenmäßig geringere Corona-Opfer aufrechnet?

Ein tendenziöses Bild

Der Film wirft unterdessen einen wohlwollenden Blick auf Anti-Corona-Demos. Rechtsextreme seien hier „in der Minderheit“. Und ja, man solle die Demonstranten nicht als „Covidioten“ ausgrenzen. Da der Lockdown Arme mehr betrifft als Wohlhabende, hätten einschlägige Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung auch „die Ungleichheit in der Gesellschaft verstärkt“.

Mit einer Fülle von Zuspitzungen möchte der Film „zur Debatte beitragen“, schießt dabei aber zuweilen über das Ziel hinaus. Schilderungen von Menschen, die dem Corona-Tod von der Schippe sprangen, sowie die hohe Mortalität in Italien und Spanien bleiben in diesem tendenziösen Bild unberücksichtigt. Auch Kritik am behördlichen Versagen – warum gibt es nach einem Dreivierteljahr noch immer keine flächendeckenden Schnelltests? – wird allenfalls angedeutet.

Die Situation der von Insolvenz bedrohten Selbstständigen scheint unwichtiger zu sein als der Appell für den schwedischen Sonderweg. Doch worauf basiert eigentlich die Zufriedenheit der dortigen Bevölkerung? Etwa darauf, dass – so die Gesundheitsexpertin Claudia Hansson – die Schweden trotz der fatalen Situation ihrer Pflegeheime „akzeptiert haben, dass ihre Eltern sterben“?

Diese bittere Pointe wird nur leise formuliert. Lärmend dagegen ist die Stimme von Hendrik Streeck. Der Virologe, der zunehmend als Anti-Drosten aufgebaut wird, plädiert dafür, dass Deutschland „eine Prise Schweden“ vertragen könnte. Heißt das nicht: eine Prise Tod?

Manfred Riepe

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false