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15 Jahre nach der Herztransplantation: Vorzeigepatientin und Hockeyspielerin.

© privat.

Chantals Weg zum neuen Herz: „Ohne das Spenderherz wäre ich heute nicht mehr hier“

Der Bundestag stimmt am Donnerstag über die Organspende ab. Chantal Bausch hofft auf die Widerspruchslösung – für alle, die ihr Schicksal teilen.

Die Angst rollt mit. Ein Koffer, so groß wie ein halber Kühlschrank, Chantal Bausch zieht ihn hinter sich her, wenn sie durch die Gänge des Deutschen Herzzentrums in Berlin läuft. Er pumpt laut, der Koffer. Er ist ihr Antrieb, ihr Motor. Ein Geräusch wie ein Puls, das Bausch daran erinnert: Dein Herz kann nicht alleine schlagen. Ein Kunstherz, eine Art mechanische Pumpe, muss ihr eigenes Herz unterstützen.

Zwei gartenschlauchdicke Kanülen, die aus der Bauchdecke kommen, lassen das Blut durch ihren Körper strömen, am einen Ende vernäht mit dem Herzen, am anderen verbunden mit einem tennisballgroßen Gefäß. Eine Übergangslösung. Um allein zu leben – zu überleben – braucht Bausch ein neues Herz. 

Das ist jetzt 15 Jahre her. Als Chantal Bauschs Herz versagt, ist sie 12, ein Kind. Heute ist sie 27, erinnern aber kann sie sich an all das noch genau. „Das war eine harte Zeit, eine Zerreißprobe“, sagt sie. „Einerseits wusste ich: Ich will leben. Andererseits war klar, dass dafür irgendwo jemand sterben musste, dass irgendwo eine Familie trauert.“

Bausch ist eine, die ihre Geschichte offen erzählt. Eine, die viel lacht, Späße macht. Eine Optimistin. Aktuell klingt sie angespannt. Nun werde sich „alles entscheiden“, sagt sie. Es geht nicht um ihr Herz, sondern um die Herzen für die anderen.

Am Donnerstag wird im Bundestag über eine Neuregelung der Organspende abgestimmt. Vielleicht gilt danach sie sogenannte doppelte Widerspruchslösung – jeder Mensch wäre im Fall seines Hirntods potenzieller Spender, wenn er dem nicht zu Lebzeiten widersprochen hat – und zugleich auch den nächsten Angehörigen nichts bekannt ist von einer anderslautenden Haltung. So will es Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU).

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Alternativ könnte es ein zentrales Spenderregister geben, Menschen würden dann regelmäßig an die Organspende erinnert – sie wären dann nicht automatisch Spender, sondern müssten explizit zustimmen. So will es Grünen-Chefin Annalena Baerbock. Die Betroffene Chantal Bausch sagt: „Wenn die Widerspruchslösung nicht kommt, wäre das wie ein Schlag ins Gesicht.“

Sie engagiert sich seit Jahren für Organspende, tritt in Talkshows auf, erzählt dort, wie das damals alles war. „Ohne die Regelung wird sich nichts verändern, dabei brauchen wir dringend mehr Spender“, sagt Bausch. Für sie ist das Thema ein persönliches. Sie kennt die Ungewissheit, das Warten, die Angst.

Aktives Leben mit neuem Herz

Ihre Geschichte sieht man ihr heute nicht mehr an. Bausch, 1,83 groß, schlank, langes Haar, ist Sportlerin. Sie wohnt bei ihrer Mutter und deren Lebensgefährten Jörg Wontorra in Bremen. „Ist grad unkomplizierter, als allein zu wohnen“, sagt sie, denn sie ist viel unterwegs: BWL-Studium in Hamburg, Bundesligahockey, Golf und Tennis in Bremen, Masterarbeit in Berlin bei Berlin Heart, einem Unternehmen, das Herzunterstützungssysteme entwickelt.

Bei der WM für Transplantierte hat sie vergangenes Jahr zwei Mal Silber gewonnen. Gerade war sie mit der Familie in Sölden, ab März arbeitet sie dort mehrere Wochen als Skilehrerin. Pause? Braucht sie selten, sagt Bausch. Vor 15 Jahren wäre das undenkbar gewesen. „Ohne das Spenderherz wäre ich heute nicht mehr hier.“

„Als würde ich gegen eine Wand atmen“

August 2004, die Ferien sind vorbei, die Schule hat gerade wieder begonnen. Bausch geht in die siebte Klasse des Gymnasiums. Vormittags pauken, danach auf den Hockeyplatz, ein ganz normaler Tag – erstmal. Als Bausch nachmittags die Treppe zu ihrem Zimmer nehmen will, muss sie pausieren, kriegt keine Luft, kommt keine Stufe weiter.

„Das fühlte sich an, als würde ich gegen eine Wand atmen“, sagt Bausch, „als hätte mir jemand die Luftröhre zugenäht.“ Der Arzt gibt Entwarnung: Keine Sorge, alles pubertär bedingt, heißt es, in ein paar Tagen wird es besser. Wird es aber nicht. Bauschs‘ Mutter hat eine Ahnung: Was, wenn etwas mit dem Herzen nicht stimmt?

„Das war völlig surreal“

70 Mal. So oft schlägt ein gesundes Herz pro Minute durchschnittlich. Fünf bis sechs Liter Blut werden dabei durch den Körper gepumpt. Bauschs' Herz schafft das nicht mehr. Eine Herzmuskelentzündung hat es irreparabel geschädigt, stellt ein Kardiologe fest. Man könnte auch sagen: Motorschaden. „Das war völlig surreal“, sagt Bausch. „Wenige Tage zuvor bin ich die Sportplätze rauf und runter gerannt, war topfit, dann durfte ich nur noch liegen, wurde mit Medikamenten vollgepumpt.“

Sie kommt ins Krankenhaus, liegt dort monatelang, erst in Bremen, dann in Berlin. Das Kunstherz wird ihr eingesetzt. Ihre Freunde schicken ihr Briefe. Wo bleibst du, fragen sie, kommst du bald wieder?

Warten auf ein Spenderherz: Chantal Bausch vor der Transplantation, mit zwölf Jahren.
Warten auf ein Spenderherz: Chantal Bausch vor der Transplantation, mit zwölf Jahren.

© privat

Einer, der Bausch „auf dieser Reise begleitet hat“, ist Kinderkardiologe Felix Berger, Leiter der Klinik für angeborene Herzfehler im Deutschen Herzzentrum Berlin. 215 Kinderherzen wurden dort zwischen 1988 und 2019 transplantiert. Berger sagt: „Chantal Bausch ist eine Vorzeigepatientin.“ Was er meint: Bausch geht gut um mit ihrem Körper. Sie sorgt für ihn, macht Sport, nimmt täglich Tabletten, damit der Körper das fremde Organ nicht abstößt.

Die Chance, dass ein Spenderherz über zehn Jahre funktioniert, liegt bei 70 Prozent. Bauschs' Herz schlägt schon viel länger, sie ragt aus der Statistik heraus. „Das ist ein toller Erfolg“, sagt Berger. Auf seiner Station warten gerade zwei Kinder auf einen neuen Lebensmotor – beide seit über einem Jahr. 95 Tage: So lange wartet Bausch damals, bis sie ein Spenderherz bekommt. Eine Wartezeit, die mit Blick auf die zu geringe Zahl der Spender heute undenkbar wäre.

Den Tag wird sie nie vergessen

Der 8. Juni 2005 ist ein sonniger Tag, Bausch weiß das noch, sagt sie, sie wird den Tag nie vergessen. Wir haben ein Angebot, sagt Felix Berger damals, als er ihr Zimmer betritt, vielleicht ist er deshalb bis heute ihr „Lieblingsarzt“. Angebot, das steht für: Es gibt ein Spenderherz, es muss aber noch geprüft werden, ob es zum Empfänger passt. Passt es, muss alles schnell gehen. Ein Herz, dem toten Spender entnommen, kann gekühlt und blutleer etwa vier Stunden überleben.

Als Bausch die Augen wieder öffnet, erst später, sie liegt zwei Wochen im Koma, ist es still. Kein Geräusch mehr, kein Pumpen, nur Stille. Keine Schläuche, die aus dem Bauch kommen, kein Koffer steht mehr neben dem Bett.

Ob der Spender mögen würde, wie sie sein Herz behandelt?

Wie sah ihr Spender aus, wie hat er gesprochen, hatte er ein schönes Leben? Bausch weiß das alles nicht. Sie wird es auch nie erfahren, das ist in Deutschland nicht erlaubt. Nur das hat man ihr gesagt: Er war 18, als er starb. Früher, sagt Bausch, hat sie sich oft ausgemalt, wer er wohl war. „Heute denke ich darüber nach, ob er wohl zufrieden wäre mit mir, ob er mich mögen würde, die Art, wie ich sein Herz behandle.“ 

Ein Treffen im Vereinsheim des Bremer Hockeyclubs vor drei Monaten. Bausch wirft ihre Sporttasche auf einen freien Stuhl. Viel Zeit hat sie nicht, am Nachmittag hat sie das nächste Spiel. Seit anderthalb Jahren steht sie für den Bremer HC im Tor, ihr Team spielt in der zweiten Bundesliga. Wenn es gut läuft, werden sie dieses Jahr Meister und steigen in die erste Liga auf. „Na, Chanti, später musst Du liefern, ne?“, begrüßt sie Trainer Martin Schultze, ein großer, bulliger Typ, im Mundwinkel qualmt eine Zigarette. Vor zwei Jahren hat er sie ins Team geholt, „so eine wie sie brauchen wir hier“, sagt Schultze. Bausch lacht. „Ist das nicht andersrum?“, fragt sie, „brauche ich nicht eigentlich euch?“

Beim Hockey kriegt sie den Kopf frei

Das Herz ist immer da. In Bauschs‘ Brust, klar, aber auch in ihrem Kopf. Wie geht es ihm heute? Was kann ich ihm zumuten? Wie lange schafft es noch? Fragen, die Bausch beschäftigen, über die sie öffentlich spricht.

Sie will anderen Mut machen, aufklären, wie wichtig die Organspende ist. Aber sie will auch „irgendwie normal sein“ – nicht immer nur die mit dem Spenderherz. Momente, in denen das geht, gibt es wenige. Nur auf dem Platz, sagt sie, da kriegt sie den Kopf frei. „Die Gegner hauen mir die Bälle um die Ohren, ohne Rücksicht auf mein Herz.“

Hier ist sie eine ganz normale Kämpferin, nicht für die Organspende oder das Überleben. Sondern für den Sieg, wie alle anderen auch.

Imke Wrage

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