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In der Kritik: FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle, hier mit seiner Frau Angelika.

© dpa

Brüderle am Pranger: Ein Herrenwitz schlägt hohe Wellen

Rainer Brüderle werden Anzüglichkeiten gegen eine „Stern“-Reporterin vorgehalten. Die FDP springt ihrem Spitzenkandidaten bei, Stern-Chefredakteur Thomas Osterkorn verteidigt hingegen die Veröffentlichung. Und auch die Autorin selbst meldet sich zu Wort.

Lange hat ein Herrenwitz nicht solche Wellen geschlagen. Nachdem Journalistin Laura Himmelreich, 29, im aktuellen „Stern“ über angebliche Annäherungsversuche des 67-jährigen FDP-Politikers Rainer Brüderle berichtet, wird nun diskutiert: Warum bringt das Magazin die Geschichte erst jetzt, ein Jahr nach der Begegnung? Will der „Stern“ Politik machen? Und: Wird hier eine Debatte über Sexismus im Journalismus losgetreten, die längst fällig ist?

„Diese Art der Berichterstattung ein Jahr nach einem angeblichen Vorfall ist zutiefst unfair“, sagte FDP-Politiker Guido Westerwelle der Deutschen Presse-Agentur. „Stern“-Chefredakteur Thomas Osterkorn verteidigt dagegen das mit „Der Herrenwitz“ betitelte Porträt. Der Artikel sei legitim; und auch der gewählte Zeitpunkt. „Die Geschichte lag nicht ein Jahr in der Schublade“, sagt Osterkorn am Donnerstag dem Tagesspiegel. Sondern der erste Eindruck, den die Autorin vor einem Jahr vom Umgang des FDP-Politikers mit Frauen gewonnen habe, sei „im Laufe der Zeit bei weiteren Beobachtungen und Begegnungen“ bestätigt worden. Es scheine ein „wiederkehrendes Verhalten“ zu sein. „Die Geschichte wurde erst jetzt geschrieben, weil unsere Leser ein Interesse daran haben, zu erfahren, was für ein Typ der künftige Spitzenkandidat ist.“

In dem Porträt beschreibt Himmelreich eine Begegnung an einer Hotelbar, in der Journalisten und Liberale vorm Dreikönigstreffen in Stuttgart zusammengekommen waren. Unter anderem erzählt sie davon, wie Brüderle ihren Busen gemustert und gesagt habe: „Sie können ein Dirndl auch ausfüllen.“ Bereits am Mittwochabend hatte Stern.de von diesem Vorfall berichtet, unter der Überschrift: „Der spitze Kandidat“. Es hagelte empörte Reaktionen – die sich allerdings eher gegen den „Stern“ und die Autorin richteten als gegen Brüderle. FDP-Präsidiumsmitglied Jörg-Uwe Hahn bezeichnete die Geschichte als „Tabubruch“: „Wer es nötig hat, so etwas als ,Story‘ zu verkaufen, hat sich von seinem Chefredakteur vor den schmutzigen Karren spannen lassen.“

Osterkorn hält dagegen. Die Begegnung zwischen Brüderle und Himmelreich habe nicht in einem privaten Rahmen, sondern öffentlich an einer Bar stattgefunden. Brüderle selbst hat sich zu der Begegnung und den Vorwürfen bisher nicht geäußert. Autorin Himmelreich stellte am Donnerstag im Deutschlandfunk klar: Der Tenor ihres Artikels sollte nie sein: Sie wurde von Rainer Brüderle belästigt, und jetzt will sie ihn an den Pranger stellen. Ihre Absicht sei es gewesen, „aufzuzeigen, dass Brüderle ein Politiker sei, der aus der Zeit gefallen zu sein scheint.“ Und dass der 67-Jährige nun als Spitzenkandidat der FDP im Wahljahr 2013 ins Rennen geschickt wird – das passe nicht. Sie finde es wichtig, dass die Debatte über den Umgang zwischen Politikern und jungen Journalistinnen geführt werde. Bereits vor einer Woche hatte Spiegel-Online-Journalistin Annett Meiritz im „Spiegel“ darüber berichtet, wie sie von Mitgliedern der Piratenpartei als „Prostituierte“ beschimpft wurde.

Attraktiv zu sein oder jemand Attraktives zu einem Termin zu schicken, sei keine Rechtfertigung für Sexismus, sagte Osterkorn: „Der Vorwurf ist genauso dumm wie der an Frauen, sie hätten mit ihrem Aussehen einen sexuellen Missbrauch selbst verschuldet.“ Junge Journalistinnen seien kein Freiwild. Er hoffe, dass der Artikel vielen Frauen nutze, „die ständig Ähnliches erleben und sich nun ermuntert fühlen, sich zu wehren.“ Die Initiative ProQuote, die sich für mehr weibliche Führungskräfte in den Medien einsetzt, begrüßt die Artikel. Lange hätten Frauen über solche Erfahrungen geschwiegen, weil sie nicht als weinerlich gelten wollten, sagte die Vorsitzende Annette Bruhns. Dass nun über Chauvinismus berichtet werde, stimme sie hoffnungsvoll, „dass sich in den Redaktionen und in der Gesellschaft etwas verändert“.

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