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Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer) muss sich ihren eigenen Geistern stellen, die der Nachbar der Toten (Aljoscha Stadelmann) bei ihr hervor ruft.

© Radio Bremen/Claudia Konerding

Bremer „Tatort Liebeswut“: Die Wände des Teufels

Luise Wolfram und Jasna Fritzi Bauer gehen im neuen Bremer „Tatort“ dem Tod einer Mutter und dem Verschwinden ihrer beiden Töchter nach.

„Der Teufel spricht zu ihnen durch die Wände – er ist ganz nah, ich kann nichts mehr tun“ steht in großen weißen Lettern an die Zimmerwand geschrieben. Als die Bremer Kommissarin Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer) durch das von den Polizei-Kollegen in die Tür geschlagene Loch steigt, taucht sie in eine sehr seltsame, befremdende Welt ein. Die Wohnung im Dachgeschoss eines heruntergekommenen Hauses wurde von Susanne Kramer und ihren beiden kleinen Töchtern bewohnt. Es hat gebrannt. Die Töchter – sie sind zehn und sechs – sind spurlos verschwunden.

Das von innen abgeklebte Zimmer mit der verschlossenen Tür haben Moormann und Kollegin Linda Selb (Luise Wolfram) zuletzt entdeckt. Überall sitzen Puppen, auf dem Bett liegt die Leiche, blutüberströmt und umhüllt von einem roten Hochzeitskleid. Daneben, auf dem Bettlaken, die Pistole. Kopfschuss. Dieser Teil des neuen Falls scheint eindeutig: Susanne Kramer hat sich erschossen. Aber warum? Und warum lässt sie ihre beiden Töchter allein zurück?

[„Tatort: Liebeswut“, am Sonntag um 20 Uhr 15 in der ARD]

„Liebeswut“ lautet der Titel des neuen „Tatort“ aus Bremen. Es ist der dritte mit dem noch relativ neuen Team um Luise Wolfram und Jasna Fritzi Bauer. Der Dritte im neuen Bunde, Dar Salim in dem Part des dänischen Kommissars Mads Andersen, fehlt diesmal. Inszeniert von Regisseurin Anne Zohra Berrached („24 Wochen“) nach einem Drehbuch von Martina Mouchot, entwickelt dieser lange Zeit kryptisch und wirr wirkende Fall zugleich eine ganz eigenartige – nicht zuletzt auch visuelle – Sogwirkung. Vielen Einstellungen der Kamera von Christian Huck liegt etwas latent Bedrohliches inne, ohnehin tappt man hier bis nahezu ganz zuletzt im Dunkeln.

Die Narration von „Liebeswut“ erzählt mehreres parallel: Da ist das Verschwinden der beiden Mädchen, von denen jede Spur fehlt. Auch an ihrer Schule weiß niemand etwas, nicht einmal der omnipräsente Hausmeister Conradi (Dirk Martens). Zugleich entwickelt sich der Fall der toten Frau in eine andere Richtung. Schließlich ist da Liv Moormann, die dieser Fall sehr anfasst. Während sie ermittelt, bekommt sie Flashbacks, die sie in ihre eigene Kindheit zurückführen. Moormann ist darin als Mädchen zu sehen, das von ihrer Mutter immer wieder vor die Wohnungstür ins Treppenhaus gestellt wird. Und so, wie die tote Frau in ein rotes Hochzeitskleid gekleidet war, wie immer wieder auch Puppen auftauchen, die rote Kleidchen tragen, so taucht auch in Moormanns retrospektiven Blicken die Farbe Rot immer wieder auf.

Anspielungen auf zwei Hitchcock-Filme

Rot spielt in den Flashbacks der titelgebenden Frauenfigur in Alfred Hitchcocks 1964 entstandenem Psycho-Drama „Marnie“ eine zentrale Rolle, wenn Marnie als Erwachsene sich selbst als kleines Mädchen sieht und immer wieder die Auseinandersetzungen ihrer Mutter mit einem Mann erinnert. Ganz ähnlich ist es hier. Der Nachbar Gernot Schaballa (Aljoscha Stadelmann), der unter der Wohnung der Toten wohnt, lebt hier mit seiner Mutter zusammen. Als Moormann ihn aufsucht, - dieser Nachbar erinnert sie just an den Mann, den sie in ihren Flashbacks in den Auseinandersetzungen mit ihrer Mutter sieht – da bemerkt sie, dass überall ausgestopfte Tiere stehen – fast ist es so, als stünde hier der nächste Hitchcock Pate, Anthony Perkins’ bei Mutter und mit ausgestopften Vögeln lebender Norman Bates aus „Psycho“.

[Alle Folgen des True-Crime-Podcasts Tatort Berlin des Tagesspiegels finden Sie hier]

„Liebeswut“ ist ein unorthodoxer, sehr eigener „Tatort“, der den Blick zugleich schärft und eintrübt ob seiner vielen erratischen Seitenstränge und Handlungsabzweigungen. Wer der Diabolus ist und wo er sitzt, das ist lange nicht erkennbar. Mehrfach befinden sich die beiden Ermittlerinnen auf dem Holzweg. Einmal führt es letztlich dazu, dass ein Mensch sein Leben beendet, als er sich in einer anderen misslichen Sache ertappt fühlt.

Doch im Kern erzählt dieser Fernsehfilm vor allem von einem: was aus Menschen wird, denen Liebe entzogen oder aber erst gar nicht gegeben wird. Es sind Menschen, dies wird hier eindrücklich beschrieben, die emotional verkümmern und dies zu kompensieren versuchen. Abgründe tun sich dabei auf. Das schräge, nahezu durchweg labile Figurenpersonal von „Liebeswut“ ist geradezu voll davon. Und nicht nur für eine oder einen gilt: Der Teufel spricht zu ihnen durch die Wände.

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