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Borgia-Soaps: Luder im Kerzenschein

Das wird richtig teuer: Oliver Hirschbiegel verfilmt das Leben des Renaissance-Clans Borgia. Parallel inszeniert auch Neil Jordan den saftigen Fernsehstoff.

Pferdemist und Stroh bedecken das Pflaster. Äpfel verfaulen, welke Kohlköpfe stinken zum Himmel. Pisse trocknet an den Mauern der Häuser, die so um das Jahr 1492 herum in einem Elendsviertel Roms gestanden haben könnten. Aber das echte Rom ist weit weg. Die Prager Stadtautobahn lärmt unterhalb des nachgeahmten Slums. In diesem Dreck, von den Ausstattern der legendären Prager Barrandov-Studios kunstvoll hergerichtet, entsteht derzeit Europas mutmaßlich teuerste Fernsehserie. Der Deutsche Oliver Hirschbiegel verfilmt hier seit Oktober das Leben des Renaissance-Clans Borgia – auch bekannt als „der Schrecken von Rom“.

Aber nicht nur das. Der deutsche Regiemeister, den man seit dem Hitler-Opus „Der Untergang“ eigentlich für immer an Hollywood verloren glaubte, dort aber nur „beschissene Bücher“ (Hirschbiegel) angeboten bekam, muss nun an der Moldau nicht viel weniger als die Ehre der europäischen TV-Industrie verteidigen.

Rund 530 Kilometer südöstlich, in Budapest, macht sich zeitgleich der Ire Neil Jordan („Interview mit einem Vampir“) an das Leben der Borgia ran mit seinem zentralen Star Jeremy Irons. Die (vorerst) zehn Episoden „The Borgias“ hat der amerikanische Bezahlkanal Showtime bestellt, um Ersatz zu schaffen für „The Tudors“ (läuft auch bei ProSieben), die Erfolgsserie um diese andere machtversessene Mittelalter-Sippe im England Heinrich des VIII. Das Retro-Genre gilt eben global gerade als schick und erfolgversprechend. Man sieht es nicht zuletzt auch hierzulande an der Quote der Ken-Follett-Verfilmung „Die Säulen der Erde“, die Sat 1 montags im bisherigen Schnitt sieben Millionen Zuschauer beschert hat.

Dass sich gleich zwei TV-Teams parallel auf den saftigen Borgia-Stoff stürzen, wundert nicht. Kaum eine andere Familie im ausgehenden Mittelalter war so verrufen und skrupellos wie die Einwandererfamilie aus Spanien. Ihr Oberhaupt Rodrigo aus Valencia (bei Hirschbiegel gespielt von John Doman, bekannt aus der US-Serie „The Wire“) wurde im Jahr der Amerika-Entdeckung Papst Alexander VI. Er zeugte nebenbei viele Kinder. Cesare, Juan und Lucrezia setzte er für seine Pläne wie Schachfiguren ein. Auf dieser Historie baute Mario Puzo seine italienische Mafia-Saga „Der Pate“ auf, die dann Francis Ford Coppola verfilmte.

So etwas „wie Dallas oder Denver Clan in der Renaissance“ sind die Borgia für Regisseur Hirschbiegel. Bei der Inszenierung orientiert sich der Kahlkopf, der in seinen Anfängen bei „Kommissar Rex“ Regie führte, nicht am TV-Trash der Achtziger. Das fast fahrtenlose, tableauartige Erzählen aus Coppolas „Paten“ schwebt ihm vor. Auf Kunstlicht will Hirschbiegel verzichten, Kerzen leuchten überall. Willkommen im düsteren Mittelalter.

Auch deutsches Geld und einige deutsche Schauspieler stecken in dem 25-Millionen-Euro-Projekt, das die Münchner Filmfirma EOS („Napoleon“) des ehemaligen Kirchadlaten Jan Mojto mit produziert (neben Canal+ und Atlantique Productions aus der französischen Lagardère-Mediengruppe). Der 17-jährigen Isolde Dychauk aus Berlin wurde die tragende Rolle des Renaissance-Luders Lucrezia anvertraut. Eine gewaltige Aufgabe, denn in 38 Lebensjahren brachte es Lucrezia auf vier Ehen, neun Kinder und den Ruf als geschickte Giftmörderin.

Etwas weniger tragend ist die Adriana de Mila von Andrea Sawatzki. Gerade vom ARD-„Tatort“ befreit, genießt die 47-jährige Actrice in Prag ihren ersten internationalen Auftritt; Drehsprache ist Englisch. Die Rolle der spitznasigen Gouvernante, die Rodrigos Kinder hütet, passt zu Sawatzki. International, sagt die hierzulande populäre Schauspielerin, müsse sie „bei null anfangen“.

„Sawatzki who?“ Diese Frage soll Tom Fontana gestellt haben, als ihm Vorschläge für die Besetzung gemacht wurden. Der New Yorker ist in den USA eine große Nummer als Produzent und Autor. „OZ“ (Knastserie) und „Homicide“ (Polizeiserie) stammen von Fontana. Bei den „Borgia“ ist er nun, wie es seit den seligen Zeiten von Edgar Reitz und Helmut Dietl im deutschen Fernsehen nicht mehr üblich war, der „Showrunner“. Er entscheidet von der ersten Drehbuchzeile über Cast, Regie und Schnitt. Kaum jemand darf Fontana dazwischen funken, erst recht kein Fernsehredakteur. Andrea Sawatzki hält große Stücke auf den am Set dauerpräsenten und „immer hilfsbereiten Ersatzregisseur“. Regisseur Hirschbiegel, wie Sawatzki auch eher von der physisch zarten Sorte, schwärmt ebenso: „Tom und ich sind wie Pat und Patachon.“

An dem Vergleich mit dem dänischen Komiker-Duo, das in der Stummfilmzeit durch Tapsigkeit und sehr verschiedenem Körperbau unterhielt, ist durchaus was dran. Zum Interview genehmigt sich der stabil gebaute Fontana, sehr amerikanisch, einen Bourbon on the rocks. Dann legt er los in leidenschaftlichem Furor: Politik, Religion, Humor, Familienzwist, Spiritualität, Eifersucht, Mord, Intrigen, Gift, Inzest – pah, alles drin in den Borgia, was man für eine gute TV-Story braucht. Für eine gute amerikanische TV-Story? „Die Wahrheit ist“, sagt Fontana, „ich habe nie Serien für das amerikanische Publikum geschrieben. Ich schreibe Serien, die ich selber sehen möchte.“

Wann und wo Hirschbiegels zwölfteilige Borgia-Saga (und bei Erfolg weitere Episoden) im deutschen Fernsehen zu sehen sein wird, ist noch unklar. Die Verkaufsgespräche dauern noch an. Es läuft wohl auf einen öffentlich-rechtlichen Sender hinaus. Neil Jordan will mit seinen Borgia schon im Frühling fertig sein. Hirschbiegel und sein Team planen die letzte Klappe für den nächsten Herbst. Der Deutsche gibt sich entspannt im Wettstreit: „Ich mag den Neil sehr gerne. Ich weiß nicht, was er da in Budapest treibt. Aber ich finde meine Besetzung besser.“

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