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Medien: Böse kommt gut

Alle sehen Krimis – nur warum? Antworten vom ersten Fernsehkrimi-Festival

Wir alle sehen Krimis, und wie. Allein der „Tatort" der ARD am vergangenen Sonntag hatte mehr als zehn Millionen Zuschauer. Dabei, was bringt der Fernsehkrimi den Zuschauern? Er zeigt das Unschöne, das Missglückte unserer eigenen Realität. Und er wirft Fragen auf, Fragen über uns selbst – wie würden wir handeln, wenn …? Fragen, die das erste Deutsche Fernsehkrimi-Festival zu beantworten versuchte. Also machte man sich auf ins schöne Wiesbaden, um dort in der FilmBühne Caligari, einem 1928 erbauten Jugendstil-Juwel, Fernsehkrimis zu sichten, Symposien zu besuchen, den Machern vor und hinter der Kamera zu begegnen.

Der deutsche Fernsehkrimi, der 90-minütige zumal, ist einerseits Abbild realer Missstände, andererseits auch Überhöhung, Grenzüberschreitung, Phantasma. Oft sind Gut und Böse nicht wirklich voneinander zu trennen, oft ist allein die Frage nach der Identifikation des Zuschauers nicht eindeutig, oft auch werden Sehnsüchte und Gelüste ausgelebt, die man im wahren realen Leben zu unterdrücken gelernt hat. Menschliche Abgründe, sublimiert, unausgelebt. Es ist das Ambivalente in uns allen. Und das alles betrifft uns, die Zuschauer. Wenn Bella Block etwa im jüngsten, dem 18. Fall („ … denn sie wissen nicht, was sie tun") jugendlichen Mördern auf die Spur kommt und schlussendlich ein pubertierendes Mädchen inhaftieren muss, dann ist der Übergang in unsere Wirklichkeit fließend. Gerade erst wieder schoss ein 14-jähriger Junge in einer bayerischen Schule auf seinen Lehrer und verfehlte ihn nur knapp. Nur ein Beispiel. Die Täter werden jünger, die Hemmschwellen niedriger, die Traumata tiefer.

Und gerade die Fernsehfilme der Öffentlich-Rechtlichen, sie trauen sich, an Tabus zu rütteln, trauen sich, von diesen Grenzüberschreitungen zu erzählen. Viele „Tatorte“, viele ZDF-Samstags-Krimis sind geradezu düster in ihren Themen und in ihrer Visualität. Das wirkt wie ein Gegenentwurf zur fortschreitenden und um sich greifenden „Pilcherisierung“. Und, auch das eine Erkenntnis aus den drei Tagen in Wiesbaden, der Publikumserfolg hat scheinbar viel mit der Gespaltenheit und Zerrissenheit des einen oder des anderen Ermittlers zu tun, mit ihrem Wankelmut so manches Mal, ob diese oder jene Entscheidung auch richtig war, ob man nicht gerade selbst ein anderes Leben verpfuscht hat. Dass die Stärke des Kommissars (gerne auch der Kommissarin) eben das Zeigen von Schwäche sein kann, das ist es auch, was interessiert, was bewegt.

Aber nicht nur Fragen wurden in Wiesbaden beantwortet, es wurden auch Preise vergeben. Neun Fernsehkrimis und eine fünfköpfige Jury. Und deren Sprecherin, die „Bella Block“-Autorin Doris Gercke, begründete die Wahl des ersten Deutschen Fernsehkrimi-Preisträgers – „Tatort: Herzversagen“ (Hessischer Rundfunk) – folgendermaßen: „Der Film ist ein beeindruckender Film über die Kälte in der Gesellschaft, in der die alten Menschen auf menschenverachtende Weise abgeschoben werden.“ Der Film tue dies mit äußerst sensiblen dramaturgischen Mitteln. Dabei würden vor allem die herausragende schauspielerische Leistung der beiden Ermittler Andrea Sawatzki und Jörg Schüttauf überzeugen, „die durch ihre heikle Arbeit nicht verhärten, sondern diesem Thema auf mitfühlende Weise nachstellen und ihm auch persönlich begegnen". Das mag durchaus stellvertretend für das Format des 90-minütigen deutschen Kriminalfilms stehen: Qualität und Quote, Sensibilität im Umgang mit Randthemen.

Den Preis – eine Trophäe aus Acryl und 1000 Liter Wein aus dem Weingut der Landeshauptstadt Wiesbaden – überreichte Gercke an die Fernsehspielchefin des Hessischen Rundfunks, Liane Jessen, den verantwortlichen Redakteur Jörg Himstedt und den Autor und Regisseur Thomas Freundner. Den Preis für die beste Ausstattung erhielt Károly Pákozdy für „Polizeiruf 110: Der Prinz von Homburg“ (HR), als beste Nebendarstellerin wurde Monica Bleibtreu für ihre Rolle in „Tatort: Abschaum“ (Radio Bremen) ausgezeichnet. Die Publikums-Jury schließlich votierte für die ZDF-Produktion „Bella Block – … denn sie wissen nicht, was sie tun“. Na bitte!

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