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Beim "Spiegel" war Claas Relotius, der jetzt als Betrüger enttarnt wurde, zuletzt angestellt.

© Karikatur: Klaus Stuttmann

Betrugsaffäre um "Spiegel"-Reporter: Ein Fall Relotius darf sich nicht wiederholen

Ein bewunderter Reporter hat über Jahre Storys erfunden. Wie konnte das passieren? Ein Kommentar – auch in eigener Sache.

Ein preisgekrönter, in der Branche bewunderter Reporter hat jahrelang Storys erfunden. Und niemand hat es gemerkt. Chefredakteure nicht, seine Vorgesetzten nicht, seine Kollegen nicht, seine Freunde nicht, wohl nicht einmal seine Frau. Claas Relotius, der sich Reporter nannte und ein Hochstapler war, hat für die besten Medien der Republik gearbeitet – den „Spiegel“, wo er zuletzt angestellt war, auch für „Zeit“, die „Süddeutsche Zeitung“, die „NZZ“, die „Welt“. Und auch der Tagesspiegel hat zwei Texte von ihm gedruckt, von denen zumindest einer vermutlich gefälscht ist.

Noch steht bei den meisten Redaktionen nicht sicher fest, welche Artikel ausgedacht, welche mit Fantasie angefüttert wurden und welche der Wahrheit entsprachen. Allein beim „Spiegel“, so machte die Redaktion jetzt publik, waren etliche Storys in wesentlichen Teilen erfunden.

Übelschreiber wie Relotius hat es im Qualitätsjournalismus immer wieder gegeben. Der US-Amerikaner Stephen Glass war so einer, in den 90er Jahren. Der Schweizer Tom Kummer wurde mit seinen spektakulären Interviews mit Weltstars bekannt, an die niemand sonst herankam. Er auch nicht, die Interviews waren erstunken und erlogen. Doch die neue Betrugsaffäre trifft die Branche zur schlimmsten Zeit. Die besten Medien des Landes drucken erfundene Storys – besser kann man das Misstrauen in die Branche nicht schüren. Ausgerechnet die Redaktionen, die mit akribischen Faktenchecks und gründlichen Recherchen versuchen, die Lügen von Propagandisten und Populisten zu entlarven, sind selbst ein Fall für Faktenchecker geworden.

Fakten sind das eine, Reportagen das andere

Wie konnte das passieren? Gute Redaktionen sind von leidenschaftlichem Einsatz ihrer Mitarbeiter getragen, von Recherche und einem Grundvertrauen in die Wahrhaftigkeit der Kollegen. „Das Unternehmen Aufklärung“ hatte Rudolf Augstein sein Lebenswerk, den „Spiegel“, einst genannt. Und das Foyer des Verlagshauses am Hamburger Hafen ziert in silbernen Lettern ein anderes Augstein- Diktum: „Sagen, was ist“. Und nicht etwa: Was sein könnte.

Deswegen beschäftigt das Blatt eine Dokumentation, die in akribischer Arbeit alle Fakten vor Erscheinen eines Textes überprüft. Dazu wird jeder Artikel von den Ressortleitern gegengelesen, von der Rechtsabteilung, von der Schlussredaktion und der Chefredaktion. Bei Zeitungen wie dem Tagesspiegel liegt die Verantwortung bei Ressortleitern und Chefredakteuren. Allen führenden deutschen Medien ist der handwerkliche Anspruch gemein, akkurat zu berichten und Fehler zu vermeiden. Dabei sind Fakten überprüfbar: anhand von Verzeichnissen, Dokumenten, Protokollen oder wissenschaftlichen Studien.

Wo es allerdings um persönlich Erlebtes von Reportern geht, und darauf beruhten die Werke von Relotius in großen Teilen, kommt das Vertrauen ins Spiel. Denn Beobachtungen und Eindrücke sind nicht nachprüfbar. Hier kommt es auf das Ethos des Journalisten an. Relotius hatte kein Ethos, er war zerfressen von dem Ehrgeiz, die bestmögliche Reportage zu liefern. An solchen Kollegen versagt das System.

Relotius könnte ein Fall für den Staatsanwalt werden. Aber das allein reicht nicht. Sein Betrug an Kollegen und Lesern muss allen Redaktionen eine Mahnung sein. Vertrauen allein – und sei es über Jahre erworben – reicht nicht. Ein Fall Relotius darf sich nicht wiederholen. Zu kostbar ist die Ware Wahrheit, um sie Leuten wie ihm zu überlassen. Und dennoch werden sich Fälle wie dieser nie ganz vermeiden lassen. Wir können allerdings versprechen: Wann immer wir einen aufspüren, werden wir unseren Lesern gegenüber offen damit umgehen – und Fehler korrigieren.

Finden Sie hier unsere Causa-Debatte zur Frage: Was tun gegen die Glaubwürdigkeitskrise der Medien?

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