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Da stimmt was nicht. Die Kommissare Julia Grosz (Franziska Weisz) und Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) beugen sich über den erschossenen Einbrecher.

© NDR/Christine Schroeder

Besorgte Bürger im "Tatort": Wut schreit, Wut schießt

„Treibjagd“ im "Tatort": Was passiert, wenn der Bürger zur Selbstjustiz greift.

Im Hamburger Stadtteil Neugraben wird in einem Haus nach dem anderen eingebrochen. Die Eigentümer bilden eine Bürgerwehr, von der Polizei fühlen sie sich verlassen und verraten. Die reagiert, die Bundespolizisten Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Julia Grosz (Franziska Weisz) unterstützen eine Sonderkommission gegen die offensichtlich organisierte Bande.

Ein Bürger greift zur Waffe. Dieter Kranzbühler (Jörg Pose) erschießt bei einem Einbruchsversuch in sein Haus den jungen Täter. Der Fall scheint klar zu sein: Der Einbrecher hatte eine Waffe bei sich, der Anwohner handelte in Notwehr. Doch Falke und Grosz haben Zweifel, denn die Waffe des Einbrechers entpuppt sich als Attrappe. Zudem scheint ein Komplize am Tatort gewesen zu sein, der auf der Flucht ist – und jetzt beginnt der Wettlauf zwischen Falke und Grosz, wütenden Anwohnern und denjenigen, die die wahren Hintergründe vertuschen wollen. Und „Treibjagd“ heißt auch, dass im Netz heftige Stimmungsmache betrieben wird – die besorgten Bürger gegen die unfähige Polizei, die Welle der Ressentiments bleibt nicht nur verbal und visuell, sie wird real. Der ARD-„Tatort“ zeigt, was passiert, wenn alle ihrer Wut und ihrem Hass hinterherlaufen.

Die Autoren Benjamin Hessler und Florian Oeller setzen ihren „Tatort“ ins kleine Karo. Hamburg in City und Vorort, vor allem im Vorort. Einbruch ins eigene Heim, die vielleicht größte Verletzung individueller Intimität – dieser Krimi aktualisiert eine echte German Angst und übersetzt sie in tragfähiges Personal, auch wenn dieses in seinem Sosein übertrieben große Schwitzflecken unterm Arm hat, sprich der panische, schießbereite Mitbürger sehr panisch und sehr schießbereit ist.

Lüge provoziert neue Lügen

Andererseits zeigt der psychologisch intonierte Fall, was eine Tat, eine Lüge, eine Bruderliebe an weiteren Taten und Lügen provozieren kann. Wenn das große Geschrei des Maulhelden Bernd Kranzbühler (Andreas Lust) den stillen Verlierer Dieter zur Pistole greifen lässt. Wenn der Bruder den Bruder decken will, wenn Bernd etwas, was er selbst angezettelt hat, zu einem guten Ende für seinen Bruder Dieter bringen will. Wenn Druck Überdruck wird und es nur noch falsche Lösungen gibt.

Wotan Wilke Möhring versucht auch in „Treibjagd“ nicht, seinen Bundespolizisten Thorsten Falke zum Freund und Helfer umzudeuten. Er bleibt grob und grobmotorisch, er geht jeden Verdächtigen und Unverdächtigen schräg an, was Falke an „Scheiße“ rausbrüllt, das ist so gar nicht hanseatisch. Aber dieser Falke kombiniert rasch, handelt rasch, geht rasch drauflos, Bernd Kranzbühler nennt ihn einen „Terrier“. Möhring gibt seinem Hauptkommissar Farbe und Färbung, Falke ist konsequent und konsequent in seinen Irrtümern, indem er den Netzmob nicht ernst nimmt.

Franziska Weisz als Oberkommissarin Julia Grozs trägt ihre Haare dieses Mal offen. Was ordentlich wehen muss, wenn die Fahndung kreuz und quer, durch Wald und Flur geht. Grosz’ Methde ist nicht Klotz-auf-Keil wie beim hochtourigen Kollegen, sie sieht in die Menschen hinein, erkennt auf Not und Notlage. Fragen hilft, Reden hilft – Falke und Grosz bieten Binnenspannung, wo dieser „Tatort“ in seiner Final-Orientierung ordentlich Zunder und Tempo hat. Es geht um ein weiteres Leben – oder um weiteren Tod? Wotan Wilke Möhring und Franziska Weisz akzentuieren ihre Fahnder scharf und eindeutig und lassen, wo nötig, ihre Polizisten einfach nur Polizisten sein.

Biedermänner und Brandstifter

Die Autoren Hessler und Oeller haben ein geschicktes Händchen für die Nachbarn, für die Brüder Kranzbühler. Für die Biedermänner und die Brandstifter, die sich nichts, aber anderen viel Böses wollen. Andreas Lust (Bernd) und Jörg Pose (Dieter) spielen das gekonnt aus.

Samira Radsi führt Regie, das hat sie schon beim „Tatort: Die Füchsin“, bei „Deutschland 83“ und gerade bei der „Protokollantin“ im Zweiten getan. Sie zieht das Tempo an, lässt locker, die Kamera von Stefan Unterberger schaut aus der Totalen, von oben, direkt ins Gesicht. Sie gibt der Spannung Raum, engt sie ein, setzt sie unter Druck. Regie und Bildgestaltung setzen zur „Treibjagd“ an.

„Tatort: Treibjagd“, ARD, Sonntag, um 20 Uhr 15

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