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Reden ist Silber, Schweigen ist Gold? Nur wenn der Dialog zwischen zwei Menschen wirklich zustande kommt, nur dann fliegen auch die Gedanken von einem zum anderen.

© Getty Images/Stockphoto

Bernhard Pörksen über die Kunst des Miteinander-Redens: „Wir Menschen sind Dialogtiere“

Aber Miteinander-Reden ist schwierig. Gespräch mit dem Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen über eine Kunst, die dringend wiederbelebt werden muss.

Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Herr Pörksen, zusammen mit Friedemann Schulz von Thun haben Sie das Buch „Die Kunst des Miteinander-Redens“ vorgelegt. Ist es so weit, ist das Miteinander-Reden schon eine Kunst geworden?
Ja. Denn das Miteinander-Reden wird unter den aktuellen Medienbedingungen schwieriger, es wird wichtiger. Und es muss – denken Sie nur an die Corona- oder Klimakrise, deren Bewältigung die globale Kooperation voraussetzt – deutlich effektiver werden. Unser Kerngedanke ist, dass es eine neue Aufklärung braucht, die nicht, wie in der Vergangenheit, die Philosophie als Leitwissenschaft begreift, sondern Kommunikationspsychologie und Medienanalyse kombiniert. Das versuchen wir.

Kunst heißt jedoch auch: Schönheit, ästhetisches Empfinden.
Stimmt. Und wenn das Gespräch gelingt, dann ist das – im Sinne eines ästhetischen Erlebens – wunderschön, zumal in so angespannten Zeiten. Wir Menschen sind Dialogtiere, wir genießen das kommunikative Miteinander. Ohne die Sauerstoffzufuhr eines guten Gesprächs priemeln wir alle ein, ohne das gelingende Miteinander-Reden fehlt eine entscheidende Dimension unserer Existenz. Und: Das Erlebnis des Verstanden- und Gehörtwerdens macht glücklich, weil man sich angenommen und akzeptiert fühlt.

[Pörksen/Friedemann Schulz von Thun: Die Kunst des Miteinander-Redens. Über den Dialog in Gesellschaft und Politik. Carl Hanser Verlag, München, 2020. 224 Seiten. 20 €.]

Der Kommunikationspsychologe Schulz von Thun und der Medienwissenschaftler Pörksen schreiben nicht kapitelweise über die „Dynamik der Polarisierung“ oder „Transparenz und Skandal“, sondern sie führen darüber einen Dialog zu zweit. Warum diese Form der thematischen Annäherung und Auseinandersetzung?
Mein Lehrer, der wunderbare Dialogiker und Kybernetiker Heinz von Foerster hätte Ihnen als Antwort einen seiner rätselhaften Aphorismen hingeschmettert. Foersters Sentenz zum Thema: Die Form ist Botschaft. Und die Botschaft ist die Form.

Was hat er damit gemeint?
In einem Dialog, der diesen Namen verdient, beginnt die Wahrheit zu zweit, wie Friedemann Schulz zu sagen pflegt. You need two to tango... Eben das ist die Botschaft der Form. Ideen und Einfälle, die ohne die kritischen Einsprüche des Anderen im Anschein des Absoluten stehen blieben, lassen sich von verschiedenen Seiten aus umspielen. Das heißt, der Dialog feiert eine Harmonie höherer Ordnung, die in der Anerkennung und nicht in der Beseitigung oder Unterdrückung von Unterschieden liegt. Und genau darum geht es doch gegenwärtig, oder?

Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen.
Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen.

© Peter-Andreas Hassiepen

Überzeugend scheint mir dieser Weg zu sein, weil damit Fragen der Leserschaft quasi inbegriffen sind, bemerkenswert auch, weil sie beide ad personam vorführen, dass Miteinander-Reden möglich, erkenntnisreich und gewinnbringend sein kann. Trotzdem: Ist die Buchfassung nicht auch das Ergebnis unzähliger Missverständnisse, gegenseitiger Übertölpelung und individueller Besserwisserei?
Da muss ich zurückfragen: Sie meinen, ob wir uns beim Schreiben und bei der nachträglichen Bearbeitung klüger, eleganter und pfiffiger gemacht haben, als wir in den tatsächlichen Gesprächen waren?

So ist es, ja. In der Glättung wird geschönt.
Ich denke, dass die Glättung und Gestaltung unbedingt nötig sind und dass es, wenn man Konflikte stehen lässt, Schroffheiten und Scherze nicht tilgt, eine Authentizität und Ernsthaftigkeit anderer Art gibt, die dann doch übrig bleibt. Wir haben seit 2014 an diesem Buch gearbeitet, uns alle paar Monate zu manchmal fröhlich mäandernden, manchmal sehr intensiven Gesprächen getroffen – und uns zwischendurch herzhaft darüber gestritten, ob man mit allen reden kann und soll. Am Ende war unser Buch und das Konvolut der Transkripte auf mehr als 800 Seiten angewachsen, die definitiv niemand hätte lesen wollen – ein ziemlich wildes Sammelsurium der Einfälle und Ideen. Die Frische und Frechheit des Mündlichen mit der Präzision und der Stringenz des Schriftlichen zu kombinieren – darauf kam es uns dann an. Ob das gelungen ist? Keine Ahnung, aber unter uns Sozialpädagogen: Wir haben uns bemüht...

Einen „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ hatte Jürgen Habermas festgestellt, Sie stellen einen „Wandel der Öffentlichkeit“ fest. Die Grenzen des Sagbaren liegen wo?
Schwierige Frage, denn wir leben, kommunikationsanalytisch betrachtet, in einer Gesellschaft der Gleichzeitigkeiten. Einerseits gibt es eine Verwilderung und Überreiztheit von Debatten. Jede Menge Hass und Hetze, die sich online wie offline entlädt. Es ist schlicht furchtbar, was manche Menschen hier aushalten müssen. Und hier, in dieser Welt verschieben sich die Grenzen des Sagbaren massiv, getrieben von Rechtspopulisten und ihren professoralen Claqueuren, von Pöblern und Hatern. Andererseits gibt es in manchen akademischen Milieus eine mitunter hypersensible Betulichkeit, Triggerwarnungen und die Angst vor Mikroaggressionen, die auch etwas Irreales hat. Hier wiederum werden die Grenzen des Sagbaren argwöhnisch festgeklopft und mit einigem Furor enger gesteckt. Und schließlich existiert auch eine Sphäre der echten Wertschätzung – in Schulen, Universitäten, Unternehmen und Redaktionen. Hier wird eine respektvolle Kommunikation gelebt.

Miteinander-Reden klingt ein wenig pastoral. Sie meinen bestimmt Miteinander-Streiten?
Nicht nur, nein. Während das Miteinander-Streiten in der Gefahr ist in Richtung einer sinnlosen Aggression abzudriften, darf sich das Miteinander-Reden nicht in wohliger Bravheit und gefühliger Achtsamkeit erschöpfen, es braucht den Energiestoß echter Relevanz und durchdachter Substanz. Die gesellschaftliche Mitte ist hier gefordert, aus dem Stuhlkreis-Modus herauszukommen, die Streitbarkeit in der Sache zu trainieren. Und beide Extreme, die Bravheit wie die Eskalation, sind aus meiner Sicht – nur eben aus unterschiedlichen Gründen – Gift für den entschiedenen Disput.

Und wenn wir doch – auch ohne pastoralen Zungenschlag – ein Ideal verkünden. Was wäre das?
Meine These lautet: Je massiver und unmittelbarer, zumal unter den Bedingungen vernetzter Kommunikation, Perspektiven, Weltbilder und große und kleine Ideologien aufeinanderprallen, desto wichtiger wird die Zukunftstugend der respektvollen Konfrontation. Sich nicht wegducken, aber auch nicht sofort verbal draufhauen und dadurch das Kommunikationsklima weiter ruinieren – das erscheint mir als das Gebot der Stunde.

Wie gehen Sie beide das bevorzugte Axiom heutiger Kommunikation an: Meine persönliche Wirklichkeit ist die Wahrheit, mein Geschmacksurteil die Realität?
Das ist ein Kategorienfehler, den Sie hier zu Recht attackieren. Er handelt, mal ganz hemdsärmelig und ohne erkenntnisphilosophische Schlenker gesagt, von der Verwechslung von Faktum und Meinung. Donald Trump hat diese Verwirrungstechnik perfektioniert; übrigens schon von Beginn seiner Polit-Karriere an, als er die verschwörungstheoretische Behauptung, dass Barack Obama gar kein gebürtiger Amerikaner und damit kein legitimer US-Präsident sei, zu einer „wunderschönen“ Meinung erklärte, die genauso in Ordnung sei wie die Gegenmeinung. - Tja, was kann man da tun? Die schlechte Nachricht lautet, dass mit dem Aufstieg eines aggressiven Populismus Wahrheitsfragen zu Machtfragen werden. Es bleibt jedoch – trotz der möglichen Schwäche dieser Position – für demokratisch gesinnte Geister nichts anderes übrig als auf dem rationalen Diskurs und der Unterscheidung von Tatsache und Meinung zu bestehen.

Warum ist Polarisierung denn des Teufels? Liegt in der Klarheit nicht verteufelt viel Wahrheit?
Sie haben Recht. Und darüber disputieren wir auch ein wenig in unserem Buch. Ich bin der Auffassung, dass es gute und schlechte Formen der Polarisierung gibt. Fatal ist die Spektakelpolarisierung, geprägt von Nonsens-Themen, begleitet von der Diffamierung von Personen. Sinnvoll und wichtig ist hingegen eine programmatische Polarisierung - auch die Parteien der Mitte sollten sich über die Zukunftsbilder und Handlungsalternativen streiten, die von der ökologischen Modernisierung des Landes, der gelingenden Integration oder der Neuausrichtung der Bildung in Zeiten der Digitalisierung handeln.

Beide, Pörksen wie Schulz von Thun, scheinen ein Dilemma nicht auflösen zu können: Dass aus dem Verstehen-Wollen einer radikalen Position das Verständnis für ebenjene Position erwächst – jedenfalls in der Wahrnehmung anderer. Dass Empathie als Sympathie missverstanden wird.
Stimmt. Hier hilft nur maximale Klarheit, das Bemühen um Trennschärfe im Diskurs. Wir sagen: Wer erst einmal nur verstehen will, vielleicht auch ein wenig Verständnis für die Motive des Gegenübers äußert, ist deswegen noch lange nicht einverstanden. Und es ist, lieber Herr Huber, auch ein Problem eines konfliktfaszinierten Journalismus, über das wir hier sprechen. Ganz pauschal gesagt: Empathie wird viel zu schnell als Sympathie skandalisiert. Auch das tut dem Kommunikationsklima nicht gut.

Dialog verunsichert, eine so gar nicht schöne Wirkung und Nebenwirkung…
Das sehe ich anders. Weil einem diese Verunsicherung im Dialog einem mit einer größeren Wahrnehmungsfülle vergütet wird. Plötzlich bekommen die eigenen Gewissheiten unscharfe Ränder - und man sieht mehr als zuvor.

Wer die 230 Seiten gelesen hat, der hat erfahren: Diesen beiden Dialogpartnern fehlt es nicht an Zuversicht für eine sich hoffentlich ausbreitende Überzeugung, dass die Kunst des Miteinander-Redens ein Überlebensthema ist. Wer wird den Aposteln der klärenden Konfrontation folgen?
Die vermessene, mir selbst etwas unheimlich erscheinende Antwort eines Gurus wäre: möglichst viele. Die ehrliche Antwort aber lautet: ich weiß nicht, ob jemand in diesem Buch Ideen entdeckt, mit denen er etwas anfangen kann. Nur eines kann ich absolut garantieren: Das Buch ist garantiert rezeptfrei! Und versprochen: Wir liefern keine Weltformel der Diskursrettung, um im Bullshit-Bingo der Beraterszene zu punkten! Denn wir halten die Idee, man könne Sprach- und Verhaltensschablonen empfehlen, für marktschreierischen Quatsch. Was wir anbieten wollen, ist eine hoffentlich ansteckend-enthusiastische Nachdenklichkeit und eine Heuristik - im Sinne einer Kunst des Herausfindens, auf dem Weg zu einer persönlich stimmigen, notwendig individuellen Kommunikation. Das ist aber auch schon alles.

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