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Berichte zum Terror in Neuseeland: Beim Fremdgehen erwischt

Zeigen oder Nicht-Zeigen? Der mediale Umgang mit der Terror-Attacke wird heftig diskutiert. Facebook entfernte nach eigenen Angaben 1,5 Millionen Videos.

Ein Killervideo als eine Art Foto-Story wie aus einem Egoshooter-Spiel auf den Seiten Zwei und Drei oder die erste Seite bewusst schwarz lassen? Der mediale Umgang mit der auf Facebook live übertragenen Terror-Attacke auf Moscheen in Neuseeland wurde am Wochenende heftig diskutiert. Die „Bild“-Zeitung brachte – neben der Fotostecke in der Printausgabe – Teile aus dem Video des Attentäters auf seiner Homepage und wurde dafür im Netz scharf kritisiert. Die „Hamburger Morgenpost“ indes folgte der Devise „Keine Bilder für den Christchurch-Attentäter“ und verzichtete im Gedruckten auf Bilder von der Tat. „Wenn selbst die @MOPO der @BILD-Zeitung eine Lehre in Sachen journalistischer Ethik erteilt“, schrieb Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje auf Twitter.

Natürlich, auch die „Hamburger Morgenpost“ will ihre Zeitung am Kiosk verkaufen, gemäß der Logik dieser Nicht-Berichterstattung samt kalkuliertem Effekt beim Leser: Ich zeige dir keine Bilder und mache dich erst recht aufmerksam auf diese Gräueltat. Online wird dieses Nicht-Zeigen-Credo dann außer Kraft gesetzt. Aber das steht zumindest im bemerkenswerten Gegensatz zur Rede von „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt: „Trauer allein reicht im Journalismus nicht. Trauer ist keine journalistische Disziplin. Journalismus muss zeigen, was geschehen ist(...)“. Das Video des Massakers sei online überall genauso verfügbar, wie der Täter es wollte.

Journalismus dürfe solche Bilder aber nicht Social Media überlassen“. Es sei Aufgabe von Journalisten, die „Bilder der Propaganda und Selbstdarstellung zu entreißen und sie einzuordnen“. Auch die „B.Z.“ lehnte sich bei ihrer Berichterstattung zu Christchurch weit aus dem Fenster. Springers Boulevardblatt stellte einen Bezug zum Attentat auf den Weihnachtsmarkt in Berlin her („Wollte der Moschee-Killer die Toten vom Breitscheidplatz rächen?“), da auf einem der Gewehre geschrieben stand: „Für Berlin“. Die Zeitung lag damit ebenfalls auf der Propagandalinie des Attentäters in Neuseeland.

„Wir arbeiten rund um die Uhr daran“

Das alles vor dem Hintergrund, dass das äußerst brutale Video des Anschlags auf zwei Moscheen in Neuseeland nur sehr schwer aus dem Netz zu bekommen ist. Allein Facebook entfernte nach eigenen Angaben von Sonntag 1,5 Millionen Videos mit Darstellungen des Anschlags – und zwar nur in den ersten 24 Stunden. In 1,2 Millionen Fällen wurde dabei schon das Hochladen unterbunden. „Wir arbeiten rund um die Uhr daran“, sagte eine Sprecherin. Facebook-Chefin Sheryl Sandberg war dazu mit Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern in Kontakt. Dort will man nun prüfen, wie das künftig verhindert werden kann.

Der Fall zeigt, wie schwer es ist, die Verbreitung solcher gewaltverherrlichenden Videos im Internet zu kontrollieren. Wird man dann, wenn man es so macht wie „Bild“ oder „B.Z.“, nicht doch zum Komplizen des Attentäters? So die vermehrte Kritik in den Sozialen Netzwerken. Etwa von Zeitungswissenschaftlerin Samira El Ouassil: „Diese ganze Erklärung ist wirklich so quatschig fadenscheinig wie einer, der beim Fremdgehen erwischt wurde und jetzt dem Betrogenen versucht rational zu erklären, dass er das nur zum Wohle des Betrogenen gemacht hat, rein aus redlichem Pflichtbewusstsein.“

Der Deutsche Journalisten-Verband wies darauf hin, dass der Pressekodex des Deutschen Presserates auch für die Berichterstattung über das Massaker von Christchurch gilt. „Es steht für mich außer Frage, dass journalistische Medien nicht das Video des Attentäters zeigen dürfen, auch nicht in längeren Ausschnitten“, sagte DJV-Bundesvorsitzender Frank Überall.

Aufgabe der Journalistinnen und Journalisten sei die Information und nicht die Befriedigung von Sensationsbedürfnissen. Es könne nicht sein, dass Facebook millionenfach das Video des Attentäters lösche und hierzulande einzelne Boulevardmedien Teile des Films auf ihren Digitalseiten zeigten. Ausdrücklich widerspricht der DJV-Vorsitzende der Aussage, der Journalismus dürfe solche Bilder nicht den Social Media überlassen:

„Journalismus hat die Aufgabe, aufzuklären, Informationen einzuordnen, sie zu recherchieren, Hintergrund zu liefern. Welchen Erkenntnisgewinn haben Mediennutzer davon, durch die Perspektive der Body Cam des Attentäters einen Teil des grauenhaften Geschehens zu sehen?“

Ein Sprecher des Springer-Verlages sagte am Sonntagnachmittag, man äußere sich grundsätzlich nicht zu redaktionellen Entscheidungen und verwies auf die Aussagen der Chefredakteure von "B.Z." und "Bild".

"Herr Reichelt macht, was Boulevardjournalisten in solchen Fällen tun", sagt dazu Medienwissenschaftler Michael Haller dem Tagesspiegel. "Sie bedienen die Voyeur-Neigung der Leute auf die brutalstmögliche Art und verdecken ihre Lust an der Gewaltorgie mit dem Informationsauftrag. Den gibt es hier nicht. Hier in Deutschland geht es zwar nicht um den Schutz der Betroffenen und Hinterbliebenen, im Unterschied zu Christchurch. Hier bei uns bieten diese blutrünstigen Bilder aber auch keinen Informationsgewinn, sie heizen emotional nur auf.  Im Übrigen sollte man aber auch anerkennen, dass Bild-online am Sonntag eine bildstarke Positivgeschichte brachte: ,Abdul Aziz beschädigte den Wagen des Attentäters Dieser Mann verhinderte weitere Todesopfer.'"

Eine Berichterstattung jedenfalls mit Folgen. Am Wochenende twitterte der Deutsche Presserat, das Selbstkontrollorgan der deutschen Presse, dass bereits mehrere Beschwerden gegen Medien wegen der Veröffentlichung von Video-Ausschnitten des Live-Streams eingereicht wurden, auch gegen bild.de.

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