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Der Raumfahrt-Sexologe Simon Dubé warnt vor interstellarer Inzucht.

© taglicht media/Henning Brümmer

Aufbruch ins All: MeToo im Weltraum

Die Arte-Doku „Letzte Ausfahrt: Weltall“ erkundet die Raumfahrt als Blick in menschliche Abgründe.

Milliardäre geben den Takt vor. Jeff Bezos und Elon Musk schicken Raketen in den Orbit. Kommerzielle Raumfahrt, vorerst noch ein hippes Event für superreiche Exzentriker, soll der zeitnahen Kolonialisierung des Weltraums den Weg ebnen. Denn die Erde, so die düstere Prognose, wird aufgrund des Klimawandels bald unbewohnbar sein. Wissenschaftler sondieren daher schon heute die Zukunft der Menschheit in fernen Welten.

Das klingt nach Science-fiction. Rudolph Herzog, bekannt durch seine Dokumentation über Corona-Witze, geht es nicht um utopische Spekulationen. Sein Film gibt einen Überblick über den derzeitigen Stand der Weltraumforschung. Ein halbes Jahrhundert nach der Mondlandung hat sich einiges getan. Seit zwanzig Jahren ist die internationale Raumstation ISS regelmäßig besetzt.

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Mike Foale, der 373 Tage im Orbit verbrachte, verbreitet vor der Kamera spürbare Aufbruchstimmung. Der nächste erreichbare Planet wäre der Mars, auf dem längst schon ferngesteuerte Roboter Gesteinsproben untersuchen. Die Dokumentation zeigt, wie im israelischen Ramon-Krater bereits eine bemannte Mars-Mission simuliert wird. Doch was ist von einer erfolgreichen Landung auf dem tristen Wüstenplaneten überhaupt zu erwarten? „Eine Handvoll hart gesottener Astronauten“, so der Off-Kommentar, „wird sich dort in Strahlenschutzbunkern verschanzen und recycelten Urin trinken“. Prickelnd klingt das nicht.

[„Letzte Ausfahrt: Weltall“, Arte, Samstag, 20 Uhr 15]

Die Aufmerksamkeit richtet sich daher auf die Besiedlung erdähnlicher Welten. Seit der Inbetriebnahme des im Orbit stationierten Kepler-Teleskops wurden zahlreiche solcher Exo-Planeten entdeckt. Einer davon, Proxima Centauri b, ist 4,2 Lichtjahre entfernt. In kosmischen Maßstäben wäre das ja nur ein Katzensprung. Eine Reise dorthin dauert allerdings mehrere Generationen. Wie im Science-fiction-Film müssten Astronauten in eine todesähnlichen Kälte-Tiefschlaf versetzt werden.

Biologische und technische Hindernisse, so deutet die Dokumentation an, bekommen Wissenschaftler bald in den Griff. Doch der Vorstoß in unendliche Weiten konfrontiert Astronauten auch mit menschlichen, allzu menschlichen Problemen. Einen Vorgeschmack davon gibt ein Vorfall auf einer arktischen Forschungsstation. Ein russisches Crewmitglied verriet einem Kollegen – und zwar „aus reiner Bosheit“ – die Enden aller Romane aus der Bibliothek. Daraufhin stach der andere mit dem Küchenmesser auf den literarischen Whistleblower ein.

Ein Kapitel zur Sexualität im All

Heikler noch wird es beim Thema Sexualität, dem die Dokumentation ein ausführliches Kapitel widmet. Judith Lapierre, eine Sozialmedizinerin aus Ottawa, berichtet, wie sie 1999 in Moskau 110 Tage lang als einzige Frau mit fünf Männern in einer Röhre eingesperrt war, die eine Situation im Raumschiff nachahmen sollte. Einer von ihnen „hat mich zweimal gewaltsam geküsst, und ich habe mich gewehrt. Aber das wurde als kulturelles Missverständnis abgetan.“

Das Beispiel von MeToo während einer simulierten Marsmission zeigt: Je weiter die filmische Reise in die Tiefen des Alls vordringt, desto tiefer blickt sie zugleich in menschliche Abgründe. Jahrhundertelanges Reisen im Raumschiff, so die ernüchternde Pointe, „kann in Gewalt und Verbrechen enden“.

Und so ist es kein Zufall, dass der Film über den Griff nach den Sternen mit atemberaubenden Naturbildern Werbung für die Schönheit unseres blauen Planeten macht. Zusammengehalten wird die unterhaltsame Dokumentation von der beschwörenden Erzählstimme Werner Herzogs, der die Skurrilitäten der Astronautik mit sanfter Ironie gegen den Strich bürstet.

Manfred Riepe

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