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Großer Gewalt ausgesetzt: Anne Dupraz (Sophie Broustal).

© Arte

Arte-Serie „Sacha“: Toxische Männlichkeit

Der Arte-Krimi „Sacha“ erzählt den Kampf einer Staatsanwältin mit Dämonen ihrer Vergangenheit.

Mitteleuropäische Erwerbsbiografien sind normalerweise das Gegenteil von brüchig. Akademische Elternhäuser führen ihre Nachkommen ja ähnlich schnurgerade an Universitäten wie proletarische Elternhäuser ans Fließband. Besonders in der wohlhabenden, standesbewussten, traditionsverhafteten Schweiz treten Kinder deshalb vorwiegend in die Fußstapfen von Mama und Papa, gar Oma und Opa. Ausnahmen bestätigen dabei so selten die Regel, dass man sie getrost vernachlässigen kann – oder zum Inhalt einer Krimiserie, ab Donnerstag auf Arte.

Sie beginnt damit, dass die prominente Staatsanwältin Anne Dupraz (Sophie Broustal) den halbseidenen Restaurantbesitzer Gilles Saretti (Michel Voïta) in dessen Haus erschießt und daraus auch keinerlei Hehl macht.

Der spektakuläre Fall ist daher nicht nur einer für die Genfer Polizei, sondern auch den Schweizer Boulevard. Weil Kommissarin Carla Meier (Isabelle Caillat) die Alleinschuld der geständigen Täterin allerdings bezweifelt, sucht ihr Kollegen Thomas (Thibaut Evrard) gemeinsam mit der jungen Jasna (Karine Guignard) nach Motiven des seltsamen Mordes und findet sie in einer Erwerbsbiografie, die alles andere als geradlinig verlaufen ist. („Sacha“, Arte, Donnerstag, ab 21 Uhr 35 und in der Mediathek)

Jedes weitere Detail der verästelten Mordgeschichte mit Rückblenden in Annes Vergangenheit könnte hier nun eines zu viel für all jene Spannungsbögen sein, mit denen Regisseurin Léa Fazer „Sacha“ die sechs Teile überspannt.

Darum vorerst nur so viel: Opfer und Täter kannten sich schon lange vor ihrer schicksalhaften Wiederbegegnung im Alter von gut 50 Jahren. Aber je genauer Fazers Autorenteam Vergangenheit und Gegenwart in Abgleich bringen, desto dunkler werden die Geheimnisse aller Beteiligten bis hin zu Annes Eltern.

Alles also überaus brüchig im verwahrlosten Wohlstand einer eidgenössischen Scheinidylle, die auch Annes Tochter Elsa (Estelle Bridet) vom Pfad der hoffnungsvollen Karriere als Eiskunstläuferin abzubringen droht.

Träumt weiter, Jungs!

Alles am Ende aber auch wieder nur die kriminalistischen Einzelteile eines Serienpuzzles, dessen Gesamtbild viel über ihre Einzelteile hinaus zu sagen hat. Denn „Sacha“, wie sich Anne als Anfang Zwanzigjährige – dargestellt von Vanille Lehmann – kurz nannte, ist die Titelfigur einer dramatischen Erzählung über strukturellen Sexismus im Spießerparadies.

Zum Glück jedoch bevölkern es Buch und Regie fast lückenlos mit weiblicher Selbstermächtigung, neudeutsch Empowerment genannt. Während – so hießen sie im männlich definierten Kontrast zum weiblichen Normalzustand – „starke Frauen“ hier so derart präsent sind, dass der sterbende Gilles sogar ganz beiläufig von zwei Rettungssanitäterinnen abtransportiert wird, haben Männer hier oft nichts Besseres zu tun, als der #MeToo-Bewegung neue Nahrung zu geben.

Wenn sie nicht gleich richtig zuschlagen, kommen die physisch überlegenen, aber seelisch verkrüppelten Kerle den Frauen hier folglich andauernd ein bisschen zu nah. Sie verströmen ein bisschen zu viel Testosteron, rauchen ein bisschen zu dicke Zigarren, lachen ein bisschen zu kehlig, halten sich für ein bisschen zu unwiderstehlich und verorten den Grund folgerichtiger Abfuhren stets bei Frauen, die „bestimmt ihre Tage“ hätten.

Träumt weiter, Jungs! Die Mädels hier sind eurer einfach so überdrüssig, dass sie praktisch nur noch mit psychischer oder physischer Gewalt zu überzeugen sind.

Dass Annes Mutter ihre Tochter Ende der Achtzigerjahre mit dem bemerkenswerten Satz „und denk immer daran: eine Frau kümmert sich um ihr Haus und um ihren Mann und pudert sich die Nase und behält ihre Probleme für sich“ zum Erwachsenwerden nach Paris entlässt, ist seinerseits Teil einer misogynen Herrschaftsstruktur, von der sich die Protagonistinnen hier zum Glück mehrheitlich emanzipieren.

Umso verstörender ist es da, dass Arte fast jede Frau ein, zwei Oktaven höher übersetzen ließ als im französischsprachigen (in der Mediathek untertitelten) Original. Vermutlich, damit sie auch ja nach Sexhotline-Werbung, also leicht dusselig klingen. Wenn da mal kein Mann am Regiepult des Synchronstudios saß…

Selbst auf Deutsch aber büßen die insgesamt 300 Minuten nur selten etwas von ihrer Sogwirkung ein, der Nicolas Rabaeus den perfekten Soundtrack zwischen Stille und Grundrauschen verpasst. Im Klang dieser Filmmusik sieht sich Anne 2022 einer ähnlich toxischen Männlichkeit ausgesetzt wie Sacha 30 Jahre zuvor – nur, dass erstere sich nun dagegen wehrt. Endlich.

Jan Freitag

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