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Cooler „Ricardo“. Die polnische Reporterlegende Ryszard Kapuscinski berichtete vor allem über die Befreiungsbewegungen in Afrika, Asien und Südamerika. In Angola wird er von MPLA-Brigadistin Carlota aus der Gefangenschaft befreit.

© Wüste Film

Arte-Film „Another Day of Life“: Mit einem Hauch Revolutionsromantik

Der Animationsfilm „Another Day of Life“ erinnert an den Stellvertreterkrieg in Angola. Und an die polnische Reporterlegende Ryszard Kapuscinski.

Luanda, Hauptstadt von Angola, im Jahr 1975: Ein Mann mit Dreitagebart, die Ärmel des Hemds bis zum Ellbogen hochgekrempelt, zündet sich in aller Ruhe eine Zigarette an und blickt vom Balkon seines Hotelzimmers auf das Chaos auf den Straßen unter sich. Alle wollen weg, nur er nicht. Zuvor hatte sich der Mann gelassen den Weg durch eine aufgebrachte Menschenmenge gebahnt. Die Rezeptionistin in der Hotellobby, von den Fragen und Beschwerden der Gäste eigentlich maximal genervt, hatte ihm eine Kusshand zugeworfen. Und wer ist dieser coole „Ricardo“? „Ich heiße Ryszard Kapuscinski“, sagt eine Stimme aus dem Off. „Ich arbeite für die polnische Presseagentur.“ In Angola werde ein neues Afrika geboren: „Ausgeschlossen, dass ich da nicht dabei bin.“

Die Eingangsszenen könnten einem mittelprächtigen Hollywoodfilm entstammen, der den Mythos des unerschrockenen Kriegsreporters etwas plump heraufbeschwört. Allerdings ist „Another Day of Life“ (hier übersetzt mit „Wieder ein Tag Leben“) ganz überwiegend animiert und dies derart eindrucksvoll, dass das international (unter Beteiligung von NDR und Arte) koproduzierte Werk 2018 den Europäischen Filmpreis für den besten Animationsfilm erhielt.

[„Another Day of Life“, Arte, Donnerstag, 23 Uhr 35]

Das mag insofern berechtigt sein, als „Another Day of Life“ mit fantastischen Sequenzen besticht, in denen Trauer und Todesangst, die Schrecken des Krieges und – buchstäblich – die Auflösung eines Menschen, einer Stadt, einer Gesellschaft visualisiert werden. Und natürlich ist es das Verdienst des mit dokumentarischen Bildern angereicherten Films, dass er an einen realen Krieg erinnert, der bis 2002 wütete, Hunderttausende das Leben kostete und eine Million Menschen zur Flucht zwang. Als Graphic Novel, die ein Kapitel des Kalten Kriegs aus dem Jahr 1975 erzählt, bleibt die Darstellung jedoch ambivalent, ästhetisch überbordend und spannend, aber auch einseitig und holzschnittartig. Eine etwas zweifelhafte Gratwanderung zwischen Realität und Fiktion.

Keine Comic-Figur, sondern eine Reporter-Legende

Was wiederum ganz gut zu Ryszard Kapuscinski passt, der ja keine erfundene Comicfigur ist, sondern eine polnische Reporter-Legende mit internationalem Gewicht. Kapuscinskis Bücher wurden in mehr als 30 Sprachen übersetzt und stellen ebenfalls eine Art Gratwanderung zwischen Literatur und Journalismus dar. Polens 2007 verstorbener „Jahrhundert-Reporter“ berichtete vor allem über den Kampf der Befreiungsbewegungen in Afrika, Südamerika und Asien. Und er war 1975 im südwestafrikanischen Angola, in dem die Großmächte nach dem Ende der portugiesischen Kolonialherrschaft einen blutigen Stellvertreterkrieg führten. Nicht die Sowjetunion direkt, aber das Kuba Fidel Castros unterstützte die marxistische MPLA, die USA finanzierten und versorgten die westlich orientierten FNLA und Unita.

Kapuscinski ergriff als zeitweise offenbar einzig verbliebener Auslandskorrespondent Partei: Er meldete zwar Südafrikas Invasion im Süden des Landes, behielt aber das Engagement Kubas für sich. In „Another Day of Life“ ist Kapuscinskis Ringen mit dem Berufsethos ein Schlüsselmoment, der durchaus aktuelle Bezüge hat. Denn bis heute wird darüber diskutiert, unter welchen Bedingungen Journalistinnen und Journalisten ihrer Haltung treu bleiben und Partei ergreifen sollten oder ob sie stets und uneingeschränkt der Neutralität verpflichtet sind.

Grundlage des Films ist Kapuscinskis Buch mit dem gleichen Titel. Die Regisseure Raúl de la Fuente und Damian Nenow machen daraus ein animiertes Roadmovie in einer Mischung aus süffigem Abenteuer, krachender Action und coolem Journalistendrama, gewürzt mit einem Hauch Revolutionsromantik. Der Reporter aus dem sozialistischen Polen will unbedingt von der Hauptstadt Luanda aus an die Front im Süden fahren, wo sich General Farrusco mit einem Haufen MPLA-Kämpfer einer Übermacht an Gegnern erwehren muss. Die Fahrt wird zu einer lebensgefährlichen Reise durch ein zerstörtes Land. Leichen von zivilen Opfern auf den Straßen zeugen von den Gräueltaten der vom US-Geheimdienst CIA finanzierten Rebellen.

Auch Kapuscinski und sein Freund und Begleiter Artur geraten in deren Hände, werden aber von einer MPLA-Brigade, angeführt von Kommandantin Carlota, vor dem Erschießen gerettet. Die 19-Jährige mit Lockenmähne und Knarre in der Hand wirkt als animierte Figur ein bisschen wie das Klischee einer sozialistischen Männerfantasie, entschlossen, stolz und sexy – umso mehr, als sie die tragische Heldin des Dramas ist. Die Kommandantin wurde kurz nach der Begegnung mit Kapuscinski getötet.

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