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Roter Faden.  Leni Riefenstahl mit Adolf Hitler im Jahr 1934.

© ZDF NARA (National Archives USA)

Arte-Doku zu Leni Riefenstahl: Alles nur geklaut?

Leni Riefenstahl, die Nazis und die Legendenbildung: Eine Arte-Dokumentation wirft neue Fragen auf.

In „Das Goebbels-Experiment“, gedreht 2005 gemeinsam mit Lutz Hachmeister, entmystifizierte Michael Kloft den Reichspropagandaminister. Nun wirft der Dokumentarist einen ernüchternden Blick auf Leben und Werk von Leni Riefenstahl. Im Rückgriff auf Historiker und Zeitzeugen rekonstruiert sein Film einen roten Faden, der zurückreicht bis zu ihrem – vermeintlichen – Regiedebüt, dem dramatischen Bergfilm „Das blaue Licht“ von 1932.

So weit es rekonstruierbar ist, so die Filmwissenschaftlerin Eva Hohenberger, war bei der ersten Aufführung des Films „unter Regie ausschließlich Béla Balázs verzeichnet“. Nach der NS-Machtergreifung im Jahr 1933 ließ Riefenstahl sich im Vorspann als alleinige Regisseurin eintragen. Mithilfe von Julius Streicher, Herausgeber des antisemitischen Hetzblattes „Der Stürmer“, brachte sie den ungarischen Juden Balázs um sein zurückgestelltes Honorar.

Diese Strategie setzte Riefenstahl mit tatkräftiger Mithilfe der Nazis fort. Zur tragischen Schlüsselfigur avancierte dabei Willy Zielke. Mit „Arbeitslos – Ein Schicksal von Millionen“ (1933) und „Das Stahltier“ (1935) hatte der Foto- und Filmpionier visionäre Werke im Stil von Sergei Eisenstein geschaffen – die beide der Filmzensur zum Opfer fielen. In der Hoffnung, doch noch seinen Durchbruch zu schaffen, kooperierte der Anfang 30-Jährige mit Riefenstahl.

Für die legendäre Eröffnungssequenz von „Olympia“ ließ er muskulöse Athleten wie griechische Statuen posieren. Die Berliner Spiele von 1936 erschienen so wie das Erbe der Antike. Im Streit um seine Leistungen, die Leni Riefenstahl für sich vereinnahmte, erlitt Zielke einen Nervenzusammenbruch und wurde in die Psychiatrie eingewiesen. Schizophrenie lautete die wohl absichtliche Fehldiagnose der „Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar“, wo Zielke im Zuge der NS-Rassenhygiene zwangssterilisiert wurde.

Als Komparsen etwa 100 Sinti

Gestützt auf Dokumente sowie die Aussagen eines Zeitzeugen, Zielkes Freund Dieter Hinrichs, zeichnet die Doku nach, wie Riefenstahl sich nicht nur das fotografische Werk des von den Nazis entmündigten Regisseurs aneignete („Leni Riefenstahl – Das Ende eines Mythos“, Mittwoch, Arte, 22 Uhr 15). Sie zwang ihn obendrein, bei der Inszenierung ihres ersten Spielfilms „Tiefland“ mitzuwirken.

Die erst 1954 in die Kinos gekommene Opernadaption wurde zuweilen als Abrechnung mit Hitler interpretiert. In seiner ursprünglichen Form, so eine andere Lesart, hätte der zwischen 1940 und 1944 entstandene Film jedoch ein antisemitisches Pamphlet werden sollen. Mithilfe von Zielkes visueller Fantasie wollte Riefenstahl im pathetischen Schlussbild zeigen, wie ein Paar in einen judenfreien Himmel aufsteigt.

Die Dokumentation stützt sich auf die kürzlich erschienene Monografie von Nina Gladitz, die mehrfach zu Wort kommt. Schon 1982 wies sie in einer WDR-Dokumentation nach, dass Riefenstahl aus dem KZ Salzburg-Maxglan für „Tiefland“ als Komparsen etwa 100 Sinti rekrutierte, die später in Auschwitz ermordet wurden.

In einem Gerichtsverfahren, das Riefenstahl daraufhin anstrengte, bekam Gladitz in fast allen Punkten recht. Sie durfte nur nicht mehr die Behauptung wiederholen, die Regisseurin habe von der geplanten Deportation ihrer Komparsen gewusst.

Klofts Film folgt nicht der gesamten Argumentation von Gladitz, die in ihrer Abrechnung zuweilen über das Ziel hinaus- schießt. Er führt jedoch zweierlei vor Augen: Leni Riefenstahl war weder – so ihre eigene Legendenbildung – unpolitisch. Noch war sie jene Ausnahmekünstlerin, zu der sie Nachrufe nach ihrem Tod im Jahr 2003 stilisierten. Damit stößt dieseTV-Dokumentation eine wichtige Diskussion an.

Manfred Riepe

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