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Harvey Weinstein mittendrin. Eine gruselige Szene, animiert im Comicstil, führt vor Augen, dass Quentin Tarantino (re.) mehr als nur eine Ahnung hatte von der Übergriffigkeit jenes Produzenten, mit dem er seit seinem ersten Film sehr eng kooperierte.

© arte

Arte-Doku über Quentin Tarantino: Antenne zu Gott

Leichen pflastern seinen Weg: Eine Dokumentation auf Arte zum Werk von Quentin Tarantino.

Mit nur acht Filmen avancierte er zur Ikone des Gegenwartskinos, zu einer „Stimme seiner Generation“. Tara Wood blickt nun hinter die Kulissen eines singulären filmischen Schaffens. Die Produzentin und Filmemacherin, bekannt durch ihre Dokumentation über den „Mublecore“-Erfinder Richard Linklater, schlägt einen weiten Bogen von Quentin Tarantinos jüngsten Kinoerfolgen zurück zu den abenteuerlichen Anfängen seines Schaffens.

Die Legendenbildung um die ersten künstlerischen Gehversuche des Enfant terrible der Branche wirken selbst wie ein lupenreiner Filmstoff. Eine Akademie hat er nie besucht. Die Videothek war seine Schule des Sehens. Genre, Trash und Kung Fu formten seinen Blick. Besondere Aufmerksamkeit widmet die Doku dem Schreibstil des aufstrebenden Drehbuchautors.

Digitalisierung? Ist nicht Tarantinos Sache: „Man kann auf dem Computer keine Poesie schreiben. Mein Stift ist eine Antenne zu Gott.“ Mit diesem Stift kreierte er Dialogsätze wie: „Sizilianer sind Ableger von Niggern.“ Absurde Phrasen, gewiss. Doch solche Sätze, die das Innenleben schräger Typen nach außen kehren, werden im Mund von Darstellern wie Dennis Hopper zu reiner Poesie. Nach zwei Büchern zu „True Romance“ und „Natural Born Killers“ wollte der junge Wilde endlich selbst Regie führen. Niemand traute es ihm zu. Glücklicherweise wurde sein Kurzauftritt als Elvis-Imitator in der TV-Comedy „Golden Girls“ überaus erfolgreich. Mit der Gage finanzierte er sein Debüt „Reservoir Dogs“ selbst. Der Rest ist Geschichte.

Dank liebenswürdiger Anekdoten aus den Mündern von Christoph Waltz, Tim Roth, Samuel L. Jackson, Diane Kruger und weiteren Darstellern aus der „Familie“ wird die über 90-minütige Doku zu einem kurzweiligen Spaziergang durch Tarantinos bizarre Bildwelten. In „Pulp Fiction“ etwa wird einem Gangster auf dem Rücksitz versehentlich der Kopf weggeblasen. Ups. Kinozuschauer kichern irritiert über diesen Slapstick: Darf ich über solche Brutalitäten lachen? Willkommen im Tarantino-Universum.

Die dunkle Seite des Regisseurs wird angedeutet. So war die Dokumentation, die ursprünglich mit „The Hatefull 8“, Tarantinos bislang letztem Film, ins Kino kommen sollte, bereits an Harvey Weinstein verkauft worden. Nach der #MeeToo-Debatte und der Insolvenz der Firma Miramax erstritt Wood die Rechte am Film zurück. Am Ende ihrer Doku wirft sie einen Blick auf die Affäre um die Missbrauchsvorwürfe.

Eine gruselige Szene, animiert im Comicstil, führt vor Augen, dass Tarantino mehr als nur eine Ahnung hatte von der Übergriffigkeit jenes Produzenten, mit dem er seit seinem ersten Film sehr eng kooperierte („QT8: Quentin Tarantino – The First Eight“, Arte, Freitag, 22 Uhr 10). „Ich wusste seit Langem davon. Hätte was sagen sollen.“ Der Blick zurück auf Filme wie „Jackie Brown“ und „Kill Bill“, in denen Tarantino sich als Frauenregisseur profilierte, verändert sich durch solche Aussagen. Diesen sensiblen Punkt hätte Tara Wood präziser beleuchten können.

Manfred Riepe

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