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Hermann Röchling (Christian Stotz, l.) ist nicht begeistert, dass sein Bruder Robert (Tobias Kaufhold) die von ihm aufgebaute Carlshütte in Lothringen übernimmt.

© SWR/Steven R. Altig

Arte-Doku über Hermann Röchling: In Stahlgewittern

Deutsche Geschichte? Ist manchmal nicht einfach zu verstehen - eine Arte-Doku über Hermann Röchling und die Völklinger Hütte.

„Unsere Wäsche war zwar braun, aber sonst sauber.“ Mit dieser Freudschen Fehlleistung brachte Hermann Röchling ungewollt sein Verhältnis zum Nationalsozialismus zum Ausdruck. Der Saarländische Industriebaron zählte in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts zu den wichtigsten deutschen Stahl- und Waffenproduzenten. Eine Arte-Dokumentation zeichnet die wechselvolle Lebensgeschichte des innovativen Unternehmers nach, der seine wirtschaftlichen Interessen perfekt an die jeweilige politische Lage anknüpfen konnte.

Hinter den großen Stahlkochern aus dem Ruhrgebiet hat Röchling eigentlich immer nur die zweite Geige gespielt. Das hat den 1871 als Spross einer Industriellenfamilie geborenen Unternehmer zeitlebens gewurmt. Es hat aber auch seinen Ehrgeiz angespornt.

Schon als 24-Jähriger stellte er im Auftrag des Vaters seine erste Fabrik auf die grüne Wiese. Von einer Reise an die Ostküste der USA, wo die Stahlproduktion seinerzeit führend war, brachte er fortschrittliche Produktionstechniken mit nach Hause. Dank seinem technischen Sachverstand wurden saarländischen Hochöfen europaweit konkurrenzfähig.

Der Film rekonstruiert das zwiespältige Bild eines visionären Großunternehmers. So kamen die Stahlarbeiter in Friedenszeiten in den Genuss beispielhafter Sozialleistungen. Röchling baute ein firmeneigenes Krankenhaus mit eigener Säuglingsstation. Fotografien dokumentieren sogar eine Vorform heutiger Fitnessstudios. Die Erfolgsgeschichte ist jedoch eng verflochten mit den beiden Weltkriegen, aus denen der gewiefte Geschäftsmann jeweils Kapital schlagen konnte. Im Ersten Weltkrieg produzierte er die Stahlhelme jener Soldaten, die vor Verdun fielen.

Unter den Nazis wurde er dann ein enger Vertrauter Hitlers, dessen Vernichtungspläne er als „Generalbevollmächtigter für die Eisen- und Stahlindustrie“ tatkräftig unterstützte. Mit seiner „Vergeltungswaffe V3“, auch bekannt als „Fleißiges Ließchen“, sollte London beschossen werden.

Der doppelte Schmiss, zwei martialische Gesichtsnarben

Röchlings Markenzeichen: Der doppelte Schmiss, zwei martialische Gesichtsnarben, die gemäß der Ideologie der studentischen Mensur signalisierten: dieser Mann weicht nicht zurück vor dem Feind. Nicht jeder in seiner Familie kam mit dieser Haltung klar. Der ältere Bruder Richard nahm sich schon 1898 das Leben.

Durch diesen Schicksalsschlag ließ Hermann Röchling sich nicht von seinem Weg abbringen. Als typischer „Herrenmensch“, der trotz Pferdehaarallergie gern hoch zur Ross saß, teilte er auch Hitlers Rassenwahn, den er „gebetsmühlenartig“ wiederholte. Bereits 1940 kamen die ersten Kriegsgefangenen nach Völklingen. Mehr als 1200 Menschen, unter anderem aus der Sowjetunion, mussten hier als Zwangsarbeiter für die Rüstungsindustrie schuften. Vor der Kamera erinnert sich eine russische Zeitzeugin an diese düstere Epoche.

Nina Koshofer, bekannt durch Dokumentationen wie „Die Juden: Geschichte eines Volkes“, rollt ein weniger bekanntes Kapitel der deutsch-französischen Industrie- und Wirtschaftsgeschichte auf. Dezente Nachinszenierungen, in denen Klaus Schindler in Röchlings Rolle schlüpft, illustrieren Leben und Werk eines charismatischen Patriarchen.

Ehemalige Arbeiter der 1986 still gelegten Völklinger Hütte, die heute neben der chinesischen Mauer und den Pyramiden von Gizeh zum Weltkulturerbe zählt, zollen dem Werk des alten Herrn großen Respekt – trotz seiner zweifelhaften Vergangenheit: Nachdem man ihn bereits Ende des Ersten Weltkriegs wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt hatte, wurde Röchling 1946 in Rastatt angeklagt.

Das nach dem Vorbild der Nürnberger Prozesse abgehaltene Tribunal der französischen Militärverwaltung verurteilte ihn zu zehn Jahren Haft, Einzug des Vermögens und dem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. Erstaunlicherweise erhielt Röchling 1952, drei Jahre vor seinem Tod, den Ernst-Siemens-Preis, eine hochrangige Auszeichnung für Personen, die sich durch wissenschaftliche und technische Leistungen hervorgetan haben. Deutsche Geschichte ist manchmal nicht einfach zu verstehen.

Manfred Riepe

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