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Befreiung nach den Jahren mit Ike. Tina Turner und Ehemann Erwin auf dem roten Teppich zum Tina-Turner-Musical in Hamburg.

© MDR / DokFilm

Arte-Doku: Gefangene und Wärter: Doku über Tina Turner

Hommage an eine Sängerin, die sich im wahrsten Sinn neu erfunden hat: Eine Arte-Dokumentation erzählt von der leidvollen Karriere Tina Turners.

Einmal war ihr Jochbein kaputt. Ein andermal der Kiefer gebrochen. Und regelmäßig trug sie von den Prügeln ihres Ehemanns blaue Flecken davon. Nach der Scheidung, einem finanziellen Crash und einem Comeback als Solosängerin avancierte sie zur Ikone einer selbstbestimmten Künstlerin und emanzipierten Powerfrau. Eine Arte-Dokumentation am Freitagabend zeichnet die bewegte Karriere von Tina Turner nach.

Zunächst aber blickt Schyda Vasseghi, TV-Autorin mit Schwerpunkt auf Musik und Popkultur, in ihrem Porträt zurück in eine düstere Zeit. Tina Turner kam 1939 als Anna Mae Bullock in Nutbush, Tennessee, zur Welt. Schwarze wurden in den Krankenhäusern der rassistischen Südstaaten damals „nur im Keller geboren“. Mit zehn Jahren machen sich dann auch noch ihre Eltern auf und davon.

Tinas einziger Rückhalt: Der kraftvolle Gospelgesang in der afroamerikanischen Kirche, der ihr in Fleisch und Blut überging. Das bemerkte damals auch der Gitarrist, für dessen Band „Kings of Rhythm“ die damals 17-Jährige erstmals vors Mikrophon trat. Und überzeugte. Ike Turner, Wegbereiter klassischer Soul-Musik, machte die schüchterne, junge Sängerin binnen weniger Jahre zum Megastar. Damit begann ihr eigentliches Martyrium.

Gewiss, diese Geschichte ist schon öfters erzählt worden. Aber nicht von Tina Turner selbst. Anlässlich der Hamburger Musicalproduktion, die 2019 in enger Zusammenarbeit mit der Sängerin entstand, blickt Tina Turner vor der Kamera auf ihr Leben zurück.

Die inzwischen 80-Jährige ist gezeichnet von einem Schlaganfall, den sie 2013 erlitt. Außerdem hatte sie Darmkrebs und einen Nierenschaden, den sie nur dank einer Organspende ihres jetzigen Ehemannes Erwin Bach überlebte.

Sie war hoch verschuldet

Das alles ist aber nichts im Vergleich zu jenen Demütigungen an der Seite ihres cholerischen, drogensüchtigen Ex-Gatten. Je mehr das Publikum ihr seinerzeit zujubelte, desto eifersüchtiger versuchte Ike Turner seine Frau zu dominieren. Ein Konzertmitschnitt zeigt, wie sie auf der Bühne einen sexuellen Höhepunkt fingieren musste, um Ike im Hintergrund als Alphamännchen erscheinen zu lassen. „Ich war eine Gefangene und er der Wärter.“

Aus dieser Unterwerfung, die in einem gescheiterten Suizidversuch gipfelte, befreite Tina Turner sich in einem wahren Kraftakt. Im Juli 1976, als Ike sie wieder einmal verprügelte, sprang sie spontan aus dem Taxi in ein ungewisses, neues Leben.

Sie war hoch verschuldet, denn ihr Mann machte sie für ausgefallene Konzerte regresspflichtig. Das einzige, was sie nach der Scheidung von ihrem Gatten bewahrte, war, kluge Entscheidung, ihre bekannter Name: Tina Turner. Diese Marke bildete einen Schlüssel zu ihrem zweiten Leben.

Aus der Sicht des Musikproduzenten Martyn Ware, des Fotografen Peter Lindbergh sowie des umtriebigen Journalisten Dominik Wichmann, Mitautor von Tina Turners Autobiografie, zeichnet der Film nach, wie sich die mittellose Sängerin nach ihrer Trennung von Ike Turner zunächst mit diversen Putzjobs durchschlug. Bis ihr dann, als beinahe 40-Jährige, die zweite Weltkarriere glückte.

Der Dokumentarfilm [„Tina Turner – One of the Living“, Freitag, Arte, 22 Uhr 05; ab 22 Uhr 55, Tina Turner: Live in Holland] berücksichtigt längst nicht alle Aspekte von Tina Turners Kreativität. Leinwandauftritte, etwa in „Mad Max – Jenseits der Donnerkuppel“, spart die Doku aus.

Dennoch gelingt Vasseghi hier die Hommage an eine Sängerin, die sich im wahrsten Sinn neu erfunden hat und so für viele schwarze Künstler, darunter auch Beyoncé, zu einem Vorbild wurde. Mit einer Fülle selten gesehener Archivfilme wirft die Doku einen kurzweiligen Blick auf das Leben einer Soul-Diva, deren Image zwischen sexy Vamp, Mutter, emanzipierter Powerfrau und Buddhistin changiert.

Manfred Riepe

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