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Ein Klassiker im Arsenal der Corona-Witze ist der Hang des Menschen zum Hamstern. Es muss dabei nicht allein das Toilettenpapier sein, die Nudeln tun es auch.

© V. Kucholl/Vincent Veillon

Arte-Doku: Corona-Witze sind ansteckend

Homeschooling während der Ausgangssperre? Eine Arte-Doku über viralen Humor im Zeitalter der pandemischen Reproduzierbarkeit.

Lachen während die Pandemie? Das erscheint eigentlich unpassend, ist aber tatsächlich alltäglich. Seit dem März 2020 veränderte das Coronavirus den Alltag nicht nur der westlichen Welt radikal. Die Wirtschaft steht still. Öffentliches Leben kam zum Erliegen. Daran mochte im Vorfeld zunächst niemand glauben. Auf Whatsapp witzelte man über den vermeintlich lokalen Seuchenherd im fernen chinesischen Wuhan. Witzige Filme über Feldermäuse machten die Runde. Haha.

Doch je näher die Seuche rückte, desto mehr veränderte sich die Kalibrierung der Komik. Rudolph Herzog, bekannt durch Dokumentationen für Arte, National Geographic und die BBC, versucht sich in seinem einstündigen Film „Viraler Humor“ an einer Kulturgeschichte des Lachens in Zeiten, in denen es eigentlich nichts zu lachen gibt. Erprobt hat der Sohn des Regisseurs Werner Herzog dieses Verfahren mit „Heil Hitler, das Schwein ist tot!“, einer Spurensuche über Humor unterm Hakenkreuz, die 2006 in der ARD zu sehen war.

Nun also Corona. Mit einer herrlich skurrilen Blütenlese von Sketchen, Memes, Clips und Gaga-Humor spannt Herzog einen Bogen vom Beginn der Pandemie bis zu den – erhofften – Lockerungen. Dabei überprüft der Film eine sozusagen steile These: Sind Corona-Witze ansteckend? Verbreiten sie sich ähnlich exponentiell wie Sars-CoV-2? („Viraler Humor. Was Corona-Witze über uns erzählen“, Arte, Mittwoch, um 21 Uhr 55)

Im Gespräch mit Kabarettisten, Psychologen und Medienwissenschaftlern versucht die Dokumentation herauszufinden, warum Menschen das Bedürfnis haben, selbst düstere Situationen wie die Ausgangssperre zu veralbern.

Humor, so die nicht wirklich überraschende Diagnose, schafft ein Überdruckventil. Das Unerträgliche wird erträglich, irgendwie. Das eigentlich Witzige an diesem Film aber ist: Er zeigt, dass man das anarchische Potenzial dieser Corona-Witze nicht auf einen einzigen Nenner bringen kann.

„Gib Gates keine Chance“

So erinnert der Seitenblick auf die schrägen Gags der Verschwörungstheoretiker („Gib Gates keine Chance“), dass Humor nicht immer politisch korrekt ist. Der Clip über die Berliner Luftbrücke, bei dem Rosinenbomber Toilettenpapier über die Not leidenden Hauptstadt abwerfen, wird wohl jeden zumindest zum Schmunzeln bringen.

Schwarzer Humor dagegen testet Grenzen aus: Die Situation sei, so ein Ehemann über seine Beziehungskrise, die am 16. Tag des Lockdowns eskalierte, „etwas angespannt“. Die Lösung: „Gartenarbeit beruhigt.“ Dazu sehen wir das Bild eines frisch ausgehobenen Grabes. Solche „Killing Jokes“ sind gewiss gewöhnungsbedürftig.

Doch diese improvisierte urbane Ikonographie, so der Tenor des kurzweiligen Films, ist letztlich ein Ausdruck kollektiver Befindlichkeit. CoronaWitze spiegeln Ängste, Befürchtungen und Probleme, für die es keine Lösung gibt. Wenn jemand mit den Skiern auf dem Wohnzimmersofa steht, weil er endlich wieder eine Abfahrt erleben will, dann simulieren diese Gags (mal mehr und mal weniger gelungen) die Sehnsucht nach Alltag im nicht Alltäglichen.

Homeschooling während der Ausgangssperre? Eltern sollen plötzlich die Rolle von Lehrern übernehmen? Ihren Kindern Mathematik beibringen – obwohl sie selbst nicht mehr draufhaben als die Addition der Rechnung beim Italiener? Dumm gelaufen.

Die Corona-Pandemie, lautet das Fazit, dominiert die Nachrichtenlage. Tag für Tag wird berichtet über Inzidenzen, Masken und Impfungen. Und das seit über einem Jahr. Mediennutzer werden überschüttet mit den neuesten Neuigkeiten über das Virus. „Viraler Humor. Was Corona-Witze über uns erzählen“ eröffnet unterdessen eine etwas andere Perspektive auf die Krise. Das macht den Film erfischend – obwohl einem bei der Erinnerung an Bekannte, Verwandte und Freunde, die dem Tod von der Schippe gesprungen sind, das Lachen zuweilen in der Kehle stecken bleibt.

Manfred Riepe

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