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Was ist im Aktenraum passiert? Hannes Jaenicke und Ursula Strauss im ARD-Drama „Meine fremde Freundin“

© NDR/Christine Schroeder

ARD-Themenabend: Ein #Aufschrei-Film zur #MeToo-Debatte

Mit einem Themenabend über "Sexuelle Nötigung, Lügen und Vorurteile" greift die ARD eine aktuelle Diskussion auf. Der Film hat einen anderen Anlass.

Das Timing gestaltet sich gerade bei Fernsehfilmen zu aktuellen Themen oftmals als kompliziert. Das gilt besonders für das TV-Drama „Meine fremde Freundin“, das die ARD an diesem Mittwochabend zum Auftakt des Themenabends „Sexuelle Nötigung, Lügen und Vorurteile“ zeigt. Der Mittwochsfilm mit den Schauspielern Ursula Strauss, Hannes Jaenicke und Valerie Niehaus bietet dabei viele Anregungen, um über dieses Thema nachzudenken, dennoch scheint dieses Drama nicht ganz in die derzeitige Debattenlandschaft zu passen – was vor allem dem langen Vorlauf geschuldet ist, der zwischen der Ideenfindung über die Beauftragung des Drehbuchs und die Dreharbeiten bis zur Ausstrahlung liegt.

Als sich der NDR für das Thema starkgemacht hat, wurde seit einiger Zeit unter dem Hashtag #Aufschrei über den alltäglichen Sexismus in Deutschland diskutiert. Mit „Meine fremde Freundin“ wollte der Sender  die Diskussion um eine Facette ergänzen. „Wir haben uns für den Ansatz entschieden, in dem eine Hauptfigur in einem völlig normalen Milieu zu Unrecht wegen einer angeblichen Vergewaltigung verurteilt wird und an gebrochenem Herzen stirbt“, erzählt NDR-Filmchef Christian Granderath.

Kein pseudoaktueller Vergewaltigungsfilm

Dabei sei es keineswegs das Ziel gewesen, einen pseudoaktuellen Vergewaltigungsfilm zu zeigen, „der vor dem Hintergrund der Prozesse von Jörg Kachelmann, Andreas Türck oder Gina Lisa Lohfink auf den Skandal setzt, dass hier ein Mann das Opfer und die Frau die Täterin ist und das nötige Bewusstsein für sexuelle Nötigung konterkariert“, sagt Granderath weiter. Dass nun „Meine fremde Freundin“ direkt in die #MeToo-Debatte nach dem Bekanntwerden der Verfehlungen des US-Produzenten Harvey Weinstein und anderer Größen der US-Unterhaltungsindustrie hinein ausgestrahlt wird, ließ sich nicht planen. So fällt Sandra Maischberger die Aufgabe zu, in ihrer Talksendung direkt im Anschluss an den Film die Debatten miteinander zu verknüpfen.

Im Mittelpunkt des ARD-Films steht die von Valerie Niehaus äußerst einfühlsam gespielte Andrea Bredow, eine sympathische und gegenüber ihren Mitmenschen sehr offene Mitarbeiterin des Hannoveraner Gesundheitsamtes. Sie freundet sich spontan mit ihrer neuen Kollegin Judith Lorenz an, die von der österreichischen Schauspielerin Ursula Strauss dargestellt wird. Volker Lehmann (Hannes Jaenicke) ist dagegen ein Büro-Macho und sexistischer Sprücheklopfer übelster Sorte: „Ich helfe Ihnen gerne beim Umzug, Sie haben ja auch so schon schwer genug zu tragen“, begrüßt er die Neue und blickt auf ihre Brüste.

Es bleibt nicht bei dieser Anzüglichkeit. In einem Aktenraum sei sie von Lehmann vergewaltigt worden, erzählt Judith Lorenz ihrer Kollegin und Freundin einige Zeit später. Andrea Bredow ermuntert sie, die Vergewaltigung anzuzeigen. Es kommt zu Prozess und Verurteilung. Bis sich bei der Freundin Zweifel einstellen, weil Judith Lorenz offenbar ein gespaltenes Verhältnis zur Wahrheit hat. Über Andrea Bredow wird der Zuschauer eingebunden. Ihre Zweifel und ihre Unsicherheit, wem sie glauben soll, werden zu Fragen an den Zuschauer.

Das Leben auf den Kopf gestellt

Regisseur Stefan Krohmer – das Buch stammt von Katrin Bühlig und Daniel Nocke – hat sich bei der Besetzung von Jaenicke darauf verlassen, dass dessen männliche Erscheinung beim Zuschauer gewisse Unterstellungen hervorruft. Jaenicke hat an der Rolle gereizt, die Balance zwischen dem Kotzbrocken und dem sympathischen Familienvater zu finden. „Solche Rollen sind rar in Deutschland“, sagt er über die Figur, deren Leben brutal auf den Kopf gestellt wird.

Eine noch größere Leistung wurde Ursula Strauss abverlangt. Ihre Judith Lorenz ist eine zwanghafte Lügnerin. Bei Menschen mit ihrem Krankheitsbild verselbstständigen sich die Geschichten irgendwann so stark, dass sie selbst davon überzeugt sind, die Wahrheit zu erzählen. Ursula Strauss gelingt es, diese Persönlichkeitsstörung eindrucksvoll darzustellen, ohne dabei die Brisanz von Sexismus und sexueller Gewalt infrage zu stellen – egal ob nun unter #Aufschrei oder #MeToo diskutiert wird.

„Meine fremde Freundin“, ARD, Mittwoch 20 Uhr 15, im Anschluss ab 21 Uhr 45 „Maischberger“

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