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In den Sonnenuntergang. Adrian Tarrach (Rick Okon) träumt von einer gemeinsamen Zukunft mit Laura (Ruby O. Fee). Dafür nimmt er fast jedes Risiko in Kauf.

© WDR/Thomas Kost

ARD-"Tatort": Bonnie und Clyde aus Köln

Die Kölner „Tatort“-Folge „Kartenhaus“ mit Dietmar Bär und Klaus J. Behrendt erzählt von einem Liebespaar auf der Flucht.

Die Kinogeschichte liefert Träume und Albträume: Adrian verspricht seiner Freundin Laura, man werde wie Mallory und Mickey in „Natural Born Killers“ glücklich zusammen in den Sonnenuntergang fahren. Laura befürchtet eher ein Ende wie in „Bonnie und Clyde“. In Arthur Penns berühmter Hollywood-Verfilmung mit Faye Dunaway und Warren Beatty wird das Gangster-Pärchen ja bekanntlich erschossen. Beides wird allerdings nicht geschehen in diesem „Tatort“-Aufguss des WDR vom Liebespaar-auf-der-Flucht-Thema. Die vom Krimi-Routinier Jürgen Werner geschriebene Folge „Kartenhaus“ findet eine eigene Schluss-Variante.

Aus dem Rahmen fällt dieser Kölner „Tatort“ allerdings schon deshalb, weil die Tat zu Beginn explizit gezeigt wird – eine quälend in die Länge gezogene Szene, die mit der Arie „Un bel di vedremo“ (deutsch: „Eines schönen Tages, wir werden sehen“) aus Puccinis „Madame Butterfly“ dramatisch wohltönend unterlegt ist. Laura stammt aus einer wohlhabenden Familie. Einen Tag vor ihrem 18. Geburtstag wollen ihre Eltern ein paar Tage verreisen, um ihrer Tochter das Feld für die geplante Party in der schicken Villa zu überlassen. Doch während die Mutter im Auto wartet, kehrt der Stiefvater noch einmal zurück, weil er seinen Ausweis vergessen hat. In der Küche wird er von Adrian mit einem Messer angegriffen. Und bevor das Messer ein zweites Mal in den Bauch des Mannes fährt, wird aus der Szene eine Gewalt-Oper à la Quentin Tarantino, komponiert aus dem Überlebenskampf des blutüberströmten Opfers mit dem Täter, einer ausgelassenen Laura, die in ihrem Zimmer zum Achtziger-Jahre-Hit „When the rain begins to fall“ tanzt, und der beunruhigten Mutter im Auto.

Der Auftakt ist filmästhetisch herausragend und zugleich abstoßend. Man könnte dieser Inszenierung zugute halten: Während in vielen Krimis auf eine vermeintlich „saubere“ Weise getötet wird, die das Publikum nicht groß beunruhigen soll, nötigen diese Szenen dem Zuschauer ab, sich mit der Gewalt auseinanderzusetzen. Fragt sich nur, ob der „Tatort“ der richtige Ort für eine derart explizite Darstellung ist. Dass skandinavische Krimis mit ihrem düsteren Realismus beim Publikum Zuspruch finden, sollte jedenfalls nicht als Argument herhalten, um die Gewalt-Schwelle noch weiter zu senken.

Für Regisseur Sebastian Ko ist es der erste "Tatort"

Die Regie für diesen Film hat der WDR einem „Tatort“-Debütanten übertragen: Sebastian Ko, 1971 geboren, hatte zuvor erst einen Langfilm gedreht. In „Wir Monster“ geht es um einen weiblichen Teenager, der mit seinen Lügen Gutes beabsichtigt, aber Verheerendes anrichtet. Eine ähnliche Idee liegt auch der Folge „Kartenhaus“ zugrunde. Laura ist eine hübsche Wohlstands-Prinzessin, von Ruby O. Fee mit einer ziemlich dick aufgetragenen Mischung aus Naivität und Lolita-Erotik gespielt.

Vom Mord an ihrem Stiefvater hat sie nichts mitbekommen. In der Überzeugung, ihr Freund Adrian habe sich etwas Besonderes zu ihrem Geburtstag ausgedacht, folgt sie ihm in die schicke Suite eines Hotels am Flughafen.

Beide sind schwer verliebt. Laura bekommt einen hysterischen Anfall, wenn sie alleingelassen wird. „Ich würde sterben für dich“, versichert Adrian (Rick Okon). Der vorbestrafte Mittzwanziger lebte bis zu seiner verhängnisvollen Tat im sozialen Brennpunkt einer Hochhaussiedlung und kümmerte sich um seine gesundheitlich angeschlagene Mutter Pia (Bettina Stucky). Sein jüngerer Bruder und sein Vater kamen ums Leben, die Umstände ihrer Tode werden dann noch eine Rolle spielen. Während Laura im Hotel wartet, versucht Adrian das nötige Geld für die Flucht zu organisieren. Und bringt dabei noch einen weiteren Menschen um.

Aus einem Dialog im Hotelzimmer erfährt man außerdem, dass Laura Adrian erzählt hatte, ihr Stiefvater habe sie „angefasst“. Täter und Motiv sind also frühzeitig bekannt, auch damit fällt „Kartenhaus“ aus dem Krimi-Rahmen. Der spannende Ansatz – zwei Menschen, die so gar nicht zueinander passen, ziehen sich gegenseitig in den Abgrund – leidet allerdings unter dem gewaltigen Gefälle zwischen den Hauptfiguren. Während der Film immer stärker und durchaus überzeugend in Adrians Milieu eintaucht, bleibt Laura die verwöhnte Villen-Tussi, an deren Oberweite die Kamera auffällig Gefallen findet. Die Tragik einer jungen Frau, die Geschichten erfindet, um geliebt zu werden, kommt hier nur sparsam zum Ausdruck. Und zur Bonnie oder Mallory reicht es erst recht nicht, auch wenn Laura mal mit einer Pistole herumfuchteln darf.

Die Kommissare Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär) wiederum tun das, was Fernseh-Ermittler so tun. Ab und zu müssen sie auf ihre doch bereits fortgeschrittenen Tage durch Treppenhäuser und Häuserschluchten hetzen, aber selbst deutlich jüngere und flinkere Menschen entwischen ihnen erstaunlicher Weise nicht. Erstmals darf hier der neue Assistent, Tobias Reisser (Patrick Abozen), auch im Außeneinsatz eine wichtige Rolle spielen. Und das Finale ist wie der Beginn außergewöhnlich gestaltet, unterlegt mit der „What a wonderful world“-Version von Tom Smith und Andy Burrows. Mit derart eindrucksvollen Drohnen-Bildern hat wohl noch kein Film die Hochhaus-Siedlung in Köln-Chorweiler gewürdigt, aber eine wunderbare Welt, bedenkt man das Ende, sieht wohl anders aus.

„Tatort – Kartenhaus“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15

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