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160 000 Mitglieder hatten die jüdischen Gemeinden Berlins vor 1933. 7000 zumeist junge Juden widersetzten sich der Deportation und tauchten unter. Eine von ihnen war Hanni Levy, die in „Die Unsichtbaren“ von Alice Dwyer verkörpert wird.

© Tobis-Film, Peter Hartwig

ARD stellt Doku-Highlights vor: Unsichtbar in Berlin

Sie widersetzten sich der Deportation: Die ARD verfilmt das Schicksal von vier jungen Juden, die sich vor den Nazis versteckten.

„Schlank wie ein Reh und so hübsche dunkle Augen. Wie bei einer Jüdin“, sagt der glatzköpfige Wehrmachtsoffizier zu der jungen Frau, die ihm gerade etwas Wein nachschenken will. Die Stimmung am Tisch ist ausgelassen, die meisten Uniformierten haben ihre Hemdkragen geöffnet, es werden Zigarren gepafft. Der kurze, angespannte Moment verstreicht, dann sagt die Frau: „Ich dachte, es gibt keine Juden mehr in Berlin“. Die Runde lacht. Eine andere junge Frau verfolgt die Szene mit Schrecken. Sie ist Jüdin, eine von 7000, die sich der Deportation widersetzt haben, sich versteckten oder eine andere Identität annahmen. Zu Unsichtbaren wurden.

„Die Unsichtbaren – Wir wollen leben“ heißt das Dokudrama, das am Mittwochabend am Rande der Berlinale vorgestellt wurde. Bereits zum fünften Mal nutzte die ARD das Filmfestival, um mit der Veranstaltung „Top of the Docs“ die dokumentarischen Highlights der neuen Saison vorzustellen. Der Film ist in mehrfacher Hinsicht eine ganz besondere Produktion. Erzählt werden die Geschichten von vier jungen Juden, die in den 1940er Jahren in Berlin untertauchten. Eine von ihnen war das 17-jährige Waisenmädchen Hanni Levy. Über 70 Jahre später, als 93-Jährige war sie bei den Dreharbeiten zu „Die Unsichtbaren“ dabei, erzählt Regisseur und Produzent Claus Räfle, der zusammen mit Alejandra López auch das Drehbuch verfasst hat. 1500 junge Juden überlebten damals als „Unsichtbare“ die Verfolgung, darunter auch Hans Rosenthal.

Für Räfle ist „Die Unsichtbaren“ ein optimistischer Film, auch weil er von der Menschlichkeit derjenigen erzählt, die den Verfolgten trotz des hohen Risikos die Türen aufgemacht und ihnen geholfen haben. „So können die Dinge auch noch gut werden“, sagt Räfle. „Selten war ich so nervös wie bei diesem Dreh“, erzählt die Schauspielerin Alice Dwyer, die sich als junge Hanni Levy die Haare blond färben ließ. Man merkt ihr an, wie sie diese Lebensgeschichte und die damit verbundene Verantwortung überwältigt hat. Zugleich fasziniert sie, wie fit und vital die inzwischen über 90-jährige Frau ist, die heute in Paris lebt.

Beeindruckend sind aber nicht allein die Geschichten von Hanni Levy, Ruth Gumpel, Cioma Schönhaus und Eugen Friede. Dass der Film nun tatsächlich entsteht, ist ebenfalls ein kleines Wunder. Vor acht Jahren wollten Räfle und López diese Geschichte bereits als Dokumentarfilm umsetzen, ernteten jedoch nur Absagen – auch von der ARD. Über den Holocaust habe es schon zu viele Dokumentationen gegeben, zudem leide die Idee darunter, dass es von den Unsichtbaren weder Fotos noch Filmaufnahmen gibt, hieß es. Die Idee einer Dokumentation wurde fallen gelassen, nun sollte es ein Dokudrama werden. Es wurden Interviews mit den vier Überlebenden geführt und zu einem Trailer zusammengeschnitten, der bei „Top of the Docs“ eingereicht wurde und gewann. Der NDR übernahm die Federführung, holte RBB, SWR und WDR als Partner ins Boot. Um die nun noch fehlenden Mittel zu beschaffen, wurde der Film zur Kino- und TV-Koproduktion. Und nachdem wiederum zwei Jahre später auch noch drei Länderförderinstitute überzeugt werden konnten, begann vor einem Jahr das Casting.

Dass der Kinostart von April 2017 auf den Herbst verschoben wird und das Drama somit voraussichtlich in diesem Jahr nicht mehr im Fernsehen zu sehen sein wird, spielt inzwischen keine Rolle mehr. „Um den Film sichtbarer zu machen, wollen wir ihn zunächst auf einem großen Festival wie in Cannes oder Venedig vorführen“, erklärt Claus Räfle die hoffentlich letzte Verzögerung. „Die Unsichtbaren“ ist nicht die einzige Produktion, an der die ARD beteiligt ist und die zunächst ins Kino kommt. Der Dokumentarfilm „Beuys“ von Regisseur Andres Veiel läuft sogar im Berlinale-Wettbewerb.

Den „Top of the Docs“-Wettbewerb, der den Machern neben finanzieller Unterstützung auch einen Sendeplatz zur Prime Time sichert, haben in diesem Jahr die Autoren Sascha Adamek, Martin Hahn sowie Jost-Arend Bösenberg für ihr Projekt „Domino – Im Kosmos des Geldes“ gewonnen. Die Dokumentation wird im Rahmen des Themenschwerpunkts „Die Schmerzgrenze – Wie die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich unser Land verändert“ ausgestrahlt. „Wir wollen mit unseren Dokumentationen zeigen, wie es wirklich ist: fundamental-faktisch, nicht post-faktisch“, darin sieht ARD-Programmchef Volker Herres die Aufgabe des Dokumentar-Bereichs. Oder wie RBB-Intendantin Patricia Schlesinger sagt: „Dokumentationen sind die Kronjuwelen der ARD.“

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