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Als hysterisch wird Carola Weber (Anja Kling) von Chefarzt Limberg (Ulrich Noethen) abgestempelt, als sie in ihm ihren Peiniger aus dem Gefängnis erkennt. Foto: SWR

© SWR/Gordon Muehle

ARD-Psychothriller: Täter in Weiß

Für Tausende Frauen war das DDR-Gefängnis Hoheneck die Hölle auf Erden. Der ARD-Film "Es ist nicht vorbei" erzählt die Geschichte einer Frau, die ihren Peiniger nach Jahren wieder trifft. Doch selbst ihr Mann will ihr nicht glauben.

Sie haben beide geschwiegen, 22 Jahre lang – die eine, weil das, was sie erlebte, zu schrecklich war. Der andere, weil das, was er tat, ihm hätte schaden können.

Sie, das ist Carola Weber, Musiklehrerin, seit zehn Jahren in Koblenz glücklich verheiratet, der Ehemann hofft auf Beförderung in der Klinik, sie haben gerade ein Adoptionsverfahren für ein Kind durchlaufen. Er, das ist Professor Limberg, der neue Chefarzt des Klinikums. Carola erkennt in ihm jenen Arzt, der sie einst im DDR-Gefängnis mit Psychopharmaka behandelt und einen Arbeitsunfall verursacht hat, bei dem sie zwei Finger verlor.

Was Limberg tat, war ein Verbrechen. Doch Regisseurin Franziska Meletzky und Drehbuchautorin Kristin Derfler machen aus dem Stoff einen ganz auf Carola konzentrieren Psychothriller, der erst am Schluss zum Krimi mutiert. „Es ist nicht vorbei“ heißt der von SWR und RBB produzierte Film. Er erzählt von einem vergessenen DDR-Gefängnis, so schrecklich, wie man es sich in den schlimmsten Albträumen kaum vorstellen kann. Es geht um Burg Hoheneck, ein ehemaliges Jagdschloss im sächsischen Städtchen Stollberg. Es war zu DDR-Zeiten für Tausende Frauen die Hölle. Frauen, deren einziges Verbrechen oft nur war, dass sie einen Ausreiseantrag gestellt hatten oder aus der DDR fliehen wollten.

Schon lange, sagt Derfler, hat es sie gestört, dass den Tätern mehr Gehör geschenkt wird als den Opfern. RAF-, Stasi-, Nazi-Täter: Ihr Schicksal erscheint als Filmstoff dramatischer, interessanter als das ihrer Opfer. Drei Jahre lang hat die gebürtige Österreicherin recherchiert. Entstanden ist das Drehbuch zu „Es ist nicht vorbei“ und, gemeinsam mit Regisseur Dietmar Klein, die wunderbare Dokumentation „Ein Tag zählt wie ein Jahr“.

Carola Weber ist eine faszinierende Figur, fast pathologisch in ihrer Jagd auf den einstigen Peiniger. Doch nicht die Entlarvung des Täters steht im Zentrum, sondern Carolas Einsamkeit in einer Gesellschaft, die vergessen hat und die Ruhe will. „22 Jahre sind eine lange Zeit, Menschen ändern sich“, sagt Carolas Ehemann (Tobias Oertel), als er von ihrem Verdacht erfährt. Und wie seine anfängliche Sorge in Distanzierung und Befremden wechselt, wie Verletztheit und Misstrauen Oberhand gewinnen, das ist ein großartiges Psychogramm einer Ehe. „Ich glaube dir“ – das Zauberwort spricht er nicht einmal aus.

Das ganze Drama findet in Carolas Zügen statt, in den scharfen Linien, die sich im Gesicht vertiefen, je mehr sie auf Unglauben stößt, in der Anspannung im Nacken, als sie den Kampf aufnimmt. Die in der DDR aufgewachsene Anja Kling spielt diese Carola intensiv, fragil, angespannt, willensstark. Doch Ulrich Noethen zeigt Wolfgang Limberg als selbstsicheren Karrieremenschen, der mit allen Mitteln die Glaubwürdigkeit Carolas untergräbt und seine Autorität einsetzt, um die unbequeme Gegnerin zu stigmatisieren: hysterisch, depressiv, psychisch krank. Das Unheimliche ist: Fast glauben wir ihm. Glauben seiner professionellen Freundlichkeit, glauben dem weißen Kittel, der immer noch Zutrauen erweckt.

Dass sich deutsche Systeme, in diesem Fall die Ärzteschaft, immer noch einer Aufklärung und Aufarbeitung verweigern, ist der Vorwurf, den der Film erhebt. Wurden DDR-Funktionäre nach der Wende zu schnell und fraglos integriert, greift inzwischen ein Selbstschutzmechanismus des Betriebs und deckt die schwarzen Schafe.

In „Es ist nicht vorbei“ kommt es am Ende zum Showdown, wird die Konfrontation auf Leben und Tod ausgetragen und das Problem brachial gelöst. Im Drehbuch sollte der Schluss zunächst offenbleiben, der Täter ungestraft weiterleben. Die Entscheidungsträger bei den Sendern haben mit Co-Drehbuchautor Clemens Murath für ein eindeutiges Ende votiert, im Wunsch, zumindest im Film einmal Gerechtigkeit walten zu lassen. „Es ist nicht vorbei“ ist damit auch ein Beispiel für ein Drehbuch, das in die Mühlen des Produktionssystems Fernsehen geriet, ein Stoff, für dessen Kompromisslosigkeit seine Autorin kämpfte und am Ende, trotz Kompromissen, gewann.

Die realen Frauen von Hoheneck, denen der Film gewidmet ist, suchen bis heute nach Medizinern, die sie in der Haft mit Psychopharmaka misshandelten, nach Gefängniswärtern, Staatsanwälten, Richtern. In keinem der Fälle ist einer der Täter belangt worden. Viele praktizieren noch heute unbehelligt in ihrem Beruf.

„Es ist nicht vorbei“, 20 Uhr 15; „Die Frauen von Hoheneck“, 21 Uhr 45, jeweils ARD

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