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Um Vaters Erbe anzutreten, reist Holger Lenz (Ulrich Tukur) nach Asien.

© ARD Degeto

ARD-Film "Herr Lenz reist in den Frühling": Ulrich Tukur wirkt wie eine Fehlbesetzung

Ein ARD-Film schickt einen Spießer zwecks Selbsterkenntnis nach Thailand. Ein bekannten Thema, neue Energien? Mit Ulrich Tukur ist diese Rolle auf jeden Fall fehlbesetzt.

„Herr Lenz reist in den Frühling“ kalauert der Titel des ARD-Mittwochsfilms mit Ulrich Tukur. Aber sorry, Veronika: Wenn Herr Lenz dort ankommt, wächst kein frischer Spargel. Das Gute vorweg: Das Erste versucht in der TV-Unterhaltung, eingefahrene Gleise zu verlassen. Der „Tatort“ wirft seine Klischees über Bord, und die Degeto probiert tapfer, den Süßstoff abzubauen. Mit der Milchbauern-Tragikomödie „Die Kinder meines Bruders“ gelang das der ARD-Tochter vor Kurzem überzeugend. Aber jetzt, die Tour des Herrn Lenz (Regie: Andreas Kleinert, Buch: Karl-Heinz Käfer, Kamera: Johann Feindt) zeigt dann doch, wie schwer es ist, auf gealterten Mähren ins Land eines beschwingten Fernsehfrühlings zu reiten.

Da ist die Grundstory, diese angestaubte Ex-Oriente-Lux-Nummer von der Katharsis durch die Gelassenheit und den Charme Asiens. Mit oder ohne Palmen, obligatem Sonnenuntergang und wogendem Meer haben wir sie schon seit alters zu fürchten gelernt. Späthippies wie der Unter-Palmen-Schwarzwaldkliniker Klausjürgen Wussow oder der schmusebärige Hotelier Christian Kohlund floskelten populär-buddhistisch herum und betrieben tiefsichtige Landeskunde: „Die Menschen sind hier anders.“

Er spielt im falschen Film

Die neue Geschichte vom Spießer, der im Job nicht vorankommt, seine Ehefrau und seinen schwulen Sohn vernachlässigt, weil er den Verlust seines Vaters nie verarbeitet hat und der erst in Thailand zu sich und seinen Nächsten findet, läuft nach der gleichen Melodie. Die Macher des neuen Films haben aber versucht, dem ranzigen Narrativ durch Handlungstricks, Bilderfeuer und Casting-Überraschung neue Energien zuzuführen. Letzteres geht schief.

Ulrich Tukur ist ein großartiger Schauspieler. Er wirkt nie naiv, sondern immer wach und hochnervös. Als „Tatort“-Kommissar Felix Murot pochte ihm ein Tumor im Hirn, und der Zuschauer verstand sofort. Die Vorlage für den Lenz-Trip aber braucht einen Darsteller, der sich immer tiefer in sein inneres Gefängnis zurückzieht, damit die Asien-Erleuchtung umso strahlender erscheint. Da wirkt der agile Tukur wie eine glatte Fehlbesetzung. Er spielt im falschen Film. Man sieht ratlos einem Kampf zwischen Drehbuch und Besetzung zu, bei der am Ende die Vorlage siegt. Ein Gewinn durch einen Verfremdungseffekt à la Brecht stellt sich nicht ein. Keine Sekunde glaubt man Tukurs Holger Lenz, dem erfolglosen Versicherungsvertreter, dass er allen Ernstes hoffen kann, sein androgyner Sohn (Simon Jensen) könnte heterosexueller Norm entsprechen.

Die distanzierte Schauspielerei verhindert auch, dass der Zuschauer den Verlust des Vaters von Lenz so ernst nimmt, dass er versteht, warum Holger nach dem Erhalt der vermeintlichen Asche seines Vaters in einer Plastikflasche und der Nachricht über ein geerbtes Appartement nach Asien aufbricht. Der Vater hatte sich nach dem Untergang der DDR, ohne sich bei seinem Sohn je zu melden, als enttäuschter Sozialist nach Thailand abgesetzt und ein Hippieleben begonnen.

Das gab es schon einmal mit Klausjürgen Wussow

Und auch das noch: Auf einmal erscheint Holger als eine Art doppeltes Mauerfallopfer, denn nicht nur Vati ist weg, sondern auch die Liebe zu Gattin Illona (Steffi Kühnert). Das Paar hatte sich bei einem Pink-Floyd-Konzert 1990 lieben gelernt, nun steht die Mauer wieder zwischen den Eheleuten. Solch tränenreiches Schicksal hätte auch schon Wussow ereilen können, aber der musste zuvor keinen Vaterverlust, sondern den Schwarzwald und Gaby Dohm überstehen, bis es ihn in die „Klinik unter Palmen“ auf die Philippinen vertrieb.

Der Film mit dem Schnulzendrehbuch, der aber partout keine Schnulze werden will, wechselt schnell mal das Genre: Aus der Spießerbeschreibung wird ein grelles Roadmovie mit hektischen Schnitten. Es zeigt Holger in einem asiatischen Babylon. Das ererbte Appartement erweist sich als Sündenpfuhl. Lauter hübsche Mädchen rekeln sich in Holgers neuer Heimstatt. Zwischen dem sich verirrenden Versicherungsvertreter und einer schönen Frau kommt es erotisch nicht zum Äußersten, die Dame ist, oh Wunder, seine Halbschwester. Die Handlung macht Bocksprünge. Tot ist nicht tot, Asche kommt zu Asche – mehr ist nicht zu verraten. Nur das Ende vom Lied: Es klingt aus wie bei Kohlund und Wussow. Alles reicht sich die Hände. Asien verbindet, Lächeln siegt, die Weisheit Buddhas tröstet. Die Sonne geht unter, das Meer rauscht, die alten TV-Bärte tun es auch.

Das hätten wir auch unambitionierter erfahren können. Bewusste Fehlbesetzung, Handlungs-Salti und Genresprünge sprengen leider keine Süßstoffgefängnisse.

„Herr Lenz reist in den Frühling“, ARD, Mittwoch, 20 Uhr 15

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