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Das Prater-Lokal ist die letzte Zuflucht für Hans Wallentin (Juergen Maurer). Doch auch hier läuft alles aus dem Ruder, als er Kellnerin Ella (Lili Epply) bedroht.

© BR/ORF

ARD-Drama: Ein Mann sieht rot

Plötzlich vor dem Nichts: „Südpol“ ist ein packender Film über einen verzweifelnden Menschen.

Er fährt durch die Stadt und klappert verschiedene Adressen ab. Dem gemeinsamen Anwalt sagt er, er wolle die Scheidung von seiner Frau, sofort, wann er unterschreiben könne. Das Haus, die Autos, die Jacht, das Geld – das könne alles sie bekommen, er wolle nichts. Gar nichts. Dann lässt er irgendwann, eingekeilt im Stau in Wien, den nagelneuen Wagen einfach mit offener Tür auf der Straße stehen, nimmt noch das Foto von der Armatur ab, das seinen Sohn und ihn zeigt, und geht. Beim Geldabheben, als die vielen Einhundert-Euro-Scheine aus dem Geldschlitz hängen, lässt er die Scheine einfach herunterhängen und wirft die EC-Karte in den nächsten Abfalleimer. Sein Mobiltelefon, auf das er ein letztes Mal sieht, schmeißt er in die Donau.

Hans Wallentin (Juergen Maurer) ist an einem Punkt angekommen, an dem ihm schier alles egal zu sein scheint. Indifferenz macht sich in seinem Leben breit, in einem Leben, das vor Kurzem noch intakt schien, mit Erfolg im Beruf, teurer stylisher Stadtvilla, Ehefrau (Caroline Peters) und Sohn. Dann kam das Schreiben. Von einem Tag auf den anderen, ohne persönliches Gespräch, ohne Verabschiedung, wird Hans Wallentin nach 19 Jahren fristlos gekündigt. Mit diesem Moment setzt die Erosion ein, die innere ebenso wie eine äußere.

„Südpol“ – von Nikolaus Leytner („Der Trafikant“) geschrieben und inszeniert [ARD, Mittwoch, 20 Uhr 15] – zeichnet den Fall eines Mannes nach, der erst seine Arbeit, dann seinen Halt in der Gesellschaft verliert. Über diese gut bezahlte Arbeit, so hat es den Anschein, hat sich dieser Hans Wallentin definiert. Diese Sinngebung ist verloren gegangen, obgleich dieser Mann Frau und Sohn hat, er über finanzielle Rücklagen verfügt und in der Not Haus und Autos und Jacht verkaufen könnte.

Doch all das interessiert ihn nicht mehr. Er verlässt seine vollkommen konsternierte Frau Sandra, fährt erst täglich durch die Stadt, später dann läuft er. Alles ohne Ziel. Dabei bekommt sein Verhalten zunehmend aggressive Züge, verliert er zusehends die Kontrolle über sich selbst. Ein Mann sieht rot.

„Sie sind mir sofort aufgefallen."

„Sie sind mir sofort aufgefallen, als Sie das erste Mal hier waren“, sagt Ella zu Wallentin in der leeren Küche des Lokals „Südpol“. „Sie haben so was Trauriges gehabt, so was Verlorenes. Das hat mir … gefallen.“ Ella (Lili Epply) bedient im „Südpol“ als Aushilfe, eigentlich studiert die 25-jährige Frau Meeresbiologie und bald schon geht sie ins Ausland.

Das „Südpol“, es liegt auf dem Prater-Gelände, in der Ferne ist das ikonische Wiener Riesenrad zu erkennen. Hierher kommt Hans Wallentin von Beginn an, anfangs noch mit dem dunklen Wagen, setzt sich an einen Tisch, isst, trinkt und schweigt. Auf den Ohren trägt er Kopfhörer, die Musik von Bach spielen. Jeden Tag macht er das alles.

Juergen Maurer („Vorstadtweiber“) spielt diesen Verlorenen, und man kann seiner Figur dabei zusehen, wie dieser 50-Jährige sich innerlich allmählich abhandenkommt. Jeder Halt, jeder Sinn, jede Grundlage scheint weggebrochen. Es ist eine sukzessive Auflösung. Maurer spielt das mit einer zunehmenden Unruhe, die von diesem Mann Besitz ergreift. Lili Epply ist dabei der Gegenpol, sie ist es, die das Gespräch mit dem wesentlich älteren Fremden sucht, sie ist es, die ihm Fragen stellt und ihm anbietet, ihm zuzuhören.

Denn bei alledem ist da eine undefinierbare Zuneigung zwischen diesen beiden ungleichen Menschen. „Südpol“ setzt erst in der Gegenwart ein, in der Hans Wallentin schließlich zu seiner Pistole greift und Ella im leeren Prater-Lokal als Geisel hält, um dann zurückzublenden, drei Wochen vorher, als alles begann. Das letzte Drittel des Films führt die Gegenwart wieder fort, dieses Kammerspiel mit zwei Protagonisten auf engem Raum, draußen die grellen Scheinwerfer der Polizei, die das „Südpol“ umstellt hat.

Einen Ausweg gibt es, so oder so, nicht mehr. Dabei ist in der Narration nicht ganz schlüssig, aus welchem Grund Hans Wallentin Ella letztlich als Geisel nimmt. Er fordert nichts, er erpresst nicht, er tut ihr nichts an. Es wirkt wie ein grundloses Verhalten. Ein sinnfreies zumal. Ein acte gratuit.

Die Stärke von Nikolaus Leytners Drama liegt daher auch nicht etwa in diesem letzten, sich etwas streckenden Drittel der Geiselnahme, sondern vielmehr in der Erzählung davor, die davon handelt, wie ein Mensch, der ganz im Leben steht, durch den Wegfall dessen, was seine Identität ausmachte, plötzlich vor dem absoluten Nichts steht.

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