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Vor vollen Rängen: Jürgen Drews in der Waldbühne.

© SWR/C-Films Deutschland GmbH

ARD-Dokumentation zum Schlager: Die Begeisterung der Deutschen für "Atemlos" und "Anita"

Ein Phänomen für die Massen: In einer ARD-Dokumentation reden Costa Cordalis, Helene Fischer & Co. über das „Schlagerland“.

„Der Schlager ist die Seele des Volkes“, sagt Schlagersänger Costa Cordalis. „Natürlich. Du kannst dem Volk nicht die Seele wegnehmen. Mit was sollen sie sich denn unterhalten?!“ Deutschland, Schlagerland. Ein Statement. Eine nahezu provokante Aussage. Roland Kaiser bemängelt hingegen, dass der deutsche Schlager unkritisch, unpolitisch sei, und zitiert Jean-Paul Sartre: „Kunst ist reflektierte Gegenwart.“ Genau das fehle ihm – der reflektierte Zeitgeist, sagt er in „Schlagerland“, dem neunzigminütigen Dokumentar-Langfilm von Filmautor Arne Birkenstock, in dem ein Blick hinter das Massenphänomen Schlager geworfen wird.

Der Schlager hat durchaus zwei Seiten: Unterhaltung und Frohsinn auf der einen, hartes Showgeschäft und Geldsegen auf der anderen. Von dieser problematischen Ambivalenz berichtet die Dänin Gitte Haenning, und davon, dass sie sich längst von allem distanziert habe. Ralph Siegel, Münchner Plattenproduzent, Texter von 2000 Schlagern, Erfinder von Nicoles „Ein bisschen Frieden“, benennt es anders: Deutschland Schlagerland? Die Talente! Die Chance! Düster stünde es um den Schlager hier. Ganz düster.

Unsterbliche "Anita"

Eine andere Geschichte etwa ist die von Costa Cordalis und seinem unsterblichen Schlagerhit „Anita“, den er 1976 erstmals darbot und auf den er seither mithin reduziert wird, ganz gleich welche anderen Songs er in den vergangenen fünfzig Jahren auch sang, welche anderen Texte er sich ausdachte. Cordalis, das ist für die Deutschen der Sänger von „Anita“. Mit Bedauern beinahe erzählt der Grieche davon. Aus der Festlegung des heißblütigen schwitzenden Südländers, der die Sehnsucht der Deutschen nach Ausgelassenheit und Lebensfreude bediente, kommt er bis heute nicht heraus. Andere Kollegen und Kolleginnen verschwanden längst von der Bildfläche. Cordalis ist noch immer da. Und immer muss er auch die „Anita“ singen. Schlagerstar zu sein, es mutet fast ein wenig traurig an.

Und da ist Franziska Wiese, ein neuer, unverbrauchter Name. Die 29-Jährige, die seit ihrer Kindheit Geige spielt, will Schlagersängerin werden, und dieser Film begleitet sie dabei. Franziska Wiese, die ihren Job bei der Arbeitsagentur gekündigt hat, um sich ihren Traum zu erfüllen, bekommt einen Plattenvertrag bei der Münchner Universal Electrola. Sie hat eine Managerin, jene, die einst Yvonne Catterfeld entdeckte, und nun beginnt ihr mühsamer, steiniger Weg. Warum sie das mache? Warum sie unbedingt Schlagersängerin werden wolle?

Jürgen Drews, inzwischen Anfang siebzig und ein Urgestein der Branche, fragt sie dies auf einem der zahllosen Empfänge der Branche, und die Kamera ist ganz dicht an den beiden dran. Der alte Haudegen macht der schönen jungen Frau Komplimente, aber er wirkt unbedingt authentisch, als er ihr diese Fragen sehr direkt stellt. Und Franziska Wiese, die Newcomerin, antwortet dem „König von Mallorca“: Sie stehe dazu, sie stehe zu Schlagern, und vielleicht könne sie damit ja ein paar Menschen glücklich machen. Drews, auf den sich im Anschluss einmal mehr die Reporter stürzen, bekennt, mehr wolle, mehr müsse er nicht wissen. Er glaube Franziska. Sie werde ihren Weg gehen.

Momente menschlicher Tiefe

Dieser zuvor beinahe unbeobachtet wirkende Moment zwischen Drews und Franziska hat etwas. Es gibt mehrere solcher Momente in „Schlagerland“. Jene etwa, in denen Roland Kaiser erzählt, was er alles vermisst. Und dass der Udo Jürgens sich mit Schlagern wie „Dieses ehrenwerte Haus“ wenigstens noch etwas getraut habe Diese Momente machen den Dokumentarfilm sehenswert, verleihen ihm, neben seinem scheinbar oberflächlichen, flüchtigen Thema, eine durchaus überraschende Tiefe. Eine menschliche, zumal.

„Schlagerland“, ARD, Mittwoch, um 23 Uhr

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