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Lara Bothe verlor ihren Vater, der sich in einem der beiden Flugzeuge befand, die ins World Trade Center flogen.

© rbb/ARD/DOKfilm

ARD-Doku zu 9/11: Der letzte Satz

„Das vergisst man nicht.“ Eine ARD-Doku zu 9/11 bringt eine deutsche Perspektive und verzichtet auf gängige Terror-Bilder.

Der Tag begann mit einem „ganz normalen Morgen“, wie es der damalige Außenminister Joschka Fischer formuliert. Aber dieser Tag blieb nicht normal, er wurde zu „9/11“. Lara Bothe hat am 11. September Geburtstag. Im Jahr 2001 wird sie drei Jahre alt.

Und an diesem Tag stirbt ihr Vater: Er sitzt in einem der Flugzeuge, die Terroristen in das World Trade Center in New York steuern. Mutter Katja spricht über das letzte Telefonat mit ihrem Mann Klaus. Sie müsse jetzt aufhören, „die Kinder haben Saft verschüttet“ – dieser Satz war der letzte, den sie je zu ihm gesagt hat. „Das vergisst man nicht“, und ihr Schmunzeln über diese Alltagsbemerkung wandelt sich in einen Ausdruck tiefen Schmerzes („Deutschland 9/11“, ARD, Freitag, um 22 Uhr 15).

Eine Szene aus der ARD-Dokumentation „Deutschland 9/11“, in der Jan Peter und Daniel Remsperger zunächst auf emotionale Rückschau gehen, wie Menschen diesen Tag erlebt haben, der sie persönlich wie die ganze Welt entscheidend verändert hat. In der zweiten Hälfte der 90 Minuten kommen die Folgen ins Zentrum: neue Sicherheitsstandards im Luftverkehr, die Ermittlungen in Hamburg, wo die Terroristen sich vorbereitet hatten, der Afghanistan-Krieg.

Zu den eindringlichsten Momenten gehören die gegeneinander geschnittenen, höchst unterschiedlichen Einschätzungen des Bundeswehr-Einsatzes in Afghanistan – von der ehemaligen Sanitäterin Dunja Neukam und ihrer positiven Einschätzung einerseits, andererseits von Tereshkova Obaid vom Berliner Kulturzentrum Afghanistan, die den Einsatz sehr kritisch bewertet.

Nicht nur diese Zusammenschau verdeutlicht, auf wie vielen Ebenen gilt, was der frühere US-Botschafter Daniel R. Coats formuliert: „From there, the world changed.“ Oder in den Worten von Ex-Außenminister Fischer: „Jetzt beginnt eine andere Zeit“, das sei der Politik rasch klar gewesen.

"Jetzt beginnt eine andere Zeit"

Wiederholt sich Geschichte doch? Wieder stürzten Menschen in diesen Tagen fast vom Himmel. In ihrer Verzweiflung hatten sie versucht, sich an die Fahrwerke amerikanischer Militärtransporter zu klammern, die Menschen aus Kabul ausflogen. Vor 20 Jahren klammerten sich Menschen in Panik an die Fenster der Türme des New Yorker World Trade Center. Dann stürzten sie in den Tod. Oder sprangen sie?

Die ARD-Dokumentation verzichtet auf eine Parade der gängigen 9/11-Bilder. Sie muss sie ja auch gar nicht zeigen, sie sind ja fester Teil unserer Erinnerung. Und war zudem nicht jeder Beteiligte schon interviewt, waren die Geschichten der Opfer und der Täter in Osama bin Ladens Terror-Netzwerk nicht auserzählt?

Jan Peter und Daniel Remsperger suchten einen neuen Zugang zum 11. September und fanden ihn in Deutschland. Nach monatelangen Vorgesprächen holten sie bisher weniger beachtete Protagonisten der Terroranschläge vor die Kamera.

Ihr Film schildert das Trauma, ohne die Traumatisierten auszustellen: Mutter und Tochter Bothe, die Hamburger Terrorermittler oder den damaligen Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt Ernst Uhrlau (SPD), die die in Hamburg lebende Terrorzelle nicht entdeckten. „Blame“, Schuld im Sinne von Schande, bringt Ernst Uhrlau da vor der Kamera nur noch heraus. Und da ist der Lufthansa-Kapitän, der von einer vergangenen Zeit mit offenen Cockpit-Tür für neugierige Passagiere erzählt.

Der Film schaut in die Gegenwart des unrühmlichen Abzugs aus Afghanistan, und er schaut auf die Vergangenheit zurück, als mit dem Ende des Kalten Krieges 1989 so viele von einer Periode des globalen Glücks ausgingen. Am Septembermorgen 2001 wurden sie eines Schlechteren belehrt.

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