zum Hauptinhalt
Die Querdenker richten Ihren Protest gegen Politiker. Zu sehen ist eine Gesellschaft in Zeiten der Krise. Eine Collage der Pandemie-Ereignisse als Porträt der Gegenwart.

© rbb/SpiegelTV

ARD-Doku über Corona: Traumatisierung im Zeitraffer

Volker Heise montiert die Bilder der Pandemie in seiner Doku-Sisyphosarbeit. Dabei kommt ein Virologe besonders schlecht weg.

Silvester 2019: Feuerwerk über dem Brandenburger Tor, die Menschen feiern dicht gedrängt, ein Paar küsst sich in der Menge. Im Fernsehen gibt sich Bundeskanzlerin Angela Merkel zuversichtlich. Die 20er Jahre des 21. Jahrhunderts könnten gute Jahre werden, sagt sie in ihrer Neujahrsansprache. Knapp drei Monate später tritt die Kanzlerin wieder vor die Fernsehnation. Es werde Einschränkungen geben, wie es sie in der Bundesrepublik nie gegeben habe, sagt Merkel. „Aber sie sind im Moment unverzichtbar, um Leben zu retten.“

Im Frühjahr 2020, als die Covid-19-Pandemie mit aller Wucht Europa erreicht hatte, fasste Dokumentarfilmer Volker Heise den Entschluss: „Ich muss jetzt mal sammeln.“ Fernsehschnipsel aus aller Welt schnitten er und sein Team mit. („Schockwellen“, Mittwoch, ARD, 22 Uhr 50)

Seine Film-Collage „Schockwellen“ solle „das große Bild“ finden, sagt Heise im ARD-Interview. Die Pandemie im Zeitraffer, komprimiert auf die wichtigsten Nachrichten und deren Auswirkungen. Die Erfordernis, eine Auswahl zu treffen, nennt Heise, der einige Erfahrung mit Mammutprojekten hat („24h Berlin“), selbst „ein bisschen anmaßend“. Zudem hätten die Ereignisse die Arbeit am Film „permanent überholt“.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Krise live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können. 

Eine dokumentarische Sisyphosarbeit, die sich zum jetzigen Zeitpunkt auf einen Zwischenstand beschränken muss. Zwar genießen die Menschen im Mai die wieder gewonnenen Freiheiten, doch im Hintergrund ist noch die Musik aus der Gedenkfeier für die Corona-Toten zu hören.

Eine Infotafel verweist darauf, dass die Pandemie „bis Mitte Juni 2021“ weltweit über 3,7 Millionen Todesopfer gefordert habe. Eine Fortsetzung wäre folgerichtig, hoffentlich könnte der Film dann einen etwas freundlicheren Titel tragen als „Schockwellen 2“.

Ein Verlierer auch: Armin Laschet

Vorerst passt der Titel. Heise spiegelt das Auf und Ab der vergangenen 18 Monate wider, eine filmische Essenz des gesellschaftlichen Traumas. Meist besteht der Film nur aus kurzen Ausschnitten aus Nachrichtensendungen, Reportagen, Online-Videos und Talkshows.

Es gibt Ausnahmen, längere und stille Passagen, die die Wucht der Ereignisse umso eindringlicher erfassen. Wie in den Szenen aus dem Krematorium Meißen, wo sich die Särge Anfang Januar 2021 stapeln. Wie im Fall des 91 Jahre alten Mannes, der sich von seiner schwer kranken Frau verabschiedet, weil er sie im Pflegeheim nicht mehr besuchen darf.

Der Autor und sein Team kommentieren die Bilder nicht, die Montage erzeugt durchschlagende Aussagekraft. Man sieht, wie ein Priester in Bergamo die Särge an den offenen Ladeluken der Militärlaster segnet. Dann blättert jemand die Seiten der lokalen Zeitung um. Seitenweise Todesanzeigen, es will kein Ende nehmen.

Schnitt. Nun liegt der Papst bäuchlings betend auf dem Boden des fast leeren Petersdoms – ein Bild stiller Trauer. Schnitt und Wechsel nach Berlin, vor die Volksbühne, zur „Hygienedemo“ am 18. April 2020. In diesem filmischen Kontext erscheint der Demonstrant, der sich über den „Corona-Schwindel“ empört, umso absonderlicher.

Insgesamt ergibt sich eher ein Ungleichgewicht: Der Protest wird – zu Recht – abgebildet. Die Kreativität beschäftigungsloser Künstlerinnen und Künstler oder die nachbarschaftliche Solidarität, die insbesondere in der ersten Welle vielerorts zu beobachten waren, fehlen vollständig.

Ein Verlierer auch: Armin Laschet. Der NRW-Ministerpräsident wird nur ein einziges Mal im Zusammenhang mit dem Corona-Ausbruch beim Fleischkonzern Tönnies zitiert.

Dass Jens Spahn als Gesundheitsminister mit einigen denkwürdigen O-Tönen vertreten ist, ist nachvollziehbar. Allerdings tritt hier auch Ministerpräsident Markus Söder mehrfach in seiner Lieblings-Rolle als forsche Vorhut der Anti-Corona-Front in Erscheinung, während die Pannen im Bundesland Bayern keine Aufnahme in Heises „großes Bild“ fanden.

In der Fraktion der medizinischen Experten werden die Präferenzen noch deutlicher. Neben RKI-Chef Lothar Wieler und Charité-Virologe Christian Drosten schafft es allein Hendrik Streeck in den Film, aber die Auswahl ist verheerend für den Bonner Virologen und Autor der Heinsberg-Studie.

Bei „Markus Lanz“ sagt Streeck im Sommer 2020: „Ich gehe nicht davon aus, dass wir eine zweite Welle haben werden.“ Der Ausschnitt belegt die bisweilen kurze Halbwertzeit von Experten-Statements, zugleich zeigt sich, dass die filmische Sisyphos-Arbeit das Risiko unfairer Verkürzung in sich trägt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false