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Die Journalistin Anne Will

© Karlheinz Schindler / picture alliance / Karlheinz Sch

„Anne Will“ zum Coronavirus: Chefärztin warnt vor „Kollaps“ der Kliniken

Anne Wills Corona-Runde diskutierte mit Markus Söder und Fachleuten. Kanzleramtschef Braun will beruhigen – doch der bange Blick ging nach Italien.

Von Caroline Fetscher

Bang klang die Frage, unter der Anne Will ihre Runde am Sonntagabend versammelte: „Deutschland im Ausnahmezustand – gewinnen wir den Kampf gegen das Coronavirus?“ Ob es überhaupt konstruktiv ist, Fragen auf diese Weise zu formulieren, blieb freilich eine ungestellte Frage.

Ein simples „wie“ würde den besseren Akzent setzen: „Wie gewinnen wir den Kampf gegen das Virus?“ Darauf kommt es ja an, und das wurde auch diskutiert – im Zeichen der aktuellen, neuen Ausgangsbeschränkungen, Kontaktsperren, Ausgehverbote, und der parallelen Furcht vor Freiheitsverlusten.

Wenige Stunden vor der Sendung hatte der für 30 der 60 Minuten zugeschaltete Gast, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, noch mit Amtskollegen und Kanzlerin offenbar hitzig über Maßnahmen auf Bundesebene debattiert.

Söder verteidigte auch bei Anne Will sein Vorpreschen mit drastischen Ausgangsbeschränkungen, das laut Umfragen stark befürwortet wird. Live per Monitor hatte Söder noch einmal Gelegenheit, die bayerischen Maßnahmen näher zu erklären und zu legitimieren: Die Lage der Grenzregion Bayern rechtfertige die dortigen Regeln, in zwei, drei Wochen werde man mehr wissen zur Abwägung der Güter Sicherheit versus Freiheit.

Es darf nicht werden, wie in Italien“, und es gehe darum „Leben zu retten“ – und: „Wir steuern dauernd nach“. Auch der zugeschaltete Ministerpräsident des Saarlands, Tobias Hans, will lieber „beherzte und frühe“ Maßnahmen, als zu späte und überstürzte.

Doch der Konflikt der Länderchefs scheint einstweilen gelöst, das Bund-Länder-Treffen per Video-Schalte im Kanzleramt hatte ja nachgezogen, wenn auch nicht mit ebenso strikten Regularien, wie sie vorerst in Bayern und im Saarland gelten. Was genau auf dem Treffen geschah – es war klar, dass Anne Will das dem Bayern entlocken wollte.

Genauso klar, dass Söder diplomatisch antworten und auf die Einigung hinweisen würde. Denn es geht jetzt nicht ums Schüren von Konflikten, sondern um das Suchen von Lösungen. Längst auch laufen die dynamischen Prozesse der Gegenwart weiter, und befindet sich die Kanzlerin selbst in Quarantäne.

Der Chef des Bundeskanzleramts und Koordinator des Corona-Krisenstabs, Helge Braun (CDU), wollte dazu auch nichts weiter erklären, als das Bekannte: Da Angela Merkel bei einer Pneumokokken-Impfung Kontakt zu einem inzwischen positiv auf Covid-19 getesteten Mediziner hatte, wird sie vorsorglich vierzehn Tage lang vom Home-Office aus arbeiten.

Hintergrund über das Coronavirus:

Es ist ernst, und Merkel nimmt es ernst, so wie sie es selber unlängst der Bevölkerung empfohlen hat. „Sie geht mit gutem Vorbild voran.“, so Braun. Da die Regierung ohnehin viel per Video arbeitet, werde der Unterschied kaum spürbar sein. 

Die zentralen Fragen der Öffentlichkeit kreisen um Prävention, um das Virus selbst, um dessen Eindämmen, um Prognosen und die Elastizität des Gesundheitssystems, um Arbeit und Arbeitsplätze. Melanie Brinkmann, Professorin für Virologie an der TU Braunschweig, erhofft sich positive Effekte von den verordneten Kontaktreduktionen: „Da werden wir Erfolge sehen“, erklärte sie, die Beispiel aus Asien belegten das.

Nur, wie groß die Erfolge hier im Land sein werden, das muss die Zeit zeigen. Brinkmanns Kollegin Bernadett Erdmann, Chefärztin der Zentralen Notaufnahme des Klinikums Wolfsburg, wo derzeit die VW-Werke stillstehen, beklagte den Mangel: Mangel an Schutzkleidung, Atemmasken, Intensivbetten, Beatmungsgeräten, und warnte vor dem „Kollaps“ der Kliniken, wenn die Regierung nicht für Lieferungen, Nachschub sorge.

Helge Braun mühte sich, zu versprechen, was immer geht. Jens Spahn sei pausenlos damit befasst, diese Schutzausrüstungen zu besorgen, sie würden bald eintreffen, Handelshindernisse seien beseitigt. Überzeugt wirkte Erdmann davon nicht.

Einspielen ließ Anne Will auch die Äußerung des Präsidenten des Robert-Koch-Instituts, die Krise habe ein Ausmaß angenommen, das er für „unvorstellbar“ gehalten habe. Auch solche Formulierungen wirken wenig konstruktiv – und zudem gewagt, denkt man an die Warnungen und Vorhersagen von Virologen und anderen Experten, die sich seit langem mit Pandemie-Szenarien beschäftigen, und die sich das vorstellen konnten.

Geschildert wird das etwa in der Studie „The Psychology of Pandemics“ des kanadischen Professors für Psychologie, Steven Taylor. Sein Buch zur sozialpsychologischen Vorbereitung auf Pandemien ist im Dezember 2019 erschienen, und beschreibt Punkt für Punkt Zustände, wie die Gegenwart sie erfährt, medizinisch, psychologisch, ökonomisch.

Ausnahmezustand über 18 Monate?

Ein Einspieler zitierte Studien, wonach der Ausnahmezustand sich über 18 Monate bis zwei Jahre hinziehen könnten, bis die akute Krise bewältigt sei. Es folgte die dringende Warnung von Helge Braun, das solche Zahlen sich auf Langzeitwirkungen beziehen, und keine falsche Panik entstehen dürfe, keine irreführende Angst vor so vielen Monaten finanzieller Verluste und Isolation.

Keine klare Antwort erhielt der Taxifahrer im eingespielten Film, der konkret wissen wollte, an wen er sich für eine Finanzspritze wenden müsse. Das sei Ländersache, hieß es. So bald als möglich, das wurde klar, sollten die entsprechenden Webseiten mit Informationen bundesweit kommuniziert und zugänglich werden. 

Es geht um das Dasein von Menschen

Der verwaltungsrechtliche Begriff „Daseinsvorsorge“, das machte auch Will-Runde so deutlich, hört sich in diesen Zeiten anders an, direkter: Es geht jetzt um die staatliche, öffentliche Vorsorge für das Dasein von Menschen, für deren physische, emotionale und finanzielle Existenz. Gesellschaften blicken auf den Staat: Erwartet wird das transparente Sammeln und Auswerten von Daten, das klare Vermitteln von Einschätzungen.

Die berühmten Fragen von Immanuel Kant durchdringen jede der aktuellen Debatten: Was können wir wissen? Was sollen wir tun? Was dürfen wir hoffen? Die letzte Frage ist langfristig die wichtigste, denn erwartet werden auch Perspektiven für die Post-Corona-Zeit. Die wird es geben, auf sie zu blicken liefert den Ansporn für die Bevölkerung, jetzt richtig zu handeln.

Erfrischend war daher der Vorstoß von Sebastian Fiedler für mehr „vernetztes Denken“. Fiedler, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, schlägt der Regierung vor, ein interdisziplinäres Gremium der besten Köpfe der Republik aus allen relevanten Bereichen ins Leben zu rufen, „um die Themen vorauszudenken“, den gesellschaftlichen und auch den europäischen Zusammenhalt zu festigen und zu sichern. Es waren vielleicht die wichtigsten Sätze des Abends. 

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