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Das Thema am Sonntagabend bei Anne Will: „Corona-Einschränkungen – waren und sind die Grundrechtseingriffe verhältnismäßig?“

© obs/Wolfgang Borrs/dpa

„Anne Will“ zu Corona-Einschränkungen: „Wir brauchen eine andere Dimension von Aufklärung“

Das Coronavirus, die Grundrechte und Genderfragen im Fernsehen: Warum Anne Will die derzeit beste Talkshow-Gastgeberin ist.

Nachweislich begann der Arbeitstag von Anne Will am Sonntag um 9 Uhr 15.

Da antwortete sie auf Twitter auf einen Tweet der Journalistin Teresa Bücker, die über eine Auswertung des „Spiegel“ berichtete. Demnach kämen in deutschen Talkshows über Corona nur 32 Prozent Frauen zur Wort. Bücker twitterte am Samstag: „Und noch bemerkenswerter: Während Männer als Experten agieren dürfen, kommen Frauen häufig als ,Betroffene'.“

Anne Will schrieb daraufhin: „Hab den @derspiegel Artikel auch gelesen und fand ihn etwas angestrengt. Er beginnt damit, dass vergangenen Sonntag drei Frauen bei uns waren und findet das bemerkenswert (ich nicht), um dann zu entwickeln, dass grob keine Frauen in DIE Talkshows kommen. Und wer waren die drei? Eine Ministerpräsidentin, eine Physikerin, eine Ärztin. Wir hatten in den gefühlt viereinhalbtausend #Corona-Sendungen gar keine „Betroffene“ (sind wir alle). Deshalb, liebe @fraeulein_tessa, wäre eine „Auswertung“ was anderes, oder?“

Anne Will schien also am Sonntagmorgen bereits leicht genervt, vielleicht würde sie so langsam gerne mal eine Talkshow über ein anderes Thema als Corona machen, über Bildung zum Beispiel.

Aber selbst wenn es gerade eine Talkshow zum Thema „Bildungsstandort Deutschland“ geben würde, würde es doch nur um Corona gehen, darüber, was aus den Schülern wird, was und wie sie im Moment lernen, über hilflose Eltern und überforderte Lehrer.

Stühlerücken im Studio

Jedenfalls lautete am Sonntagabend das Thema von Anne Will: „Corona-Einschränkungen – waren und sind die Grundrechtseingriffe verhältnismäßig?“ Zwei Frauen waren eingeladen, nämlich die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und die ehemalige FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Außerdem drei Männer, der amtierende Talkshow-Meister Karl Lauterbach, der zwar für die SPD im Bundestag sitzt, aber vor allem gerade Gesundheitsökonom und Epidemiologe ist, der Journalist Olaf Sundermeyer und der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen.

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Fünf Gäste also, das gab es lange nicht mehr, dafür musste man Stühle rücken, Anne Will saß nicht mittig, und alleine schon über diese kleine Veränderung schien die Moderatorin ein bisschen froh zu sein. Ansonsten blieb die Redaktion dem vertrauten Ablauf treu, man begann mit einem Einspielfilm über das Leben in Deutschland in Zeiten von Corona und darüber, dass nur 17 Prozent der Deutschen die Maßnahmen, die gegen das Virus getroffen wurden und immer noch getroffen werden, für übertrieben halten - mehr als 80 Prozent sind einverstanden.

Lauterbach beim Souveränerwerden zuschauen

Dann begann Lauterbach, dem man von Talkshow zu Talkshow beim Souveränerwerden zuschauen kann, mit der Feststellung, dass Präventionsmedizin keine Helden kenne, dass man weiterhin jede Maßnahme gut erklären müsse, und dass wahrscheinlich eine zweite Welle käme, was niemand der anwesenden Gäste zu Widerspruch veranlasste.

Leutheusser-Schnarrenberger stimmte teilweise zu, teilweise wies sie aber auch auf die Grundrechte der Bürger hin - und dass sie ein Recht hätten, zu demonstrieren und ihre Meinung zu sagen.

Anne Will meinte daraufhin, dass sich so ein Virus ja nicht groß um Grundrechte scheren würde - und es sind diese trockenen Einwürfe, die Will zurzeit zu besten Talkshow-Gastgeberin machen.

Dann berichtete Sundermeyer von den Demonstrationen des Wochenendes, in Berlin, in Stuttgart, in München, in Cottbus und er tat das mit sehr viel Vorsicht, er urteilte nicht über die Menschen, die auf die Straße gegangen sind - und dennoch meinte Wagenknecht, man könne nicht pauschal sagen, dass das alles Rechtsextreme und Verrückte seien, sondern auch Menschen mit Existenzängsten.

Das sind so Sätze, die man sich vorgenommen hat zu sagen in einer Talkshow, ob sie nun anschlussfähig sind oder nicht. Und Sundermeyer, der nicht pauschalisierte und verurteilte, bekam es dann auch noch mit Pörksen zu tun, der sich in die Runde einbrachte mit der bemerkenswerten Feststellung (es ging um die 80 Prozent Zustimmung), dass er es für falsch halte, wenn die Mehrheit entscheide.

Muss der Mann aber nun mal in einer Demokratie mit leben - so wie der nicht pauschalisierende Sundermeyer damit leben musste, dass Pörksen zu ihm sagte: „Ich warne vor einer übertriebenen Pauschalisierung.“ Dann regte er sich noch ein bisschen über Dinge auf, die niemand gesagt hatte, bis Sundermeyer ihm dann erklärte, man müsse schon genau benennen, wer bei solchen Demonstrationen eigentlich mitmache (Rechtsradikale, Impfgegner, Verschwörungstheoretiker).

Können Fliegen Viren übertragen?

Und damit war die „gefühlt viereinhalbtausendste“ Talkshow über Corona mittendrin in einem ritualisierten Streit, den die Gästen anscheinend brauchen, um ihre vorbereiteten Standpunkte loszuwerden. Und vielleicht wäre es eine gute Idee, wenn sich bei der viereinhalbtausendersten Talkshow Anne Will nur mit Karl Lauterbach unterhalten würde, von dem man ja auch nicht wissen konnte, wie gerne man dem zuhört. Er blieb ruhig, erklärte, sagte, er sehe nicht, dass sich die Lage gerade ähnlich instrumentalisieren lassen könne wie es die Rechtsradikalen 2015 versucht hätten. Ob es dennoch sinnvoll sei, mit den Menschen, die jetzt auf die Straße gehen, ins Gespräch zu kommen, wollte Will dann von Pörksen wissen und Pörksen sagte dann: „Wir brauchen eine andere Dimension von Aufklärung.“ Niemand der anwesenden Männern trug übrigens eine Krawatte.

Ansonsten war noch eine Fliege im Studio, aber Lauterbach gab Entwarnung, eine Fliege können den Virus nicht übertragen. Dann wollte Wagenknecht mal wieder nicht pauschalisieren und Will fragte, ob vielleicht doch nicht genug erklärt worden sei.

Lauterbach, mittendrin in seinem eigenen Talkshow-Referenz-System, verwies auf die Anne-Will-Talkshow, in der er sich mit Christian Lindner gestritten hatte (er meinte die Talkshow, in der sich vor allem Armin Laschet mit seinen eigenen Ansprüchen gestritten hatte - und verlor).

Mehrheitsentscheidungen sind in Zeiten der Corona-Pandemie nicht grundsätzlich richtig. Diese Ansicht vertrat der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen bei "Anne Will".
Mehrheitsentscheidungen sind in Zeiten der Corona-Pandemie nicht grundsätzlich richtig. Diese Ansicht vertrat der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen bei "Anne Will".

© imago images/Jürgen Heinrich

Pörksen warf dann noch das Wort „Zukunftsunruhe“ in die Runde.

Die verspürte offensichtlich die Moderatorin. Anne Will beendete die Sendung zwei Minuten früher, um 22 Uhr 43 war ihr Arbeitstag zu Ende.

Im ZDF musste Thomas Gottschalk derweil noch ausharren. Der Sender feierte mit ihm in seinen 70. Geburtstag rein. Unter den Gästen war Alice Schwarzer.

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