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TV-Talk bei Anne Will: "Die Wähler denken sich: Die kapieren es sonst nie."

© ARD-Mediathek

„Anne Will“-Sendung geht schief: Wenn der AfD-Mann plötzlich Applaus bekommt

Anne Will wollte die Ergebnisse der Thüringen-Wahl diskutieren. Aber die Sendung ging gehörig schief. Freuen konnte sich nur einer.

Die Stimmen der thüringischen Landtagswahl sind noch nicht einmal fertig ausgezählt, als Anne Will schon zum Thüringen-Talk ins Studio lädt. Keine ganz so gute Idee: die zentralen Fragen blieben unbeantwortet, einige Gäste kamen kaum zu Wort, Applaus bekam vor allem der Vertreter der AfD.

Thüringen hat gewählt: Die Linke unter Ministerpräsident Bodo Ramelow ist mit 31 Prozent klarer Sieger, auf Platz zwei folgt die AfD mit über 23 Prozent der Wählerstimmen – noch vor der CDU mit knapp 22 Prozent. Die Regierungsbildung wird schwierig, für die derzeit amtierende Koalition rot-rot-grün reicht es nicht mehr; andere Möglichkeiten wackeln, sicher stabil wäre nur ein Zusammenschluss aus Linke und CDU.

Das hatte die CDU bereits im Vorfeld ausgeschlossen. Genau in diese Lücke stieß Anne Will, man könnte fast sagen: machte Werbung dafür. Wäre eine schwarz-rote Koalition nicht denkbar, sogar sinnvoll? Ein wenig bremsen konnte nur Sarah Wagenknecht, Fraktionsvorsitzende der Linken, die nüchtern feststellte: "Ich glaube nicht, dass wir hier die Koalitionsverhandlungen führen."

Auch ansonsten blieb der Talk mehr als durchwachsen, was einerseits an der Gästeliste lag, die schwer zusammengewürfelt wirkte – aber auch an Wills Talkverhalten.

Drei Herren beherrschen die Debatte

Die Publizistin und Professorin Ines Geipel etwa, die selbst als Leistungssportlerin unter dem DDR-Regime litt, wirkte durch ihre persönliche Historie eher fehl am Platz denn hilfreich und bei manchen Aussagen fast verwirrt ("Die Mehrheit der Ostdeutschen ist glücklich. Aber das Kollektiv ist unglücklich") - was Anne Will augenscheinlich veranlasste, sie wenig zu Wort kommen zu lassen.

Dass Geipel weite Teile des Talks allerdings befremdet und zu Boden schauend neben ihr saß, schien die Talkmasterin nicht zu registrieren.

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Ebenso unglücklich erging es Cornelius Pollmer, Ostdeutschland-Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung", der kluge Analysen hätte liefern können, wäre er mehr in den Talk miteinbezogen worden. Die Spaltung, die - immer noch - durch Ostdeutschland geht, wird für ihn gut durch das thüringische Wahlergebnis abgebildet: ein großer Teil der Wähler votiert links, ein weiterer großer Teil rechts.

Recht viel mehr ausschlaggebende Sendezeit wurde ihm nicht gewährt. Stattdessen beherrschten die Debatte drei Herren, bei denen sich der Zuschauer schwer entscheiden konnte, welcher unangenehmer war: Reiner Haseloff, der CDU-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Georg Pazderski, stellvertetender Bundessprecher der Afd sowie Oliver Decker, Direktor des Kompetenzzentrums für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung der Uni Leipzig.

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Anne Will, die durchaus unterbrechen kann - wenn sie möchte - ließ Decker Vorträge halten, die das Potential hatten, selbst hochinteressierte Studenten einzuschläfern. Verwickelt in ewige Schachtelsätzen blieb immerhin seine Aussage im Gedächtnis, dass laut Erhebungen seines Zentrums 50 Prozent der AfD-Wähler antisemitisches Gedankengut pflegen und 80 Prozent Vorurteile gegen Sinti und Roma haben.

AfD-Mann Pazderski wollte und konnte das nicht so stehen lassen und argumentierte, seine Partei sei "zutiefst bürgerlich" und "stehe auf dem Boden des Grundgesetzes" - auch, wenn es Leute in der AfD gebe, die er "lieber heute als morgen loswäre". Pazderskis Meinungsverschiedenheiten mit Björn Höcke sind bekannt.

Keinen müden Klatscher für den CDU-Mann

Beifall und sogar Bravo-Rufe im Studio bekam Pazderski unter anderem für seine nicht gerade neue Aussage, Menschen würden AfD wählen, weil andere Parteien die konkreten Sorgen der Bürger nicht wahrnehmen würden: etwa die Angst vor Überfremdung oder das Thema "innere Sicherheit".

Reiner Haseloff von der CDU, der ähnlich wie Decker schwadronierte, sich an "Parteiprogrammatiken" festklammerte und mit Sorge sieht, dass "die Mitte keine Mehrheit mehr hat", bekam vom selben Publikum nicht einmal einen müden Klatscher.

Das Thema der Sendung, das - abgesehen von der Wahl in Thüringen - eigentlich lautete: Was sagen diese Wahl und die weiteren Wahlen in Ostdeutschland über 30 Jahre nach dem Mauerfall? blieb völlig unbeantwortet. Vielleicht am ehesten noch das, was Sarah Wagenknecht bilanzierte - nicht nur mit Blick auf die Linke, sondern auch auf den großen Wahlgewinner AfD: "Die Wähler denken sich: Die kapieren es sonst nie. Sie wollen der Politik eine Ohrfeige geben."

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