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Heller wird es in „Carnival Row“ selten. Aber dass die Fee Vignette Stonemoss (Cara Delevingne) den Menschen Rycroft Philostrate (Orlando Bloom) mit einem Messer an der Kehle überrascht, bleibt nicht im Dunkel der Story.

© Amazon Prime Video

Amazon-Serie „Carnival Row“: Neue Heimat für „GoT“-Fans?

„Carnival Row“ ist die erste Amazon-Serie mit Kinostar Orlando Bloom. Fanstasy wird mit Fremdenfeindlichkeit, Flüchtlingsfragen und Feen kombiniert.

Das Rennen ist längst nicht entschieden. Welche Produktion kann die gewaltige Lücke füllen, die sich mit dem Ende von „Game of Thrones“, der Jahrhundertserie von HBO, aufgetan hat? Amazon Prime Video versucht es jetzt mit „Carnival Row“. Der Streamingdienst ist vom Erfolg derart überzeugt, dass eine zweite Staffel beauftragt ist, noch ehe die ersten acht Episoden in die Prime-Welt geschickt wurden.

„Carnival Row“ basiert auf dem bislang als unverfilmbar geltenden Script „A Killing on Carnival Row“ von Travis Beacham. Es stammt von 2005, und dass Amazon Prime sich jetzt an die Umsetzung wagt, spricht erstens für den Hunger nach „GoT“-Adepten, zweitens für die mittlerweile schier unendlichen Möglichkeiten der Filmtechnologie. „Carnival Row“ ist mit Drama unzureichend klassifiziert. Es ist eine Kombination aus Fantasy, Melodrama, Ultragewalt und einer Grundlage, die in die Aktualität hineinragen will. Schauplatz ist Burge, eine Stadt in spätviktorianischer Zeit, unschwer als ein dystopisches London zu erkennen. Die Stadt wirkt übervölkert, Fabrikschlot reiht sich an Fabrikschlot, die Bewohner hetzen durch den Schlamm. Ob die Sonne jemals durch den Regenhimmel bricht?

Ein Megalopolis: Hier leben mythologische Kreaturen, Zentauren, Faune oder Werwölfe, nicht eben freiwillig, sie mussten aus ihren Heimatländern fliehen, da diese von den Menschen erobert wurden. Den Flüchtlingen ist es verboten, frei zu leben, zu lieben, zu fliegen. „Carnival Row“ ruft die Themen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Flüchtlingskrise und sexuelle Ausbeutung auf. Divers ist die Gesellschaft, gerecht ist sie nicht – alles gebrochen durch die Fantasy-Linse. Difference is dangerous, könnte der Untertitel sein.

Feen müssen sich prostituieren

Besonders hart trifft es die Feen, die aus Tirnanoc fliehen mussten. Viele arbeiten als Showgirls, wenn nicht als Prostituierte. Eine ist Vignette Stonemosse, gespielt von Cara Delevingne („Suicide Squad“). Die Libellenfee erfährt, dass ihr vermeintlich toter Liebster, der Mensch Rycroft Philostrate (Orlando Bloom, „Fluch der Karibik“, „Der Herr der Ringe“), sich in Burge aufhält. Rachegetrieben macht sich Vignette auf die Suche nach dem Kerl, der seinen Tod nur vortäuschte. Philo wollte Informationen, ein gebrochenes Herz nahm er in Kauf. Der frühere Soldat arbeitet als PolizeiDetective, um eine in Jack-the-Ripper-Manier ausgeführte Mordserie (die Bilder sind hart) aufzuklären. Die Bluttaten gefährden den angespannten Frieden in der Stadt. Je weiter Philo fahndet, desto klarer wird, mit welchen Mächten er sich einlässt. Beide, der Detective und die Fee, explorieren wie die Zuschauer die Welt und die Welten des jeweils anderen.

Liebesgeschichte, Kriminalgeschichte, durchlitten, erlitten, von Zärtlichkeit und Anziehung, von Zuneigung und Abstoßung durchzogen, das wird die Fans der schönen Cara Delevingne und des schönen Orlando Bloom entzücken. Die Produktion nutzt die Stärken von Hauptdarstellerin und Hauptdarsteller.

Sowohl die Autoren, angeführt von René Echevarria und Vorlagengeber Travis Beacham, als auch die wechselnden Regisseure von Jon Amiel bis Anna Foerster, haben die feste Absicht, die Stars und das hochkarätige Ensemble, darunter Indira Varma („GoT“) oder David Gyasi („Interstellar“) als mysteriöser, wohlhabender Waldgeist, trotz vorherrschender Dunkelheit ins rechte Licht zu setzen. Wobei Bloom als Polizist, grüblerisch ausgestattet mit der Superpower der Empathie, schneller zu Stand und Statur findet als Cara Delevingne in der Feenrolle. Die ist zweifellos die größere Herausforderung – wie viel Fabelwesen, wie viele (menschliche) Gefühle sollen, dürfen es denn sein?

Keine Hektik beim Erzählen

„Carnival Row“ lässt sich erklecklich viel Zeit, die komplexe Szenerie zu etablieren. Hektik ist nicht, vordergründige Action ist nicht, es werden Puzzleteile gezeigt, Spuren gelegt, schnell wird deutlich, dass nicht wenige Menschen und Fabelwesen ihre wahren Absichten camouflieren. Der Zuschauer braucht Geduld. So kann er sich, je mehr die Handlung vorabschreitet, an „Penny Dreadful“, „Emerald City“, auch „Game of Thrones“ erinnert fühlen. Nicht mehr, nicht weniger.

Allerdings, wie viel taugen diese Vergleiche? „Carnival Row“ bewegt sich sicherlich im genannten Genrekosmos und ist doch seine eigene magische Welt, hat seine spezielle Magie. Jetzt müssen nur noch die Fantasy-Fans entscheiden, ob sie sich von der Serie einfangen lassen. Daran, an der Kraft zur Transformation des Zuschauers in einen Abenteurer, muss die Produktion sich messen lassen. Die Qualität dafür hat sie. Joachim Huber

„Carnival Row“, Amazon Prime Video, Staffel I, englische Version online ab Freitag, deutsche Fassung im November.

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