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Die Herausforderungen für die 330 Teilnehmer des „World’s Toughest Race“ sind beinahe übermenschlich. Dem auch nur am Fernseher beizuwohnen, ist so erschöpfend, als würde man selbst ein paar dieser Strapazen überstehen müssen.

© Corey Rich/Amazon Prime

Amazon-Doku „World’s Toughest Race“: Adrenalin plus Diversifikation

Mehr als gewöhnliches Survival-TV: Das „World’s Toughest Race“ bei Amazon Pime bietet zugleich Empathie, Respekt und Offenheit.

Der moderne, meist urbane, also denaturierte Mensch des 21. Jahrhunderts ist ein Lebewesen, das sich abseits ausgetretener Pfade selber fremd wird. Ohne Supermarkt, Straßen und – oh Gott! – Smartphones fällt er schnell ins hyperaktive Wachkoma und starrt vermutlich lieber aufs schwarze Touchpad als zum blauen Himmel. Wer aus diesem Zustand zurück zu den Wurzeln möchte, hat vor allem drei Möglichkeiten: Abenteuerurlaub machen, vom Abenteuerurlaub träumen – oder anderen beim Abenteuerurlaub zusehen. Zum Beispiel jenem, den Amazon ab Freitag veranstaltet.

Der nämlich geht weit über die übliche Alltagsflucht einer geführten Dschungel-Safari mit anschließender Wellness-Entspannung hinaus. Meilenweit sogar. Genau 417, umgerechnet also 671 Kilometer, die 330 Teilnehmer, verteilt auf 66 Teams bei Prime Video in elf Tagen auf den Fidschi-Inseln zurücklegen. Normalerweise sind die ständigen Superlative des privaten Wer-hat-den-größten-Fernsehens selbstreferenzieller Mist. Aber in diesem Fall ist der maximalistische Titel angebracht: „World’s Toughest Race“.

Denn was die Menschen aus 30 dem erweiterten Kreis des Commonwealth gehörenden Ländern vom Startschuss an leisten, ist nahezu unmenschlich. Mit wackeligen Kanus durchpflügen die Viererteams zunächst einen Fluss Richtung Pazifik, bevor sie nach Powerpaddeln bis in die Nacht – bei böigem Wind – die Segel zum ersten Checkpoint an Land setzen, das die Mehrzahl nicht nur erst im Dunkeln erreicht, sondern wo sie auch noch flugs weiterrennen, -schwimmen, -klettern, -springen müssen. Durch eine Topografie, als hätten die Veranstalter alle denkbaren Geländeformationen virtuell auf engstem Raum verdichtet.

Dieser vertikal-horizontal-diagonalen Herausforderung auch nur beizuwohnen, ist so erschöpfend, als säße man nicht vorm Bildschirm, sondern mitten in jenem Matsch, den der Dauerregen bereits am zweiten Tag hinterlässt. Nun gibt es natürlich Dutzende von Survival-Formaten dieser Art. Der empathisch zupackende Moderator Edward Michael „Bear“ Grylls zum Beispiel wurde auch hierzulande mit dem sprechenden Serientitel „Ausgesetzt in der Wildnis“ bekannt, was ihm sein kanadischer Kollege Les Stroud (ebenfalls bei Dmax) als „Survivor Man“ gleichtat, worauf er kurz danach mit „Naked Survival“ branchentypisch vulgarisiert wurde.

Es gibt ernst gemeinte Hindernisläufe wie „Ninja Warrior“ und weniger ernst gemeinte wie „Takeshi’s Castle“, es gibt motorisierte Männlichkeitssimulationen wie „Top Gear“ und das noch testosteronsattere Spin-off „Grand Tour“. Dazu gibt es Outdoor-Events für Ottonormalüberlebende wie den Schlamm-Parcours „Tough Mudder“ und Downhill-Jagden, bei denen Mountainbiker ungebremst die Alpen abwärts brettern – von Ultra-Marathons auf Vulkanen, Eis oder Wüstensand ganz zu schweigen. Doch all dies bleibt hauptberuflichen Einzelkämpfern vorbehalten, zeitlich begrenzt, gediegener Blödsinn und manchmal alles in einem.

Survivalprofis im 24/7-Modus

Beim welthärtesten Rennen messen sich Survivalprofis dagegen elfmal im 24/7-Modus mit Freizeitabenteurern. Schon beim Zusehen übersäuern die Muskeln. Keine Frage: Hyperphysisches Prepper-Fernsehen wie dieses feiert in aller Effekthascherei den Triumph der Instinkte über Intellekt und Denken.

Wenn ständig die Helikopter in Platoon-Formation kreisen, während atavistisches Durchhaltevokabular aus On und Off gefeuert wird, als fände die Schlacht in der Kreidezeit statt, wenn schon im Vorspann Tränen fließen und bald auch das erste Blut, wenn zum pausenlosen Blockbuster-Sound dauernd Teamgeist, Mentalität und Willen beschworen werden, sollte man lieber nicht vom „Literarischen Quartett“ zu Amazon zappen.

Zwischen all den Standards des Überwältigungsfernsehens wird jedoch eine Achtsamkeit spürbar, die sich nicht im grüngewaschenen Untertitel „Eco Challenge“ erschöpft. Bear Grylls’ Anfangsappell, „respektiert die Wildnis, überschätzt euch nicht, lasst keinen zurück“, zeugt glaubhaft vom Humanismus, der sich in Teilnehmern mit Alzheimer, Kriegsverletzung, Randgruppendasein äußert.

Die Ersten sind so wichtig wie die Letzten, Frauen nicht nur sehr präsent, sondern tough. Als ein Amerikaner sagt, das Rennen biete seinem Sport „die Chance zur Diversifikation“ und ihm selbst eine, zu zeigen, dass „Children of Colour und LGBTQ-People alles können“, drängelt sich daher an Testosteron und Adrenalin vorbei ein dicker Kloß halsabwärts. Mehr kann Survival-TV nicht erreichen.

Jan Freitag

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