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„Guck mal der Schwatte, das hätte es bei Hitler nicht gegeben.“ Stürmer Erwin Kostedde (Zweiter v. r.) im Oktober 1975 bei seinem dritten und zugleich letztem Spiel in der deutschen Nationalmannschaft gegen Griechenland.

© Amazon Prime

Amazon-Doku „Schwarze Adler“: Stukas, Nachbarn, Weltmeister

„Guck mal der Schwatte, das hätte es bei Hitler nicht gegeben.“ Eine Amazon-Prime-Doku hinterfragt das Thema Rassismus - nicht nur im Fußball.

Ob er stolz sei, ein Deutscher zu sein? Nein, sagt Gerald Asamoah, „ich bin stolz für Deutschland zu spielen.“ Es ist schwer zu beschreiben, das Gefühl, das sich beim ersten Schauen der Doku „Schwarze Adler“ über schwarze Fußballer in der deutschen Nationalmannschaft einstellt. Ist es Befremden über Fragen und Antworten wie die Asamoahs? Ist es Scham? Ist es Betroffenheit? Staunen über den Mut, mit dem sich Asamoah, Tony Baffoe oder Erwin Kostedde über Jahre Fans und, ja, auch Medien ausgesetzt haben, einfach nur, weil sie keine weiße Hautfarbe haben und den Adler auf der Brust trugen?

Selten hat eine Sport-Dokumentation so nachdenklich gemacht wie dieses Amazon-Prime-Projekt von Regisseur Torsten Körner („Schwarze Adler“, Amazon Prime, ab Donnerstag; die Dokumentation feiert zudem am 18. Juni Free-TV-Premiere und wird im ZDF ausgestrahlt).
Keine Titelsammlungen, Champions-League-Erfolge oder WM–Siegtorschützen-Porträts – sondern die ewige Frage, wie sich Diskriminierung wegen der Hautfarbe anfühlt. Wie sich schwarze Ex-Nationalspieler und aktuelle Fußballer gegen Rassismus und Ausgrenzung wehren mussten. „Schwarze Adler“ lässt verschiedene Spieler-Generationen zu Wort kommen.

Von Kostedde, der 1974 als erster Schwarzer Spieler in der Nationalmannschaft debütierte, über Jimmy Hartwig, Steffi Jones, Gerald Asamoah, Patrick Owomoyela, Cacau, Jean-Manuel Mbom bis hin zu Hertha-Spieler Jordan Torunarigha, der in einem Pokal-Achtelfinale im Februar 2020 übelst rassistisch beleidigt wurde, mit Affenlauten in seiner Richtung. Ein roter Faden. „Ich wurde geliebt als Fußballer und abgelehnt als Mensch“, beschreibt Vater und Ex-Fußballprofi Ojokojo Torunarigha (Chemnitzer FC) sein Wirken während der 90er-Jahre in Deutschland.

„Wie schön ist so ein Weiß“

Das Ganze also auch, aber eben nicht nur ein tiefer Griff in die Fußball-Archivkiste, ein kluger Blick in die Vergangenheit, der Erstaunliches zu Tage fördert. Bis in die Nazi-Zeit werden Zeichen gelesen zum Kult des Weißseins, zu Zusammenhängen zwischen Waschmittelwerbung („Wie schön ist so ein Weiß“), ideologischen Pfeilern des späteren Wirtschaftswunders und Vernichtungskriegsführung.

In NS-Propagandafilmen trugen Sturzkampfbomber (Stukas) Namen wie „Persil“ oder „Ata“, dazu später die Ereignisse in Solingen, Rostock, Mölln. Autor Körner („Angela Merkel: Die Unerwartete“) und Produzent Leopold Hoesch („Kroos“, „Nowitzki“) gehen einen weiten gesellschaftlichen Weg, aber das scheint auch notwendig, um die Äußerungen und Geschichten der „Schwarzen Adler“ besser einordnen zu können.

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Das versteht sich ja nicht von selbst, wenn Steffi Jones als „Negerhure“ beschimpft wird, Otto Addo als Jugendlicher Verfolgungsjagden ausgesetzt ist, die coole Shary Reeves beim Schildern ihrer und anderer Erfahrungen in Tränen ausbricht und das „N...“-Wort zum Fangesang anschwillt.

Die Geschichten erzählen nicht nur davon, was es bedeutet, vor Tausenden von Menschen im Stadion und vor Millionen vor Fernsehern rassistisch angefeindet zu werden. Sie werfen auch ein Licht darauf, wie Zuschauer, Medien und die Gesellschaft mit dem Thema Rassismus umgegangen sind und noch umgehen – wie langsam sich in den letzten Jahrzehnten offenbar etwas an diesem Umgang verändert hat.

Entlarvend die Begrüßung der ersten schwarzen Torschützin des Monats 1975, Beverly Ranger, durch die „Sportschau“ und Moderator Ernst Huberty (vorgestellt mit einem Schlager von Vico Torriani: „Schön und kaffeebraun sind alle Fraun aus Kingston Town“). Peinlich auch der Versuch von Wim Thoelke, die Anwesenheit von (nicht nur schwarzen) Frauenfußballerinnen im „Sportstudio“ zu erklären.

„Manchmal sahen sie mich an, als ob ich sie gleich fressen werde.“

Erschreckend dann die Bilder und Aussagen, zu dem, was sich seit Jahrzehnten in und um Stadien abspielt. Ex-Bundesliga-Profi Otto Addo erzählt, wie ihn Menschen mit Bierflaschen beworfen haben. Guy Acolatse, der in den 1960er-Jahren beim FC St. Pauli spielte, sagt: „Manchmal sahen sie mich an, als ob ich sie gleich fressen werde.“ Nationalspieler Erwin Kostedde erinnert sich an die Worte: „Guck mal der Schwatte, das hätte es bei Hitler nicht gegeben.“

Nicht zu vergessen AfD-Chef Alexander Gauland mit dem Satz „Leute wollten so einen wie Jerome Boateng nicht zum Nachbarn haben“. Da ist die Leistung, der Weltmeistertitel von 2014, mithin die Nationalmannschaft, Stolz des Landes, eben nicht nur „Rettungsinsel“, wie es in einer Kapitelüberschrift der Doku angedeutet wird.

Umso erstaunlicher die versöhnlichen Worte einiger der 14 Protagonisten, die eingestreut werden, subtil begleitet von Klavier-Variationen der Nationalhmyne und vom Schnitt (André Hammesfahr), der mit Leerstellen arbeitet, wo wir bei anderen Formaten Off-Kommentare hören.

Eine Doku, die, bei aller Verbitterung, auch Mut machen soll und kann. Jüngere Spieler wie Jean-Manuel Mbom berichten von positiveren Erlebnissen als schwarze Spieler in den Jahrzehnten zuvor. „Mein Leben ist schon ganz anders als das Leben einer schwarzen Person früher.“ Aber es sei noch viel zu tun. Das Gefühl bleibt: Der Rassismus ist nicht weg, er ist unterschwelliger geworden.

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